Heute verkündete der SC Freiburg die Vertragsverlängerungen von Christian Streich und seinem Trainerteam. Wir durften den Männern einst bei der Arbeit über die Schultern schauen. Einblicke in die Schaltzentrale eines besonderen Klubs.
Hinweis: Die Reportage erschien erstmals im Sommer 2017, in 11FREUNDE #189, unserem Bundesliga-Sonderheft. Das Heft findet Ihr bei uns im Shop.
Christian Streich sagt: „Ja, es ist wahnsinnig schwierig“, und verzieht das Gesicht so, wie nur er das kann. Oder Jack Nicholson in „Shining“. Wildes Entsetzen huscht für einen Moment über sein Gesicht, aber dann ist es auch wieder vorbei. Schließlich ist sein Urlaub in Schweden noch nicht lange her. Streich hatte schon lange mal in den Norden gewollt, es hat ihm gut gefallen: „Und gegen den Regen gibt’s schließlich Jacken.“ Nur richtig erholt hat sich der Cheftrainer des SC Freiburg nicht, wegen neuer Spieler musste er viel telefonieren.
Maximilian Philipp und Vincenzo Grifo sind nach Dortmund und Gladbach gewechselt und haben ein kratergroßes Loch hinterlassen; an 34 von 42 Bundesligatoren der letzten Saison waren sie beteiligt. Doch trotz eifrigen Telefonierens im Urlaub ist am vierten Tag der Saisonvorbereitung erst ein Neuer da, ein Außenverteidiger. Beim Testkick in Lörrach gegen den geschickt verteidigenden Sechstligisten fällt das 1:0 erst nach fast einer Stunde. Streich schaut meist stumm zu und mitunter besorgt, nur einmal bricht es aus ihm heraus: „Scheiß Querspielerei, gottverdammte.“
Am nächsten Morgen schreibt Lars Voßler Übungspläne, während die anderen draußen auf dem Trainingsplatz sind. Der Co-Trainer mit dem kleinen Kinnbärtchen ist ein Mann, der in sich ruht. Christian Streich kennt er schon seit einem Dutzend Jahren und weiß, dass der Cheftrainer des SC Freiburg vor jeder Saison hadert, dass sie keine funktionierende Mannschaft hinbekommen und scheitern werden. „Das war schon so, als wir die A‑Jugend trainiert haben“, sagt Voßler.
Ein Decoder in einem Stapel Altpapier
Damit will er die Klage aber nicht abtun. Alle im Trainerteam haben das Gefühl, für die erfolgreiche Arbeit der letzten Saison nicht belohnt zu werden. Sie hatten früh die Planungssicherheit, nicht abzusteigen, und schafften es am Ende sogar in den internationalen Fußball. Doch jetzt sind zwei der besten Spieler weg und Ersatz fehlt, weil der Markt so überdreht ist. Außerdem wissen sie nicht, welche Folgen es haben wird, dass schon Ende Juli, mitten in der Vorbereitung auf die neue Saison, die ersten Qualifikationsspiele zur Europa League anstehen.
Andernorts würde man angesichts dieser schwer zu kalkulierenden Situation so langsam mal die Nerven verlieren, doch in Freiburg gibt es weder aufgeregte Schlagzeilen noch nervöse Fans. Inzwischen ist das Vertrauen hier fast grenzenlos in das, was die Männer im Trainerzimmer machen – dem Maschinenraum des SC Freiburg.
Dieses Trainerzimmer liegt gegenüber der Haupttribüne des Stadions, direkt unter dem Fanshop. Man betritt es durch eine Glastür, in der Lamellen manchmal den Blick von außen versperren, meistens aber nicht. Drinnen könnte mal wieder aufgeräumt werden, auf der Fensterbank ist ein Decoder in einen Stapel Altpapier geraten. Entlang einer Wand steht ein brusthoher Büroschrank mit Schiebetüren, auf dem Ordner zum Torwarttraining und ein Buch über Ultras aufgestellt sind.
Auf dem Sideboard an der Stirnwand steht eine Kaffeemaschine, darunter ist eine erstaunlich üppige Auswahl an Teebeuteln. Links daneben hängt an der Tür ein Flipchart mit den Kürzeln der Spielernamen auf Magneten, er ist noch auf dem Stand der Vorsaison. Auf dem Beistelltisch vor der grauen Sitzecke liegt neben dem „Kicker“ die aktuelle Ausgabe von „Theater der Zeit“. In der Mitte steht quer im Raum ein langer Holztisch mit aufgeklappten Laptops, Notizzetteln, Tassen, auf beiden Seiten sind je drei Arbeitsplätze.
„Wir haben genug Macken“
In den ersten Jahren Bundesliga hatten die meisten Trainer keine Assistenten. Meistertrainer Willi Multhaup musste bei Werder Bremen 1965 alles alleine machen. Er war für die Taktik zuständig, für die Fitness und trainierte die Torhüter. Beim FC Bayern bekam Trainer Branko Zebec erstmals 1969 einen Assistenten, einen jungen Mann namens Udo Lattek. Im gleichen Jahr verpflichtete der 1. FC Köln mit Rolf Herings den ehemaligen Bundestrainer der deutschen Speerwerferinnen, er wurde erster Konditionstrainer der Bundesligageschichte. Ende der siebziger Jahre bekamen dann die Torhüter eigene Trainer, und in den Neunzigern wurde es üblich, dass Trainer und ihre Assistenten feste Pärchen bildeten. Als Ottmar Hitzfeld zum FC Bayern wechselte, kam Michael Henke aus Dortmund selbstverständlich mit. Thomas Schaaf hatte seinen Matthias Hönerbach, Felix Magath seinen Bernd Hollerbach, und Volker Finke in Freiburg seinen Achim Sarstedt.
Die beiden waren die ersten Bewohner des Freiburger Trainerzimmers. Doch nicht nur dort haben sich die Räume seither mit Spezialisten gefüllt. Das Trainerteam des FC Bayern umfasst zehn Leute, darunter ein Reha-Coach und ein Ernährungsberater. Bei Bayer Leverkusen gehört ein Sportpsychologe fest dazu, in Leipzig ein Mentaltrainer und in Köln ein Teamentwickler, während Hoffenheim einen Präventivtrainer zur Vermeidung von Verletzungen hat. Mehr Leute, das bedeutet gerade in einem Großraumbüro wie in Freiburg ideale Bedingungen, um sich mordsmäßig auf die Nerven zu gehen. „Das ist auch so. Aber vollständig und gar nicht so selten“, sagt Christian Streich. „Wir sind schließlich extrem individuell und haben genug Macken.“