Der Mann ist ein Phänomen: Nicht mal 200 Tage nach seinem Kreuzbandriss steht Sami Khedira für das Finale gegen Atletico Madrid bereit – wenn auch nicht als Kandidat für die Startelf.
Immer wieder Italien. Als die Squadra Azzurra 2006 das deutsche Sommermärchen beendete, saß das Stuttgarter Nachwuchstalent Sami Khedira vor dem Fernseher und trauerte. Sechs Jahre später, beim EM-Halbfinale in Warschau, stand Mittelfeld-Mann Sami Khedira von Real Madrid auf dem Platz und fand kein Mittel gegen die drohende Niederlage. Und am 15. November 2013, beim Freundschaftsspiel in Mailand, riss der deutschen WM-Hoffnung Sami Khedira nach 67 Minuten das Kreuzband. Gegen Italien.
„Mein Ziel: Ich will bei der Weltmeisterschaft spielen!“
Ob Sami Khedira und die italienische Nationalmannschaft bei der anstehenden Weltmeisterschaft ihr nächstes Techtelmechtel ausfechten können, stand lange Zeit in den Sternen. Ein Kreuzbandriss, sieben Monate vor dem Turnierstart – es galt als extrem unwahrscheinlich, dass aus dem Patient Khedira wieder der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Mittelfeldzentrale werden würde. „Für einen Athleten ist es in so einer Situation unheimlich wichtig, ein klares Ziel zu formulieren. Meines ist: Ich will bei der Weltmeisterschaft spielen.“ Das hat Sami Khedira im 11FREUNDE-Interview gesagt. Allerdings war das Anfang März. Ob der damals 26-Jährige tatsächlich eine Chance auf die Teilnahme an der WM haben würde, war da noch nicht abzusehen.
Vor wenigen Tagen saß Carlo Ancelotti auf einer Pressekonferenz und beantwortete Fragen der Journalisten. Selbstverständlich ging es um das anstehende Champions-League-Finale gegen den Stadtrivalen Atletico. Angesprochen auf die vakante Position in der Mittelfeldzentrale – Xabi Alonso ist für das Endspiel gesperrt – antwortet der Real-Coach: „Illara (Asier Illarramendi, d. Red.) ist in guter Verfassung, er wirkt ruhig und hat viel Selbstvertrauen. Er steht mir für Samstag zur Verfügung. Das gilt auch für Khedira. Er hat eine phantastische, professionelle Arbeit geleistet.“ Heißt: Wenn nichts Unerwartetes geschieht, steht Illarramendi am Samstag von Beginn an auf dem Platz, sein Backup heißt Sami Khedira. Nicht mal 200 Tage nach seiner schweren Verletzung gilt Khedira als vollwertiger Kandidat für einen Einsatz im Finale der Champions League. Eine phänomenale Nachricht.
Nicht nur für Khedira, sondern auch für Bundestrainer Joachim Löw und alle, die es mit der deutschen Nationalmannschaft halten. Nicht Schweinsteiger, Kroos, Bender oder Gündogan sind Löws wichtigste Spieler – es ist der Deutsch-Tunesier Sami Khedira. Um ihn herum hat Löw seit 2009 seine Mannschaft gestrickt, die Spielweise des 1,89-Meter-Mannes hat den Rhythmus der Nationalmannschaft bestimmt. Für die Nationalmannschaft bedeutet die Nachricht von Ancelotti: Wenn Khedira jetzt schon fit genug ist, um für Real Madrid im wichtigsten Spiel des Jahres aufzulaufen, kann er bei der WM in Brasilien ein vollwertiges Mitglied des deutschen Kaders sein.
„Sami kommt mit einer unglaublich guten Basis“
Bei all der Euphorie über das erstaunliche Heilfleisch und die mentale Stärke des gebürtigen Stuttgarters: Es gibt einen Haken an der Sache. Carlo Ancelotti brachte das ebenfalls zur Sprache: „Er hat nicht viele Spiele bestritten, das ist sein einziges Problem.“ Als Khedira wieder einsatzbereit war, war die Saison in Spanien schon fast vorbei. Gegen Celta Vigo (0:2) ließ Ancelotti Khedira 57, im letzten Spiel gegen Espanyol Barcelona (3:1) 64 Minuten auf dem Platz. 121 Pflichtspiel-Minuten. Joachim Löw fasste das mit all der ihm typischen Diplomatie zusammen: „Ich glaube, dass wir einen Sami Khedira antreffen, der mit einer unglaublich guten Basis zu uns kommt.“
Vielleicht entpuppt sich die lange Verletzungspause des 44-fachen Nationalspielers im Laufe des Turniers noch als Vorteil. „Selbstverständlich war ich am Anfang niedergeschlagen“, berichtete Khedira im besagten 11FREUNDE-Interview, nur um dann hinzuzufügen: „Aber ich denke, dass ich durch die Erfahrung als Persönlichkeit gereift bin.“ Für einen vermeintlichen Führungsspieler bei einer Weltmeisterschaft dürfte das nicht unbedingt von Nachteil sein.