In den Relegationsspielen gegen den HSV war KSC-Mann Markus Kauczinski der heimliche Star. Geile Frise, geiler Style, geiler Typ. Für unser Bundesliga-Sonderheft trafen wir ihn zum Interview.
Markus Kauczinski, was war Thema Ihrer ersten Ansprache in der neuen Saison: Ging es noch mal um die Relegation oder haben Sie den Blick gleich nach vorne gerichtet?
Natürlich haben wir noch mal Bezug auf das genommen, was war. Wir müssen die Vergangenheit akzeptieren, wir können sie nicht mehr ändern. Aber es geht darum, aus dem Ganzen auch etwas Gutes mitzunehmen.
Was könnte das sein?
Der Gedanke ist: Es lag nicht an dieser einen Situation. Solch ein Tor wie der Freistoß von Marcelo Diaz kann immer passieren. Doch wir hatten in der Hinrunde vier oder fünf unnötige Unentschieden. Wenn am Ende der Saison ein Punkt zu Platz zwei und damit zum direkten Aufstieg fehlt, liegt vielleicht dort der Hund begraben.
Ist das ein psychologischer Trick, um sich von einem traumatischen Ereignis zu lösen?
Traumatisch bleibt es trotzdem. Aber wir versuchen, einen Nutzen daraus zu ziehen, damit es nicht nur schwer in der Tasche liegt.
Sie sind demnach ein Mensch, dessen Glas im Zweifel halb voll ist?
Natürlich kann ich diesem Relegationsdrama nichts Positives abgewinnen. Ich kann ja nicht im Nachhinein behaupten, es sei ein gefühlter Sieg. Aber grundsätzlich bin ich ein Optimist, der glaubt, dass man mit harter Arbeit, gutem Training und einem guten Spirit auch bei begrenzten Mitteln eine Menge erreichen kann.
Der KSC hat in der letzten Spielzeit mehr erreicht, als viele von ihm erwartet haben.
Das kann man so sehen. Wenn man von diesem einen Spiel weggeht, war es eine erfolgreiche Saison, zumal wir erst im zweiten Jahr in der Liga waren. Aber das oder unser geringer Etat nützen mir auch nicht immer als Entschuldigung, das will ich auch gar nicht. Ich will ja dagegen ankämpfen.
Hätten Sie sich vor fünf Jahren, als Sie noch als Nachwuchscoach tätig waren, vorstellen können, in der Relegation um den Bundesligaaufstieg zu spielen?
Ich habe erst neulich mit meiner Frau darüber gesprochen: Nein, das hatte ich nie im Kopf. Selbst als U23-Coach nicht. Ich war immer im Moment, in meiner Aufgabe verhaftet, und habe nie nach oben geschielt und gesagt: „Die über mir sind bald weg!“
Also anders als Altkanzler Schröder, der Jahre vor seiner Kanzlerschaft angeblich am Tor des Kanzleramts rüttelte und rief: „Ich will da rein!“
Nein, bei mir ist das nach und nach gekommen. Anfangs konnte ich nicht richtig einschätzen, welche Türen offen waren und was mir eventuell fehlt. Aber irgendwann war das Gefühl da, dass ich mit dem, was ich habe und bin, mein eigenes Ding machen kann.
Sie waren insgesamt dreimal Interimstrainer des KSC. War es hart, danach wieder ins zweite Glied zurückzukehren?
Das schon. Weil es Spaß gemacht hat. Es waren jeweils Extremsituationen, in denen ich gemerkt habe, dass ich etwas bewirken kann. Doch ich hatte zu dem Zeitpunkt ja nur die A‑Lizenz und war noch nicht mal Fußballlehrer.
Ihr erster Trainerposten war in einem sozialen Brennpunkt in Gelsenkirchen. Haben sportliche Aspekte dort überhaupt eine Rolle gespielt?
Stimmt, das war bei Arminia Ueckendorf. Dort spielten Jungs, die im Leben nicht viel Rückhalt und andere Sorgen als Fußball hatten. Aber es hat Spaß gemacht und war meine Wiege als Trainer. Die Jungs waren total dankbar, wenn sich jemand leidenschaftlich für sie eingesetzt hat.
Hatten sie auch Sinn für Taktik und Spielsysteme?
Hatte ich ja selbst noch nicht. Zwischen dem, was ich früher gemacht habe, und dem, was ich heute mache, liegen Welten. Ich war damals zwanzig, die Jungs siebzehn oder achtzehn. Da ging es eher um Einsatz und Willensstärke, weniger um mannschaftstaktische Feinheiten.
Waren Sie traurig, dass Ihre eigene Spielerkarriere schon früh versandet ist?
Nein. Ich habe schnell gemerkt, dass es einfach nicht reicht.
Sie haben den Fußballlehrer-Lehrgang mit Ex-Nationalspielern wie Mehmet Scholl und Stefan Effenberg absolviert. Bekommt ein ehemaliger Amateurspieler da nicht Komplexe?
