Im Februar diskutierte ganz Deutschland über den angeblich radikalen Ex-Profi Mimoun Azaouagh. Hier wehrt er sich erstmals gegen die Vorwürfe.
Mimoun Azaouagh, im Februar berichtete die „Bild“-Zeitung auf ihrer Titelseite, dass Sie im Visier derStaatsanwaltschaft stünden. Die Schlagzeile lautete: „Ex-Schalke-Star jetzt Salafist?“ Sind Sie einer?
Ich bin kein Salafist, ich bin Muslim. Aus Überzeugung. Ich respektiere jeden, egal welche Hautfarbe oder Religion. Ich habe Freunde, der eine ist Christ, der andere Atheist. Ich lebe hier in Deutschland, bin im multikulturellen Frankfurt aufgewachsen. Hier interessiert es keinen, wo man herkommt, woran man glaubt. Diese Toleranz habe ich von klein auf mitbekommen. Dieser Bericht hat mich geschockt.
Darin ist die Rede davon, dass Sie Ihr Leben radikal geändert, sich von Ihrer Freundin und Freunden getrennt hätten. Stimmt das?
Absoluter Quatsch. Ich bin aus einer Firma ausgestiegen, ja, aber ich denke, das ist ein normaler Vorgang. Mein Freundeskreis ist gleich geblieben, die Leute kenne ich allesamt schon seit meinen Kindertagen. Da stand auch, ich wäre bei meinen Eltern ausgezogen. Ich wohne seit meinem 17. Lebensjahr nicht mehr bei ihnen. Und überhaupt: Was soll das alles beweisen?
Üben Sie Ihren Glauben anders aus als vorher?
Kein Stück. Es ist nie mehr oder weniger geworden als zu meiner aktiven Zeit als Profi. Ich bin schon während meiner Stationen in der ersten und zweiten Liga regelmäßig in die Moschee gegangen, habe auch gefastet und fünf Mal am Tag gebetet. Ich bin aber tolerant gegenüber anderen Religionen: Im Islam gibt es keinen Glaubenszwang. Jeder soll das ausüben, was er für richtig hält. Wenn Gott gewollt hätte, dass alle Menschen nur eine Religion haben, dann hätte er nicht jedem den freien Willen gelassen.
Wurden Sie denn jemals von Salafisten angesprochen?
Nein. Ich glaube auch nicht, dass die sich trauen, mich anzusprechen. Ich habe eine ganz andere Denkweise. Für mich sind das keine Muslime, das sind Verbrecher. Jürgen Todenhöfer hat es richtig gesagt: „Der Terrorismus hat genauso wenig mit Islam zu tun wie Vergewaltigung mit Liebe.“ Genauso sehe ich es.
Sind Sie überhaupt schon Salafisten begegnet?
Man muss wissen, wer Salafist ist. Wenn Sie mir sagen, wer Salafist ist, dann kann ich sagen: Okay, gut zu wissen, von denen halte ich mich fern. Wenn ich aber in eine Moschee gehe, kann es vorkommen, dass Leute mich ansprechen, ein Foto mit mir machen wollen. Da kenne ich nicht jeden einzelnen und seine Vergangenheit.
Was sagen Sie zu den Behauptungen, Sie hätten an Koran-Verteilungen teilgenommen?
Ich habe noch nie Korane verteilt. Noch nie! Und auch noch nie versucht, jemanden zu bekehren. Da können Sie auch jeden einzelnen meiner Mitspieler fragen. Ich habe immer mein Ding gemacht und andere machen lassen. Auch hier weiß ich nicht, wie so etwas zustandekommt. Glauben die Leute, ich stelle mich auf die Frankfurter Zeil und verteile den Koran? Unter dem Bericht war ein Foto von einer Koran-Verteilung, aber dort war irgendjemand anderer abgebildet und nicht ich.
Hat sich die Polizei bei Ihnen gemeldet?
Nach dem Bericht bin ich selbst zur Dienststelle gegangen, weil ich wissen wollte, was da angeblich gegen mich vorliegt. Die Polizei hat mir mündlich und schriftlich bestätigt, dass an den Vorwürfen absolut nichts dran ist.
Welche Folgen hatte die Berichterstattung für Sie?
Ich persönlich bin schmerzfrei, was das angeht. Aber die Leute begegnen mir anders als vorher: Sogenannte Bekannte haben mich vor dem Bericht herzlich umarmt und mit mir gequatscht, jetzt sind alle distanziert. Das merke ich allein an der Art und Weise, wie sie mir die Hand geben. Auf der Straße ziehen Eltern ihre Kinder zur Seite, weil sie im Kopf haben: Das ist Azaouagh, der Salafist.
Wie ging Ihre Familie damit um?
Für sie war es viel schlimmer. Nur ein Beispiel: Mein Bruder leitet seit fünf Jahren in einer internationalen Schule ein Fußballtraining, am Wochenende die Spiele. Einen Monat nach der Veröffentlichung hat er einen Anruf der Direktorin bekommen, die auf einmal ein Führungszeugnis von ihm sehen wollte. Sie erklärte lediglich, es sei damals vergessen worden. Doch im Endeffekt kann man ja eins und eins zusammenzählen.
