Heute wird Heiner Backhaus 40 Jahre alt. In seiner Karriere spielte er für über zwanzig Klubs in acht Ländern. In Malta verehren sie ihn noch heute, bei anderen Stationen musste er nach Niederlagen aufpassen, keine Prügel zu kassieren. Gespräch mit einem Rastlosen.
Von fast jeder seiner zahlreichen Auslandsstationen hat Heiner Backhaus ein Trikot mitgebracht. Für uns öffnete er seinen Trikotkoffer. Das und noch mehr lest ihr im 11FREUNDE Spezial „Legionäre“. Hier bei uns im Shop erhältlich.
Heiner Backhaus, sind Sie ein Weltenbummler?
Das würde ich nicht sagen. Ich habe nie gebummelt. Ich lag nie in Ko Samui in der Hängematte, war nie als Backpacker in Australien unterwegs. Bei all meinen Stationen ging es professionell zu. Körperliche Fitness und ein gesunder Lebenswandel waren stets die Grundvoraussetzungen. Ich war immer ein absoluter Vollprofi. Ich habe nie geraucht, nie exzessiv Alkohol getrunken.
Kein Weltenbummler also. Dennoch haben Sie in zahlreichen Ländern der Welt gespielt. Wie sollen wir Sie dann nennen?
Ich würde mich als Groundhopper bezeichnen. Ich liebe Stadien und Fankulturen. Wenn ich im Urlaub einen Flutlichtmast entdecke, zieht der mich magisch an. Ich kann jeden Fangesang aus Argentinien mitsingen. Ich bin immer aus Liebe zum Fußball in ein Land gegangen, um bei Null anzufangen, den Fußball in seiner ursprünglichsten Form zu erleben.
Klingt romantisch.
Ich habe Fußball nie als Geschäft verstanden. Ich bin nicht wegen des Geldes nach Saudi-Arabien gegangen. Ich war ein Reisender in der Welt des Fußballs.
Für unser 11FREUNDE Spezial zum Thema „Legionäre“ haben wir gemeinsam einen Blick in Ihren Trikotkoffer geworfen. Wie war es für Sie, den Koffer vom Dachboden zu holen?
Als ich die Trikots vorsortiert habe, kam gerade meine Frau von der Arbeit nach Hause. Sie fragte mich, warum ich denn so grinse. Da sagte ich: „Schatz, ich habe gerade eine Weltreise gemacht.“
War bei mehr Vereinen aktiv, als Wikipedia und Transfermarkt aufzulisten vermögen. Er spielte auf Zypern und Malta, in Hongkong und Saudi-Arabien, in Syrien und im Libanon. 2013 war er an der Gründung des Vereins Inter Leipzig beteiligt und begann, dort als Trainer zu arbeiten. Heute trainiert er den Südwest-Regionalligisten Rot-Weiß Koblenz.
An welche Station Ihrer Reise haben Sie besten Erinnerungen?
Ich habe nur positive Erinnerungen. Ich bin nie abgestiegen. Egal bei welchem Verein ich heute vorbeischauen würde, die Leute würden mich willkommen heißen. Aber mein Jahr beim FC Valetta auf Malta war einfach traumhaft.
Woran lag das?
Es war Liebe pur von dem Moment an, als sie mich am Flughafen abholten. Im Anschluss brachten sie mich zum Hafen, um mich dort auf einer Veranstaltung vorzustellen. Da waren bestimmt 500 Leute. Ich sagte: „Sorry for speaking English to you. The only Maltese words I know are: Forsh Il Floriana.“ Ich wusste gar nicht, was das heißt, aber jemand hatte mir gesagt, das käme sicher gut an. Später erfuhr ich, dass ich mal eben den großen Rivalen beleidigt hatte. Natürlich ging es im ersten Spiel der Saison direkt gegen Floriana. Da brannte die Hütte. Ironie des Schicksals: Es war das einzige Spiel, das wir in dieser Saison verloren.
Sie wurden Meister?
Ja. Und obwohl ich nur ein Jahr dort war, wurde ich in die Mannschaft des Jahrhunderts gewählt. Fast jeder aus unserem Team hat sich damals den Löwen von Valletta auf den Oberarm tätowieren lassen. Und wir wurden nicht nur Meister, wir schlugen sogar Juventus Turin.
Wie bitte?
Im Winter gab es auf Malta immer den „Betfair Cup“, bei dem ein italienischer Topklub gegen ein maltesisches Team antrat. Im Vorjahr hatte der FC Birkikara mit 0:10 gegen den AC Mailand verloren. Wir trafen dann 2008 auf Juve. Der Kern der Mannschaft bestand aus den Weltmeistern von 2006: Buffon, Chiellini, Iaquinta, Del Piero, Camoranesi. Im Sturm Trezeguet. Nach dem frühen 1:0 für Juventus rechneten wir damit, uns jetzt auch zehn Dinger zu fangen. Mir ging es eigentlich nur noch darum, ein cooles Trikot zu ergattern. Doch mit dem Halbzeitpfiff erzielten wir das 1:1. In der zweiten Halbzeit war es nur noch Kampf, wir retteten irgendwie das Unentschieden in die Verlängerung und schließlich kam es zum Elfmeterschießen, Wir gewannen. Das Stadion stand natürlich Kopf.