Ich bin völlig neidfrei an die Sache rangegangen und habe mich zu keinem Zeitpunkt unterlegen gefühlt. Ich hatte ja damals als Trainer schon mehr vorzuweisen als manch anderer und stand bereits zwanzig Jahre an der Linie.
Wieso ist es inzwischen weniger wichtig, dass ein Trainer früher als Profi erfolgreich war?
Da gibt es keine festen Regeln. Es gibt Ex-Profis, die gute Trainer sind, und es gibt Ex-Profis, die weniger gute Trainer sind. Und es gibt Leute, die sich hochgearbeitet haben, so wie ich.
Aber viele der neuen Trainerstars, wie Thomas Tuchel, Roger Schmidt oder Markus Weinzierl, waren als Spieler nicht gerade Berühmtheiten.
Das ist eine Tendenz, richtig. Von der Erfahrung und Ausstrahlung eines Ex-Profis allein kann niemand leben. Man braucht Fachkenntnisse, muss mit Medien umgehen, Menschen führen, vor einer Mannschaft stehen und Leute begeistern können. Das Feld der Kompetenzen, die ein Trainer benötigt, ist riesig. Um diese Vielfalt zu beherrschen, muss ich vorher nicht zwingend Profi gewesen sein.
Liegt es auch daran, dass das Spiel komplizierter geworden ist? Vielleicht reicht es nicht mehr aus, wie einst Franz Beckenbauer einfach nur zu sagen: „Geht raus und spielt Fußball!“
Weiß ich nicht. Vieles wird ja auch kompliziert gemacht. Ich erkenne viele Dinge, die es früher bereits gab, die nun aber anders heißen. Heute sagt man Gegenpressing, früher hieß es: „Du gehst nach!“ Das Fußball-Einmaleins ist noch immer das gleiche, nur wird es heute manchmal ein bisschen verklausuliert.
Meiden Sie Trendwörter wie die „abkippende Sechs“ und die „falsche Neun“?
Wichtig ist, dass meine Mannschaft mich versteht. Und meine Mannschaft versteht mich, wenn ich einfach rede und klare Anweisungen gebe. Hinter all diesen Begriffen verbirgt sich ja eine Taktik und die muss vermittelt werden. Wie ich das benenne, ist letztlich uninteressant.
Fußball ist also doch keine Geheimwissenschaft.
Sagen wir mal so: Jeder hat seinen eigenen Zugang.
Vier Tage nach Abschluss Ihres Trainerlehrgangs sind Sie endlich Chefcoach in Karlsruhe geworden und nur wenige Wochen danach aus der zweiten Liga abgestiegen. Hatten Sie Angst, das neue Glück könnte schnell wieder vorbei sein?
Nein. Meine Basis ist, dass ich vorher ein normales Leben geführt habe und auch jederzeit wieder ein normales Leben führen könnte. Meine Frau ist berufstätig und ich käme mit einem ganz normalen Gehalt klar. Ich hätte keine Angst, in ein Loch zu fallen, wenn ich kein Trainer mehr wäre.
Hätten Sie geglaubt, mit dem Wiederaufstieg wäre für den KSC das Ende der Fahnenstange erreicht?
In der zweiten Liga sind die Unterschiede gering, das hat man ja auch jetzt wieder gesehen. Deshalb habe ich unsere Ziele ziemlich offensiv formuliert. Was ist es denn für ein Ziel, zu sagen, ich will nur nicht absteigen? Und am Ende werden wir Vierzehnter und alle freuen sich? Das ist nichts für mich.
Wie sehr schmerzt es, wenn Spieler wie Calhanoglu oder Yabo weggekauft werden, die Sie selbst entwickelt haben?
Da bin ich pragmatisch, das ist der Lauf der Dinge. Spieler zu verlieren, gehört für einen armen Verein wie den KSC dazu. Schon im Nachwuchsbereich hat mir einer abends gesagt, wie glücklich er bei uns sei, und am nächsten Morgen, dass nun aber sein Traumverein angerufen habe. Ich bin da illusionslos.
Nervt es nicht, wenn mit der „besseren sportlichen Perspektive“ argumentiert wird, wo es doch eigentlich nur ums Geld geht?
Na ja, es gibt ja tatsächlich Vereine, die eine bessere sportliche Perspektive bieten als wir. Aber ich habe mir abgewöhnt, moralisch an solche Dinge heranzugehen. Früher hat mich das noch gewurmt, aber für mich gibt es da kein Richtig oder Falsch mehr. Jeder guckt, wo er bleibt. Wichtig ist nur, dass es so offen und ehrlich abläuft wie jetzt bei Ray. (Reinhold Yabo, d. Red.)
Operieren Sie als Trainer lieber aus der Außenseiterrolle heraus?
Ich habe bis jetzt nur beim KSC gearbeitet. Da ergibt sich das automatisch.
Und in Zukunft?
Würde ich mich ungern auf die Rolle des Entwicklers festlegen lassen, der ausschließlich kleine Mannschaften nach oben bringt. Mein Gefühl ist, dass ich mit jedem umgehen und jeden erreichen kann.