Warum sind Sie nicht Ihrerseits in die Öffentlichkeit gegangen?
Der „Bild“-Reporter hat mir einen Tag nach der Veröffentlichung eine SMS geschrieben, vorher nicht. Ich habe damals nicht eingesehen, auf so einen Schwachsinn einzugehen. Und auch später habe ich mich nicht geäußert. Zum einen haben die Leute sowieso ihre vorgefertigte Meinung, zum anderen bin ich auch nicht der geborene Redner. Ich habe zu meiner aktiven Zeit nie viele Interviews gegeben. Ich hatte Angst, dass ich mich verhaspele. Es war wie Lampenfieber. Andere Fußballer sprechen ganz locker, als wären sie mit dem Mikrofon geboren, ich nicht.
Inwieweit hatten die Berichte Einfluss auf Ihre Karriere?
Viele Vereine, die mich auf dem Zettel hatten, haben mich deswegen gestrichen. Da bin ich sicher.
Spielen Sie derzeit Fußball?
Nur privat. Ich bin seit einem Jahr vereinslos. Doch ich habe richtig Bock, wieder zu spielen.
Sie waren in Mainz ein gefeierter Jungstar. Nach der Station auf Schalke ging es zurück nach Mainz, nach Bochum und Kaiserslautern, zuletzt spielten Sie dort in der zweiten Mannschaft…
Sie meinen: ein ganz schöner Abstieg.
Wir fragen uns, wie Sie auf Ihre Karriere blicken.
Sagen wir es so: Für die Ansprüche, die ich in meinen jungen Jahren hatte, war es zu wenig. Auf der anderen Seite bin ich auch jemand, der Spaß beim Fußball braucht. Letztens habe ich ein Interview mit José Mourinho gelesen, in dem er über Kevin de Bruyne sprach. Er sagte sinngemäß: „De Bruyne wollte das hundertprozentige Vertrauen und die Sicherheit, das konnte ich ihm nicht geben. Daraufhin hat er zugemacht.“
Also haben auch Sie zugemacht wie de Bruyne?
Nein, ich will nur sagen: Ich muss mich wohl fühlen, dann geh ich ins Dribbling und habe keine Angst, dass ich den Ball verliere. Wenn ich das Vertrauen spüre, gelingt mir fast alles. Das war eine Zeit lang in Bochum unter Friedhelm Funkel so. Deshalb war ich auch so lange in Bochum und habe mit den meisten auch noch solch einen guten Kontakt, mit einem Marc Pfertzel, Antar Yahia, Paule Freier.
Nach Ihren ersten Bundesligaspielen sprach ganz Fußball-Deutschland über Sie. Sind Sie da abgehoben?
Hundertprozentig. Ich hatte aus der ganzen Liga Angebote, Jürgen Klinsmann wollte mich bei der WM 2006 dabeihaben. Vielleicht war es ein Fehler, als junger verletzter Spieler zu einem neuen Verein zu gehen. Ich hätte in Mainz bleiben sollen. Aber Schalkes Manager Rudi Assauer und Trainer Ralf Rangnick waren der Wahnsinn, sie haben sich unglaublich für mich eingesetzt.
Sie hatten viele Verletzungen und konnten sich auf Schalke nie durchsetzen.
Kreuzband, Meniskus, Innenband komplett zerrissen und die Kapsel durch. 15 oder 16 Monate war ich weg, das war eine harte Zeit. Ich war lange in der Reha ohne Kontakt zum Team. Als ich dann fit wurde, hat Assauer Rangnick entlassen. Nachfolger Mirko Slomka war ein sehr guter Trainer, aber hat nicht auf mich als Spielertyp gestanden.
Was ist Ihre schönste Erinnerung an Ihre bisherige Karriere?
Bochum war richtig geil, da habe ich mich sehr wohl gefühlt. Der einzige Grund, warum ich den VfL verlassen habe: Nach acht Jahren im Ruhrgebiet hatte ich Heimweh. Ich bin im letzten Bochumer Jahr fast jedes Wochenende nach Hause gefahren, zu meiner Familie.
Sie gingen dann zum FCK.
Ich wollte zu meinem Herzensverein FSV Frankfurt. Das hat leider nicht geklappt, dafür Kaiserslautern. Es lag nur 130 Kilometer entfernt, das passte. Die Zeit unter Franco Foda war super, der hat sich nicht reinreden lassen. Doch Kosta Runjaic teilte mir dann mit, dass der FCK nicht mehr mit mir plane. Er sagte: „Das war nicht meine Entscheidung.“ Okay, das habe ich akzeptiert.
Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Ich bin erst 32, fühle mich gut und wäre mir auch nicht zu schade, irgendwo vorzuspielen. Ich glaube, ich kann mit meiner Qualität immer noch Mannschaften weiterhelfen.