Herr Heidel, Mainz 05 ist noch einmal ordentlich auf dem Transfermarkt tätig geworden. Nach Jan Simak kamen nun Radoslav Zabavnik und Malik Fathi. Wie kommen solche überraschenden Transfers zu Stande?
Malik Fathi kannten wir natürlich schon lange aus der Bundesliga. Wir haben uns nochmal ein Spiel in Moskau von ihm auf DVD angeschaut, danach haben wir Kontakt zu seinem Berater aufgenommen. Bei Radoslav Zabavnik lief es anders. Ihn haben wir bei einem Länderspiel der Slowaken beobachtet und in der Folge noch einige DVDs gesichtet. Von jedem Fußballspiel, das im Fernsehen zu sehen ist, kann man sich über Agenturen eine DVD bestellen. Erst danach haben wir das Gespräch gesucht. Wir hatten natürlich auch beste Informationsgrundlagen durch den Umstand, dass mit Miroslav Karhan ein Slowake bereits in unseren Reihen ist. Miroslav konnte uns sehr viel über den Charakter von Radoslav erzählen. Es ist schließlich immer wichtig zu wissen, was für einen Typ Spieler man verpflichtet. Nach diesen ganzen Gesprächen blieb letztendlich nur noch die Frage: Wann treten wir in die Verhandlungen ein. Da entschieden wir uns, alles am letzten Tag der Transferperiode über die Bühne zu bringen.
Warum ausgerechnet am letzten Tag?
Da kann es dann nur noch ein »Ja« oder »Nein« geben. Hätten wir bei Malik Fathi schon vor drei Wochen angefangen, dann hätte das auch noch andere Vereine auf den Plan gerufen, weil die Gefahr besteht, dass unser Interesse publik wird. Wir waren froh, dass wir es tatsächlich geschafft haben, den Transfer ohne Gerüchteküche zu vollziehen. Kein einziger Journalist, kein Internetforum, keine Zeitung hat vorher den Namen Malik Fathi mit Mainz 05 in Verbindung gebracht. Wenn schon vorher jemand etwas von dieser Geschichte gewusst hätte, dann hätten wir den Transfer mit Sicherheit nicht realisieren können.
Aber wie sind Sie denn überhaupt auf den Namen Malik Fathi gekommen?
Linksfüßer sind sowieso sehr rar im Fußball, fast alle werden offensiv eingesetzt. Wir haben aber jemand für die Defensive gesucht. Wir sind durch alle Kaderlisten der europäischen Ligen durchgeflogen und dann plötzlich auf Fathi gestoßen. Dann haben wir gemerkt, dass Fathi die letzten Spiele der abgelaufenen Saison in Russland nicht bestritten hat (Anm. d. Red. Die Saison in der russischen Liga läuft von März bis Dezember). Wir haben in der Folge einfach den Berater gefragt, warum das so war.
Nutzen Sie denn gar nicht die viel beschworenen Scouting-Systeme?
Ich bin davon kein großer Freund. Wir haben vor anderthalb Jahren unsere Scouting-Abteilung fast aufgelöst. Es läuft heutzutage ganz anders: Man bekommt fast täglich DVDs, E‑Mails oder Faxe von sämtlichen Beratern. Das Wichtigste hierbei ist einfach zu selektieren. Wir haben bei Mainz dafür zwei bis drei Leute, denen wir vertrauen. Wenn diese dann dem jeweiligen Spieler ein gutes Zeugnis ausstellen, dann fahre ich oder einer der Co-Trainer noch einmal hin und wir machen uns selbst ein Bild vor Ort. Diese ganze Scouting-Geschichte ist schon abstrus. Es gibt unheimlich viele Leute, die glauben, dass irgendein Scout durch Norwegen fährt und plötzlich einen Spieler wie Obasi trifft. Der Spieler wird zu aller Erst angeboten und dann erst schaut man sich das genauer an. Nicht mehr und nicht weniger. Dafür brauche ich keine fünf Festangestellten.
Das hört sich ja so an, als wäre es bei Ihnen wie bei einer Musikzeitschrift, der haufenweise Demotapes von jungen Bands zugeschickt werden. Da wird schließlich dann auch das Beste herausgefiltert.
Ja, aber bei denen ist das Ganze noch etwas komprimierter. Bei uns flattern viel mehr Angebote rein, es gibt ja mehr Berater als Spieler. Da muss man darauf achten, mit wem man zusammenarbeitet. Man kennt ja mittlerweile den Markt. Viele E‑Mails lese ich gar nicht mehr. Aber bei mir im Büro laufen von morgens bis abends DVDs. Manchmal sehe ich dann zufällig beim Arbeiten einen Spieler, dem ich dann nachgehe. Aber man kann nicht alle DVDs sichten. Es kann auch durchaus sein, dass ich eine DVD von einem Spieler im Player hatte, den ich nicht bemerkt habe und dieser dann sich woanders durchgesetzt hat. Das bleibt nicht aus, man kann nicht das ganze Material sichten.
