Das 4:4 zwischen Dortmund und Schalke war wohl das größte Derby-Wunder aller Zeiten. Schalke-Fan Lukas Kessel war im Stadion – machte sich beim Stand von 0:4 jedoch auf den Heimweg. Die Geschichte eines Pechvogels.
Dieses Interview führten wir 2017 im Anschluss an das 4:4 zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund.
Lukas Kessel, nach nicht mal 30 Minuten stand es 4:0 für Dortmund. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Seit dem Jahr 2001, also seitdem ich vier Jahre alt bin, habe ich eine Dauerkarte. Ich gehe zu jedem Heimspiel und versuche auch auswärts so oft es geht dabei zu sein. Aber so etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich glaube jeder verarbeitet so etwas anders: Manche fangen an zu schreien, andere fangen an zu pöbeln. Ich wollte einfach nur nach Hause.
Haben Sie deswegen das Stadion nach 25 Minuten verlassen?
Es fing schon mit dem ersten Tor an, das in regelrechter Ping-Pong-Manier entstanden ist. Nach dem 2:0, das wir uns ja selbst reingelegt hatten, beschlich mich das Gefühl: Heute bekommen wir richtig auf die Mütze, vielleicht sogar zweistellig. Das schlimmste war aber, dass die Dortmund-Fans die Party ihres Lebens feierten. Für mich ist dabei eine Welt zusammengebrochen. Direkt nach dem 4:0 habe ich meinen Kumpel Marcel dann aus dem Stadion geschoben.
Wie hat er reagiert?
Er wollte eigentlich gar nicht gehen, auch weil die Karten nicht billig waren. Deswegen tut mir das ganze für ihn am meisten leid und ich möchte mich bei ihm entschuldigen. Wir sind schon seit vielen Jahren beste Freunde. Und ich habe ihm jetzt so ein Spiel versaut. Ich habe ihm auf der Rückfahrt gesagt: „Wenn wir noch unentschieden spielen, kriegst du das Geld von mir zurück.“ Naja, die 60 Euro habe ich ihm jetzt überwiesen.
Wie haben Sie von der Aufholjagd erfahren?
Als ich zu Hause ankam, habe ich erst einen Ticker angemacht und von dem Naldo-Tor mitbekommen, das wieder aberkannt wurde. Dann habe ich den Fernseher angemacht und mir die unfassbare Aufholjagd angeschaut. Mit der Zeit wurde ich weniger sauer, weil ich merkte: Die wollen das Spiel wirklich noch drehen. Beim 4:3 und 4:4 bin ich natürlich richtig ausgerastet und habe lautstark gejubelt.
Die Zeitung „Der Westen“ hat einen kurzen Artikel über Sie veröffentlicht. Wie sind die Reaktionen darauf ausgefallen?
Es gab einige Kommentare, in denen geschrieben wurde, ich wäre kein echter Fan und man sollte mir zukünftig Stadion-Verbot erteilen. Das tat mir ehrlich gesagt mehr weh, als die zweite Halbezeit zu verpassen. Denn ich würde das Fan-Sein so nicht definieren. Für mich war es in dem Moment das Schlimmste auf der Welt, dass ich sehen musste, wie die eigene Mannschaft so abgeschlachtet wird. Für mich ist es auch eine Form der Zuneigung, dass man sich das nicht anschauen kann.
Haben Sie schon öfter Spiele vor der Halbzeit verlassen?
Nein, noch nie. Aber ich habe tatsächlich schon andere unglaubliche Momente verpasst. Zum Beispiel ein Spiel gegen Real Madrid: Beim Stand von 0:4 oder 0:5 hat mein Vater uns damals rausgezogen und wir haben ein Traumtor von Klaas-Jan Huntelaar verpasst. Und ich habe das spektakuläre 7:4 gegen Leverkusen verpasst, weil ich auf Kommunions-Fahrt war (lacht).