Und wenn Bayern München anriefe?
Wäre das auch reizvoll. Ich glaube aber, dass sich die Arbeit dort von der beim Karlsruher SC gar nicht so sehr unterscheiden würde. Wahrscheinlich müsste man etwas weniger an technischen Grundlagen arbeiten, doch letztlich müssen beide als Team funktionieren. Der KSC wie der FC Bayern.
Pflegen Sie als Coach Rituale oder Marotten?
Null. Anfangs hatte ich mal einen Glücksbringer von meiner Frau, aber irgendwie ist es ja doch Blödsinn, oder? Jedenfalls nicht belegbar. Nur um mich auszutricksen, brauche ich das nicht.
Sind Sie ein rationaler Typ?
Eigentlich eher Bauchmensch, zumindest bei den letzten Entscheidungen.
Gläubig?
Gar nicht. Ich interessiere mich zwar für Religionen, allerdings weniger aus Glaubensgründen als wegen der lebensphilosophischen Aspekte. Da kann man von allen Religionen was lernen.
Rund um die Relegationsspiele gab es einige Zeitungsartikel mit dem Tenor „Lebemann Labbadia gegen Malocher Kauczinski“. Nur Klischees?
Menschen werden halt gern in Schubladen gesteckt, um sie besser einschätzen zu können.
Vielleicht liegt es an der uneitlen Art, wie Sie am Spielfeldrand stehen. Man würde Ihnen jederzeit wieder zutrauen, in einem sozialen Brennpunkt eine Horde wilder Jungs zu zähmen.
Das könnte ich auch, keine Frage. Aber das will ich nicht an der Kleidung festmachen. Ich trage eine Jeanshose mit T‑Shirt oder Kapuzenpulli, je nach Wetter. Was soll daran Besonderes sein?
Wir leben in einer Welt, die über den Schneider von Pep Guardiola diskutiert, wenn seine Hose reißt.
(Lacht.) Stimmt, da bin ich anders. Doch ein Mensch hat nun mal viele Facetten. Harte Arbeit gehört für mich dazu, trotzdem bin ich kein klassischer Malocher. Ich bin gewiss kein Feingeist und dennoch interessiert an vielerlei Dingen. Und ich lese sehr viel, ohne mich als klassischen Intellektuellen bezeichnen zu wollen.
Was lesen Sie?
Alles. Zeitschriften, Biografien, Philosophisches, alle möglichen Arten von Belletristik, Krimis.
Ihr Lieblings-Krimiautor?
Jo Nesbø.
Warum?
Mich fasziniert die vielschichtige, gebrochene Persönlichkeit seines Ermittlers Harry Hole.
Und das, wo Sie in einer Branche arbeiten, die gebrochene Charaktere meidet wie der Teufel das Weihwasser.
Wer angreifbar ist, der hat es im Fußball schwer. Deshalb versuchen viele, so glatt wie möglich zu erscheinen.
Wollen Trainer, die Anzüge tragen, Unnahbarkeit suggerieren?
Mag sein, ich mache mir darüber nicht so viele Gedanken. Aber glauben Sie mir, ich bin auch eitel! Gerade haben wir die Fotos für unsere Autogrammkarten ausgewählt. Da suche ich schon das raus, von dem ich glaube, dass ich am besten getroffen bin.
Wie würden Sie sich als Trainer charakterisieren? Autorität mit Herz?
Das ist schon wieder eine Pauschalisierung, die mir nicht gefällt. Ich bin herzlich, wenn es angebracht ist. Und ich bin streng, wenn es sein muss. Die Dosis macht das Gift. Wer immer nur in eine Richtung agiert, stößt an Grenzen.
Was erwarten Sie von der neuen Saison? Fürth hatte mit der verlorenen Relegation so schwer zu kämpfen, dass der Klub im Jahr drauf fast abgestiegen wäre.
Wissen Sie was? Jedes Jahr sagt man mir, dieses Jahr würde das schwerste. Zuerst hieß es: Als Aufsteiger, das wird schwer! Dann: Das zweite Jahr ist immer das schwerste. Und jetzt höre ich es schon wieder. Warum eigentlich?
Wegen der großen Enttäuschung. Wie wollen Sie verhindern, dass die in die neue Spielzeit schwappt?
Durch harten Konkurrenzkampf. Wenn einer meint, er braucht noch Zeit, dann bekommt er sie. Aber ich bin sicher, dass wir diese Situation überwinden – selbst wenn eine Narbe bleibt. Piekst man darauf, wird sie immer weh tun, so ist das nun mal.
Es sei denn, Sie holen den Aufstieg nach.
Dennoch wird dieses Spiel in Erinnerung bleiben. Es gehört zu uns, und es gehört für immer zu mir. Es gibt solche Einschläge im Leben. Und wenn wir diesmal am vierten Spieltag ein bisschen nachlassen, kann ich sagen: „Erinnert euch daran, wie es beim letzten Mal war! Am Ende hat ein Punkt gefehlt.“