Er hat über 300 Bundesligaspiele bestritten, aber zuletzt war er vor allem eines: das Gesicht der HSV-Krise. Nun wagt Heiko Westermann einen Neuanfang in Spanien – und wird dort gefeiert.
Heiko Westermann, es ist etwas sehr Ungewöhnliches passiert: Sie hatten bei Betis Sevilla ein gutes Debüt. Was ist schiefgelaufen?
Ausnahmsweise eben nichts, sonst ist vor allem mein erstes Spiel bei einem neuen Klub stets daneben gegangen. Diesmal war es wirklich ganz in Ordnung, wir haben gegen Real Sociedad 45 Minuten in Unterzahl eine 1:0‑Führung verteidigt.
Jetzt untertreiben Sie aber, Presse und Fans haben Sie gefeiert. Und auch das zweite Spiel, ein 0:0 gegen den FC Valencia, verlief für Sie als Verteidiger erfolgreich.
Das Feeling war schon super. Zumal die Fans hier anders sind, sehr fanatisch. Betis ist eine Religion, und entsprechend geht es im Stadion ab.
Wie sind sonst Ihre ersten Eindrücke von der wahrscheinlich stärksten Fußballiga der Welt?
Man merkt schon, warum in den letzten Jahren so viele Titel von spanischen Mannschaften gewonnen wurden. Der Riesenunterschied zu Deutschland ist: Jeder auf dem Platz kann richtig Fußball spielen. Ich würde nicht sagen, dass die Spieler taktisch nicht so gut ausgebildet sind wie in Deutschland, aber bei der Ballannahme und –mitnahme sind sie das schon. Dass es hier allerdings körperlos zugeht, wie mancher glaubt, das stimmt überhaupt nicht. Ich habe bei meinem Debüt gegen einen Stürmer von San Sebastian gespielt, wie ich ihn in der Bundesliga nie als Gegenspieler hatte. Der Brasilianer Jonathas ist größer als ich gewesen, technisch enorm stark und unheimlich robust.
Wie weit ist Deutschland inzwischen für sie weg?
Enorm weit, obwohl ich erst sechs Wochen hier bin. Es tut mir auch gut, nicht mehr in der Bundesliga zu spielen.
Warum?
Für mich wäre die Motivation schwer gewesen, weil ich mit Schalke und Hamburg schon bei zwei großen Traditionsklubs gespielt habe, mich noch mal so mit einem anderen Bundesligisten zu identifizieren wie dort. Aber so was ist mir wichtig. Die Entscheidung ist auch deshalb für Betis gefallen, weil das ein so großer Traditionsklub ist.
Julian Draxler hat sich zuletzt bewusst einen Klub ohne große Tradition gesucht. Was ist so schön für einen Profi bei Traditionsklubs, wenn so zerstörerische Kräfte wirken wie beim HSV oder bei Schalke?
Allein die Stadien und die Fans, es steckt eine Geschichte dahinter, das ist schon großartig. Aber für junge Spieler in Hamburg oder Schalke ist die Last enorm groß. Für mich ist klar, dass die Hälfte darunter einbrechen wird, weil von ihnen zu viel erwartet wird.
Ist der Hamburger SV für Sie auch schon weit weg?
Naja, den HSV werde ich bestimmt nicht vergessen.
Sie lachen.
Naja, Karlsruhe ist in der Erinnerung schon wieder ein geiles Erlebnis gewesen.
Jetzt übertreiben Sie aber.
Nein, es war doch fast unmöglich gewesen, dass wir uns noch aus dieser Situation zu befreien konnten.
Und dann lag der Ball zum Freistoß in der letzten Minute der Relegation bereit, und nur der Ausgleich würde den Abstieg noch verhindern. Was haben Sie oben auf der Tribüne gedacht?
Weiß ich echt nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich nach dem Tor da weg musste, weil es Ärger mit Karlsruher Fans gab und wir in die Katakomben gesperrt wurden.