„Noch heute könnte ich mich auf Malta vollfressen, ohne einen Euro zu bezahlen“
Und anschließend wurde groß gefeiert?
Nach dem Spiel wurden wir durch die Straßen getragen. Erst morgens um fünf torkelte ich ins Taxi und fuhr an der Strandpromenade entlang nach Hause. Und wen sah ich da beim Joggen? Pavel Nedved! Ich war sternhagelvoll und er schon bei der Regeneration. Da habe ich mich richtig amateurhaft gefühlt.
Klingt nach einem historischen Tag.
Jedes Jahr am 8. Januar erhalte ich etliche Nachrichten, weil sich dann der Sieg gegen Juve jährt. Dass Valletta, der Klub der einfachen Leute, das große Juventus schlägt, war unfassbar. Zusammen mit der Siege of Malta, bei der die maltesischen Ritter die Türken vertrieben haben, ist das der größte Tag für die Stadt. Noch heute erkennen mich die Leute, wenn ich in Valletta durch die Straßen gehe. Ich würde behaupten, dass ich mich dort ohne einen Euro zu bezahlen vollfressen und fettleibig sterben könnte.
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Ging es überall so paradiesisch zu?
Von wegen. Als ich in Saudi-Arabien spielte, herrschten dort Temperaturren von bis zu 50 Grad. Ich schwitzte wie nie zuvor. Im Sommer fuhren wir ins Trainingslager, dorthin, wo es zumindest etwas kühler war: nach Ägypten. Untergebracht waren wir in einem Militärkomplex in Alexandria. Wir trainierten dreimal am Tag. Es gab keinen Internetzugang. Das Einzige, was wir von der Außenwelt mitbekamen, war die Fernsehübertragung der Olympischen Spiele in Athen. So habe ich Arabisch gelernt.
In der Jugend haben sie bei Schalke und Werder Bremen gespielt. Warum haben Sie als Spieler in Deutschland nie den Durchbruch geschafft?
Wenn ich nicht spielte, wurde ich ungeduldig. Ich liebe den Fußball so sehr, ich will unbedingt spielen. Zudem realisierte ich irgendwann, dass es für die Bundesliga nicht reichen würde. Also stellte ich mir die Frage: „Willst du dich in der zweiten oder dritten Liga kaputt machen lassen, wenn du durch den Fußball die ganze Welt entdecken kannst?“
Also entschieden Sie sich für Letzteres und zogen los?
Genau. Eher zufällig fand ich auf Zypern einen Verein, der mich unter Vertrag nahm. Dort habe ich gelernt, dass Fußball wieder Spaß machen kann. Im Anschluss überließ ich mich dem Zufall. Ich landete im Libanon, in Syrien, in Hongkong, auf Malta.
„Wenn du in Zypern ein Spiel verlierst, hängt die Fahne eine Woche lang auf Halbmast“
Haben Sie nie das Bedürfnis verspürt, an einem Ort, der Ihnen besonders gut gefallen hat, länger zu bleiben?
Natürlich hätte ich zum Beispiel ewig auf Malta bleiben können. Aber ich wollte mich als Mensch weiterentwickeln, neue Sprachen lernen, Netzwerke aufbauen.
Mittlerweile sind Sie als Trainer tätig, aktuell beim Regionalligisten Rot-Weiß Koblenz. Profitieren Sie in Ihrer Arbeit von Ihren Auslandserfahrungen?
Sehr. Ich spreche mittlerweile sieben Sprachen, habe unter top Trainern mit den unterschiedlichsten Methoden gespielt. Aber vor allem habe ich gelernt, was Demut heißt. Wenn du in Zypern ein Spiel verlierst, hängt die Fahne eine Woche lang auf Halbmast. Da kommt kein Videoanalyst, der dir deine Fehler aufzeigt. Da kommen vier Leute, bei denen man froh ist, dass sie keinen Gummiknüppel dabei haben. Mit diesen Erfahrungen im Kopf versuche ich, meinen Spielern vor allem Demut zu vermitteln.
Wie gelingt das?
Wir leben hier in einer absoluten Komfortzone, die man ohne Erfahrung im Ausland oft gar nicht realisiert. Natürlich ist es wichtig, dass man unzufrieden ist, wenn man nicht spielt. Aber ich kann eben auch Erfahrungen wie diese weitergeben: Ich habe bei Vereinen gespielt, da habe ich jedes Spiel gemacht, die Fans haben mich geliebt, aber der Verein hat sechs Monate lang kein Gehalt gezahlt. Was ist dir da lieber, mein Freund?
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