Ist es bei dem schnelllebigen Geschäft von heute überhaupt möglich, einen Spieler über einen längeren Zeitraum zu beobachten?
Große Vereine können das machen. Wir bei Mainz 05 haben da keine Chance. Wenn der beobachtete Spieler einmal am Ende seiner Entwicklung angekommen ist, schnappen ihn sich andere Vereine. Wann werden heutzutage auch noch Spieler aus der Landesliga verpflichtet? Die einzige Ausnahme einer langfristigen Beobachtung besteht im Jugendbereich. Unsere Scouting-Abteilung im Jugendbereich ist viel wichtiger als die des Profibereiches. Auf diesem Gebiet sind wir sehr aktiv. Im Jugendbereich kann man Talente über einen längeren Zeitraum begleiten und diese dann im Nachwuchsleistungszentrum weiter ausbilden. Das machen wir seit längerem und letztendlich war dies auch mit ein Grund, warum unsere A‑Jugend Deutscher Meister geworden ist.
Bei einer Vertragsunterzeichnung heißt es immer, dass der Spieler charakterlich sehr gut passe. Wie kann man das denn herausfinden? Ein Scout hat mal gesagt, er verfolge einen Spieler auch mal eine gesamte Trainingswoche lang.
Ja, das habe ich auch schon gemacht. So war es auch bei der Verpflichtung von Mohamed Zidan, der seinerzeit bei Werder Bremen die Tribüne warm gehalten hat. Wir konnten ihn so im Spiel nicht begutachten und haben deshalb beobachtet, wie er sich im Training gegeben hat. Bei der Verpflichtung von Leon Andreasen war es genauso. Manchen Spielern eilen gewisse Geschichten voraus, da muss man dann schon einmal genauer hinschauen, wie er sich außerhalb des Stadions verhält. Das Training anzuschauen ist ein absolut legitimes Mittel, um das Engagement des Spielers zu prüfen.
Aber Sie stellen sich doch nicht mit tief ins Gesicht gezogener Mütze an den Trainingsplatz von Werder Bremen, oder?
Doch, damals war es so. Bei 500 Zuschauern erkennt einen doch keiner, ich bin ja nicht Uli Hoeneß. Mein Gesicht kennen eh nicht so viele. Also wir machen das schon ab und an. Im Jugendbereich sowieso.
Und wie läuft die Abstimmung zwischen Manager und Trainer? Felix Magath ist sehr glücklich, dass er keine langen Diskussionen ausfechten muss.
Ich habe in dieser Hinsicht noch nie Streit mit einem Trainer gehabt. Seit Jürgen Klopp gibt es eine Abmachung, dass wir keinen Spieler holen, gegen den einer von uns Einwände hat. Ich finde es aber schlimm, wenn Manager sich ein anderes sportliches Urteil erlauben als der Trainer. Das deutet auf vermindertes Vertrauen in die Kompetenzen des Trainers. Mir geht es dabei mehr um den Charakter und die Vorgeschichte des Spielers und darum, wie die wirtschaftlichen Voraussetzungen bei einem Transfer sind. Ich habe aber unter den letzten drei Trainern nie mein Veto einlegen müssen, denn wir waren uns immer einig.
Wie viele Leute sind denn effektiv eingebunden in die Sichtung eines Spielers?
Drei. Der Trainer, jemand, den wir hinschicken, und ich.
Gibt es dabei denn ein »Top-Secret-Abkommen«?
Nein, kein Abkommen, das ist einfach so. Wir haben uns hier Strukturen gegeben, sodass wir niemandem unsere Pläne vorlegen müssen. Bei uns redet keiner rein, deswegen konnten wir die Sache mit Malik Fathi im kleinsten Kreis halten. Wenn wir jetzt noch andere Gremien informieren müssten, welchen Spieler wir holen wollen, dann hätte Mainz 05 keine elf Spieler zusammen. Bei Mainz ist noch nie etwas durchgesickert, wir versuchen unsere Planungen ohne Publicity durchzuführen. Der Reporter des »kicker« wird deswegen zur Weißglut gebracht, weil ihn dann alle fragen, warum er nichts mitbekommen hat.
Aber wie kann man so etwas denn geheim halten, wenn Sie sich mit Malik Fathi irgendwo in der Stadt treffen?
Mit Malik Fathi haben wir uns in einem Düsseldorfer Hotel getroffen, aber das war ja schon die finale Phase und eine Ausnahme. Die Überzeugungsarbeit haben wir schon vorher geleistet. Er hatte sich schon ein gutes Bild von Mainz 05 gemacht. Er hat auch festgestellt, dass er hier richtig ist.
Und wie überzeugen Sie Spieler aus dem Ausland, die Mainz 05 gar nicht kennen? Zeigen Sie denen Videos oder Bilder von der Stadt?
