Zinédine Zidane hat als Real-Trainer alles erreicht, was man erreichen kann. Trotzdem kehrt er nur neun Monate später wieder zurück. Warum tut er sich das an?
Zinédine Zidane betritt den Rasen des Estadio Alfredo Di Stéfano auf dem Trainingsgelände von Real Madrid. Die eine Hand in der Tasche seiner Jogginghose, in der anderen ein Blatt Papier. Seine Glatze glänzt unter der madrilenischen Sonne, als er schüchtern grinst, sich kurz zu den rund 6.000 Fans umdreht, die extra wegen ihm gekommen sind, und einmal kurz winkt. Drei Jahre, zwei Monate und acht Tage ist das her. Damals war Zidane als Trainer eine große Unbekannte. Er war Co-Trainer unter Carlo Ancelotti gewesen und hatte mit der zweiten Mannschaft Real Madrids knapp den Aufstieg in die zweite Liga verpasst. „Wenn man dieses Trikot trägt, ist alles möglich“, sagte der Franzose damals bei seiner Vorstellung. Er wolle eine enge Beziehung zu den Spielern aufbauen und Titel gewinnen. Und genau das tat er.
Zweieinhalb Jahre trainierte Zidane Real Madrid. Zweieinhalb Jahre, die zweifellos zu den erfolgreichsten Jahren in der Geschichte des Vereins zählen, zweieinhalb Jahre in denen er neun Titel gewann. Eine Bilanz, die alleine durch die drei Champions-League-Titel die Anfangsjahre von Pep Guardiola in den Schatten stellen. Im Mai 2018 hatte Zidane in Madrid alles erreicht, was er erreichen konnte und erkannt, dass auch seine Mannschaft alles erreicht hatte und einen Umbruch brauchte. Doch Real-Präsident Florentino Pérez sah das anders, sperrte sich gegen die Transfer-Forderungen seines Trainers. Es folgte ein kurzer, aber heftiger Machtkampf zwischen Pérez und Zidane, an dessen Ende der Abschied des Trainers aus Madrid stand.
Der Anti-Mourinho
284 Tage, zwei Trainerentlassung und vier vergebene Titel-Chancen später ist Zidane wieder zurück und die Freude bei den Madridistas könnte nicht größer sein. Die Fans sind euphorisch, die Spieler auch (bis auf Gareth Bale und Dani Ceballos), die zuletzt ausgemusterten Zidane-Lieblinge Marcelo und Isco legten an ihrem freien Tag gleich eine Extra-Schicht ein und der zuletzt wegen seiner Kaderpolitik ausgebuhte Pérez steht wieder als strahlender Gewinner da, als der Einzige der den – laut Pérez – „besten Trainer der Welt“ zurückbringen konnte. Aus Sicht des Vereins gibt es wohl keinen Besseren, um die Mannschaft jetzt zu übernehmen. Vor allen Dingen im Hinblick auf die aktuellen Alternativen. Der Name José Mourinho spukte hartnäckig durch die spanische Hauptstadt.
Zidane ist so etwas wie der Anti-Mourinho. Seine Stärke ist sein Verständnis für große Spieler und wie man ihre Stärken am besten im Kollektiv zur Entfaltung bringen kann. Die Grundlage für Zidanes Erfolg bei seinem ersten Engagement war es, die gesamte Mannschaft hinter sich zu bringen, die Spieler zu verstehen und wertzuschätzen. Das beste Beispiel dafür ist sein Umgang mit Cristiano Ronaldo. Kein Trainer vor Zidane hatte es unbeschadet überstanden, den Portugiesen auf die Bank zu setzen. In seiner zweiten und dritten Spielzeit ließ er Ronaldo in der entscheidenden Phase der Saison nur jedes zweite Ligaspiel spielen, wechselte ihn aus und bekam nicht einmal abfällige Blicke des Superstars dafür.
