Kevin Schindler galt bei Werder Bremen, Hansa Rostock und dem FC St. Pauli als großes Talent – jetzt ist er plötzlich Co-Trainer auf den Färöer-Inseln. Mit nur 31 Jahren. Wieso?
Kevin Schindler, Sie sind jetzt seit einigen Wochen auf den Färoer Inseln. Halten Sie den Entschluss immer noch für richtig, auf einen winzigen Archipel mitten im Nordatlantik zu wechseln?
Natürlich. Ich bin ein neugieriger Typ, der immer dazu lernen will und Erfahrungen sammeln möchte. Wenn man etwas nicht ausprobiert, weiß man nie wie es wird. Der Ligabetrieb, der Mitte März beginnen sollte, ist zwar wegen des Corona-Virusses vorerst ausgesetzt worden und es gib keinen regulären Trainingsbetrieb mehr – wir haben ein Video mit Übungen für die Spieler zusammengestellt, die sie absolvieren – aber es ist trotzdem sehr spannend hier.
Wie kam es zu Ihrem Engagement? Sie sind 31 Jahre alt und Sie könnten selber noch Fußball spielen.
Nach meiner letzten Station beim SC Cambuur-Leeuwarden in der zweiten niederländischen Liga bin ich erneut vereinslos geworden und hätte auch noch nach Hongkong oder Kanada gehen können, aber ich habe aber in mich hineingehört und mich dagegen entschieden. Ich habe eine Zeit lang beim BVB mittrainiert und sollte eigentlich einen Einjahresvertrag unterschreiben. Das hat aus verschiedensten Gründen nicht geklappt. BVB-Coach Mike Tullberg war aber so von mir überzeugt, dass er mir eine Hospitation angeboten hat, die ich sofort angenommen habe. Durch ihn ist der Kontakt zu Jens Berthel Askou, dem Chetrainer von HB Torshavn, zustande gekommen. Die beiden sind sehr gute Freunde und haben zusammen in der ersten Liga in Dänemark den Verein Vendsyssel FF trainiert. Ich habe mich dann mit Jens Berthel Askou getroffen und wir haben uns sofort verstanden. Wir haben die gleiche Idee, wie wir Fussball spielen wollen. Ich hatte sofort ein gutes Gefühl es zu machen.
Was haben ihre Kumpels gesagt, als sie von dem Engagement gehört haben? Was kamen für Sprüche?
Ach, die haben sehr positiv reagiert, was meinen Wechsel anging. Die kennen mich, ich bin halt ein Abenteurer. Die meisten wollten ein Selfie mit einem Schaf. (Lacht.)
Das sollte problemlos möglich sein – die Inseln heißen aus gutem Grund Schafsinseln, sonst ist aber wenig bekannt. Was wussten Sie vorher über die Inselgruppe?
Ich wusste nicht viel von den Inseln. Ich habe nur die Länderspiele der Deutschen Nationalmannschaft dort verfolgt, aber das war schon beeindruckend, wie beherzt und sehr sympathisch das Team auftrat. Aber das ist ja auch einer der Gründe, ein Abenteurer zu starten – weil man Unbekanntes entdecken kann.
Was haben Sie bisher alles entdeckt?
Sehr viele nette, hilfsbereite Menschen zum Beispiel. Die Färinger haben auch eine andere Mentalität als wir Deutschen. Komm‘ ich heut nicht, komm‘ ich morgen – es ist alles ein bisschen ruhiger hier. Aber auch die Landschaft ist sehr beeindruckend. Zudem gibt es viele Kleinigkeiten, die sehr interessant sind. Beispielsweise darf man auf den Färoer Inseln den Ball offiziell bei Standardsituationen mit der Hand festhalten, wegen des starken Windes. Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Ich war jetzt in vielen Ländern der Welt und habe gesehen, wie dort Fussball gespielt oder trainiert wird – auch das ist hier eine Erfahrung in jeder Hinsicht.
Wie wird denn Fußball gespielt, gibt es Profivereine?
Ja und nein. Strukturell muss sich das Land hier noch entwickeln. Eine Handvoll an Spielern unserer Mannschaft bei HB, dem erfolgreichsten Klub auf der Insel, hat einen Profivertrag, die anderen gehen von morgens bis nachmittags arbeiten. Wir im Trainerteam sind deshalb auf die Insel gekommen, um die Spieler zu entwickeln und auf ein Top-Niveau zu bringen. Jeder kann davon profitieren.
Üben Sie ihren Co-Trainer-Job hauptberuflich aus?
Ja, ich bin hauptberuflich hier.
Die erste färingische Liga hat für eine Bevölkerungszahl von rund 50 000 Einwohnern ein erstaunliches Niveau. Wenn man 50 000 Einwohner durch zwei teilt, bleiben noch 25 000 Männer übrig, von denen sich vielleicht 2000 im leistungssport-fähigen Alter befinden. Ist die enorme Fußballbegeisterung – jedes einsame Gehöft hat einen Bolzplatz, die Ligaspiele sind mit teilweise über 1000 Fans sehr gut besucht – der Grund für das im Vergleich zur Population exzellente Nationalteam?
Ja, durchaus. Und wir wollen deshalb den Spielern die Möglichkeit geben, sich in jeder Hinsicht zu verbessern, grade auch für die Nationalmannschaft. Es schlummern hier viele Talente. Wissen Sie, was mich am meisten überrascht hat?
Erzählen Sie.
Der Ehrgeiz der Spieler – die wollen immer trainieren und kriegen nie genug.
Mit welcher deutschen Liga lässt sich das Niveau der höchsten Spielklasse vergleichen?
Mit dem unteren Drittel der dritten Liga und der Regionalliga.
Andere Länder, andere Sitten: Haben Sie schon etwas Skurriles erlebt?
Ja, bei einer Vereinsfeier. Dort gab es Lamm, das drei bis vier Monate gelagert und dann geräuchert wurde. Es war nicht sehr appetitlich. Ich habe es dennoch probiert – es ist hier wohl ein Traditionsessen.
Was kann man abends treiben in Tórshavn? Mit 15 000 Einwohnern ist die Hauptstadt nicht gerade eine Megacity?
Das ist nicht London, schon klar, aber deshalb kommt man ja nicht hierher. Ehrlich gesagt war ich bis jetzt erst einmal Abendessen, das war mit unserem Trainerteam und den Vereinsverantwortlichen zusammen. Ich lebe in Tórshavn in einer Drei-Zimmer-Wohnung, ich fühle mich sehr wohl.
Wie lange wollen auf den Färoer Inseln bleiben? Und wie planen Sie ihre Zukunft?
Ich habe hier für ein Jahr unterschrieben, wer weiß, was noch alles kommt – man sieht ja am Corona-Virus, wie schnell sich alles ändern kann. Die Zukunft konnte ich in meinem Leben noch nie so wirklich planen, dennoch stehen Trainerlizenzen ganz oben auf meiner Liste. Wo und wann man in den nächsten Jahren ist, weiß man nie im Fussball. Ich lasse, wie immer, alles auf mich zukommen.