Wir verpflichten normal nie einen Spieler, wenn dieser nicht in Mainz war. Wir holen die Spieler, am besten mit Frau oder Freundin, direkt am Flughafen ab. Mainz hat vier Stadteinfahrten, ich nehme immer die Stadtbrücke, mit Blick zum Landtag, Schloss und Dom, das beeindruckt die meisten schon mal. Wir reden kein Wort über das Finanzielle, sondern veranstalten eher einen Stadtrundgang mit dem Spieler und dessen Familie und zeigen z. B. Videos von der Aufstiegsfeier oder ähnlichem. Danach schicken wir die Spieler nach Hause und sagen ihnen, sie sollen sich überlegen, ob Mainz der richtige Club für sie ist. Andreas Ivanschitz hat zum Beispiel noch am gleichen Abend angerufen und erklärt: Mainz passt!
Wenn Sie dann schon soweit mit einem Spieler sind, gibt es dann ein »Gentlemens Agreement«, dass andere Vereine von diesem Spieler lassen?
Nein, es ist legitim, dass andere Vereine an Spieler herantreten, die noch nirgendwo anders unterschrieben haben. Deswegen haben wir es bei Malik Fathi auch auf den letzten Drücker gemacht, um genau diese Situation zu vermeiden.
Hat sich dieser Poker verschärft in den letzten Jahren? Mittlerweile werden im Internet sogar Liveticker am letzten Tag der Transferperiode geschaltet.
Das Medium Internet hat da alles verändert. Portale wie »transfermarkt.de« befassen sich mit Transfergerüchten aus allen Zeitungen der Welt. Deshalb ist der Wettbewerb gar nicht mehr abzustellen. Meine Maxime insgesamt lautet immer: kleines wirtschaftliches Risiko, große sportliche Chance. Deswegen machen die Leihgeschäfte auch Sinn. Die Clubs haben immer größere Kader, deshalb haben die meisten Clubs gar keine andere Chance als Spieler auszuleihen.
Welche Rolle spielen denn die Berater, die ja in der Öffentlichkeit einen zweifelhaften Ruf genießen?
Da gibt es solche und solche. Es gibt mit welche, die z. B. als Aushilfe in der Metzgerei arbeiten und sich Visitenkarten als Berater drucken. Man erkennt gute Berater meistens daran, dass sie zuerst über den Spieler reden und nicht über ihre eigenen Verdienstmöglichkeiten. Es gibt aber sehr viele seriöse Berater, die schon sehr lange am Markt sind.
Zurück zu Malik Fathi: Er galt als jemand, der sich zuletzt bei Hertha etwas hängen ließ. Vorher haben Sie Jan Simak verpflichtet. Sehen Sie es als besondere Herausforderung, solchen Spielern mit der familiären Atmosphäre in Mainz zu ihrem Topniveau zu verhelfen?
Wir werden immer Spieler mit Defiziten holen oder bei denen irgendetwas schief gelaufen ist. Voronin oder Zidan sind da die besten Beispiele. Wir haben das immer in den Griff bekommen. Und zu Malik Fathi: hängen lassen? Das ist ein vorbildlicher Profi, das haben wir schon in den ersten Gesprächen mitbekommen. Unser Umgang mit unseren Spielern in Mainz ist unsere große Stärke. Spieler, die von uns weggegangen sind, wollen immer wieder zurück. Wir haben sehr viele Rückholaktionen gestartet, Voronin hätten wir auch einmal beinahe wieder zurückgeholt. Wenn man wie wir die wirtschaftliche Stärke nicht hat, dann muss man andere Stärken haben.
Schmerzt es Sie dann nicht, dass Spieler, die Mainz verlassen haben, woanders nicht zum Zug kommen wie Markus Feulner?
Nein. Das ist nicht auszuschließen, damit müssen wir leben. Vielleicht kommt der eine oder andere ja zurück. Die Spieler, die in Mainz weggehen, verlieren nie den Kontakt zu Mainz.
Ist es nicht das Ziel, dass Mainz nicht länger »nur der Ausbildungsverein« für Spieler ist?
Wir versuchen uns Schritt für Schritt zu verbessern. Wir werden aber nie an die Großen heranreichen, damit müssen wir leben und akzeptieren das.
Können Sie zum Abschluss noch etwas über den Neuzugang Radoslav Zabavnik sagen?
Seine Spielweise passt zu 100 Prozent zu Mainz 05. Laufintensiv, kampfstark, erfahren durch sehr viele Länderspiele. Wir glauben auch, dass er vom Typ her zu uns passt. Aber wie gesagt: Das weiß man nie mit absoluter Gewissheit. Deswegen haben wir uns entschieden, einen Halbjahresvertrag zu vereinbaren mit einer Verlängerungsoption für weitere zwei Jahre. Jetzt muss er Gas geben.