Auch die Position von Ronaldo veränderte sich grundlegend. Während ihn Zidanes Vorgänger fast ausschließlich auf dem linken Flügel einsetzten, erkannte Zidane die Zeichen der Zeit und stellte für ihn immer häufiger auf ein 4−4−2 um. Ronaldo musste nicht mehr die weiten Wege in die Defensive gehen, was von ihm früher vor allen Dingen gegen große Gegner erwartet wurde, er musste sich kaum noch um den Spielaufbau kümmern und konnte sich im Frühherbst seiner Karriere auf die eine Sache konzentrieren, die er besser kann als jeder andere: Tore schießen.
Doch Ronaldo war nur das herausstechendste Symptom dafür, wie Zidane die Mannschaft verändert hatte, jeder Spieler bekam seine eigene Position, jeder hatte eine Aufgabe, mit dem er das Team besser machte: Marcelo und Carvajal übernahmen die Aufgaben der wegfallenden Flügelstürmer, Luka Modric und Toni Kroos sorgten dafür, dass Real ein bisweilen Barcelona-ähnliches Kurzpassspiel im Spielaufbau aufzog und Casemiro hielt den ganzen Laden zusammen. So entwickelte Zidane Real Madrid von einer Kontermaschine zu einer Mannschaft, die für jeden Gegner ein Rezept hatte. So kreierte Zidane das Monster, das drei Jahre lang den europäischen Spitzenfußball terrorisierte.
Die Gründe, warum Real Madrid Zidane zurück haben wollte, sind offensichtlich. Doch warum geht der Trainer diesen Schritt zurück? Eigentlich kann seine zweite Amtszeit nur enttäuschen. Die Spieler, die in den zweieinhalb Jahren auf dem Zenit ihrer Leistung waren sind nun darüber hinaus, wirken satt, die Egos von Stars wie Kroos oder Sergio Ramos sind auf Ronaldo-Größe angewachsen. Dennoch sagt Zidane: „Das erste woran ich gedacht habe, als ich gesehen habe, dass Florentino mich anruft war zurückzukommen.“
Der Rücktritt im vergangenen Mai erweist sich als genialer Schachzug des Franzosen. Die Erwartungen an die Mannschaft waren zu groß, der Präsident sperrte sich gegen den Umbruch. Auch Zidane wäre wohl ohne Titel geblieben und hätte so die magische Aura, die ihn umgibt, verloren. Genauso wie den Rückhalt von Presse, Fans und Kabine, den man nirgendwo schneller verliert als bei Real.
Alles gleich und doch alles anders
Real Madrid 2019 ist ein vollkommen anderes Projekt, als das, was Zidane verlassen hat. Damals galt es, die erfolgreichste Mannschaft in der fußballerischen Neuzeit weiterhin gewinnen zu lassen. Jetzt muss er einen gefallen Riesen wieder aufbauen. Ein Titel in der nächsten Saison, sofern es nicht die Copa del Rey ist, wird als erfolgreiche Saison gelten. Auch sein Status ist nun ein komplett anderer. Er ist nicht mehr der unbekannte Trainer, er ist laut seinem Chef der beste Trainer auf der Welt und dementsprechend hat sich nicht nur sein gehalt verdoppelt, sonder auch das Machtverhältnis hat sich verschoben. Pérez hat selbst erfahren, was sonst nur seine Trainer spüren: Wie schnell man in Madrid vom gefeierten Helden zum Buh-Mann wird. Ein Gefühl, das Pérez nicht kennt, das er nicht erträgt. Deshalb wird Zidane quasi einen Blankoscheck für den nächsten Sommer bekommen. Er darf das Team nach seinen Wünschen umbauen, er ist der neue starke Mann bei Real Madrid. Selbst wenn Zidane scheitern würde, sein Mythos würde dadurch nicht zerstört werden. Zu groß ist das, was er als Trainer und auch als Spieler für den Verein geleistet hat.
Als Zinédine Zidane drei Jahre, zwei Monate und acht Tage später den Rasen des Estadio Alfredo Di Stéfano betritt, glänz seine Glatze in der Sonne, seine Hände stecken tief in der Tasche seiner Jogginghose. So viel sich auch gleicht, alles ist anders. Niemand jubelt, niemand kreischt, kein Winken, kein schüchternes Lächeln. Das erste Training findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auf den Rasen tritt kein Trainerneuling, sondern eine Trainerlegende. Zidane ist gekommen, um Titel zu gewinnen.