Auf Instagram folgen ihm über 2 Millionen Menschen. Sein großer Traum: Profi werden. Nun hat er sein erstes Spiel für Hertha BSC gemacht. Wer ist Nader El-Jindaoui?
Dieser Text erschien erstmals in 11FREUNDE #239, als Nader El-Jindaoui für den Berliner AK in der Regionalliga Nordost spielte. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
An dem Tag, an dem alles zusammenbricht, hat Nader El-Jindaoui seine Follower gebeten, auf einen Link zu klicken. „Da klickt ihr drauf und dann gebt ihr einen Code ein.“ Der Deal: Wer „Jindaoui“ in ein kleines Feld tippt, kann online ein Ticket für das Spiel vom Berliner AK gegen Altglienicke zum halben Preis und also für fünf Euro kaufen. Wenige Augenblicke später versagen die Server, die Seite des Berliner Regionalligisten ist nicht mehr erreichbar. Nader El-Jindaoui ist 24 Jahre alt, er spielt als Rechtsaußen für den BAK. Über eine Million Menschen folgen ihm bei Instagram, 838 000 Abonnenten hat der Youtube-Kanal, den er zusammen mit seiner Frau Louisa betreibt. Seine Videos werden häufiger angesehen als das Vorabendprogramm deutscher TV-Sender. Er sorgt für tausende Zuschauer in der vierten Liga. „Ich gebe normalerweise keine Interviews“, sagt er an einem Montagnachmittag im August auf dem Weg zum Auto, „das bringt mir nichts.“ Seine E‑Klasse, AMG-Tuning, cremefarbene Ledersitze, steht in Berlin zwischen Gesundbrunnen und Wedding. Dann steigt er ein, erzählt von seinem Weg und seinen Träumen. Und wie sich der Fußball durch Typen wie ihn verändert.
Dass er so wenig Zeit habe, dass er kaum Interviews gebe, das solle man bitte nicht persönlich nehmen, aber: „Wir sind extrem scheu, was Fremde betrifft. Es gibt nur Mila, Louisa und mich. Und ein bisschen Familie.“ Aus den Boxen des Wagens drängt einfallsloser Rap, Nader El-Jindaoui steuert den Wagen Richtung Rosenthaler Platz. Raus aus dem Wedding, wo er, sagt er, in kein Café gehen könne, ohne von Fans angehalten zu werden. Denn die Sache mit der Scheu ist ein bisschen komplizierter. Genau genommen ist das Privatleben von Nader El-Jindaoui, seiner Frau Louisa und seiner Schwester Mila im Detail konsumierbar. Jeden Sonntag laden sie ein Video hoch, eigenhändig geschnitten, das ihre Woche dokumentiert, mit Titeln wie „Nader kocht das erste Mal“ (1,5 Millionen Aufrufe), „Nader will ein Kind ich weine …“ (2 Millionen Aufrufe), „Louisa ist schwanger“ (1,4 Millionen Aufrufe). Warum interessieren sich so viele Menschen für das Leben eines Viertligafußballers und das seiner Familie?
2014 ist Nader El-Jindaoui ein hoffnungsvolles Talent in der A‑Jugend von Energie Cottbus, Rückennummer Zehn. War er gut? „Ich schwöre, ich war krass. Vallah, ich war richtig krass.“ Tag und Nacht, sagt er, habe er auf dem Trainingsplatz gestanden. Wie viele andere Talente träumt auch El-Jindaoui vom Profifußball, wie viele andere Talente kann auch El-Jindaoui die Realität nicht richtig einschätzen. Er hat ein Problem mit dem Kopf. „Ich dachte, ich wäre Ronaldo.“ An den Wochenenden sitzt er mit seiner Jugendmannschaft auf der Tribüne in Cottbus, schaut Zweitligafußball. Aber Nader El-Jindaoui will in die Champions League. Ein Jahr später, nach einem Wechsel zum FC Chemnitz und einer Verletzung, ist er mit 19 Jahren vereinslos. Wer wissen will, was dann geschah, kann sich eines seiner meistgeklickten Videos bei Youtube ansehen: „Naders Weg zum Fußballprofi“ sammelte 250 000 Klicks in den ersten sechs Stunden. Am Abend der Veröffentlichung, am 7. Februar 2021, ist Nader El-Jindaoui der meistgesuchte Fußballer auf der Plattform transfermarkt.de – vor Marko Marin, Zlatan und Ilkay Gündogan. Jeder will wissen: Wer ist Nader?
„Da drüben komme ich her“, sagt er, während er am S‑Bahnhof Gesundbrunnen vorbeifährt. Er deutet mit dem Finger die Luftlinie an: Wollankstraße. „Manche sagen Ghetto. Ich sage einfach: schwere Gegend.“ Weil er im Sommer 2015 keinen Verein hat, spielt Nader im Wedding in einer umgebauten Industriehalle Fußball. Adidas hat dort einen Mix aus Showroom und Jugendzentrum errichtet für junge Fußballer aus der Gegend. Jeden Abend ab 21 Uhr ist er dort. Das Kleinfeld ist wie für ihn gemacht: Schnelle Dribblings, den Ball behaupten, im Eins-gegen-Eins seine Gegenspieler lächerlich machen, das kann er. Bei einem Turnier werden Sponsorenverträge für die zwei besten Spieler ausgelobt. Schon vor Anpfiff ist allen klar, dass El-Jindaoui einen davon erhalten wird, weil er so viel besser ist. In den kommenden Monaten bereitet der Sponsor die Geschichte um El-Jindaoui aus. Häuserfassaden in Berlin werden mit Bannern ausgekleidet, auf denen sein Gesicht zu sehen ist. Hochglanzvideos zeigen ihn, wie er auf dem Dach des Plattenbaus steht, in dem seine Familie lebt, wie er umringt von Kindern des Blocks steht und bedeutungsschwangere Sätze sagt wie: „Verlieren kommt nicht in Frage. Ihr geht erst weg, wenn ihr gewonnen habt.“
Jetzt, am Montagnachmittag, sitzt El-Jindaoui in einem Café am Rosenthaler Platz und trinkt Matcha Latte. Seine Frau Louisa habe ihm gesagt, das sei gesünder als Kaffee. Also trinkt Nader diesen Brei aus getrocknetem grünen Tee und Hafermilch, der bei Influencern so beliebt ist. Es geht um Youtube, um Algorithmen, um die richtigen Zeitabstände zwischen zwei Beiträgen im Internet. Wie hat das alles angefangen? „Louisa und ich saßen in meiner Wohnung, hatten nur die Matratze und einen Tisch. Also haben wir uns überlegt, was wir jetzt machen: Den Leuten erzählen, wie wir uns kennengelernt haben.“
Nader hatte sich 2018 entschieden, die Zelte in Berlin abzubrechen, es noch einmal mit dem Traum vom Profifußball zu probieren. Er ergattert ein Probetraining bei Greuther Fürth. Spielt für die zweite Mannschaft, darf ins Trainingslager mit dem Profikader. Dann verletzt er sich – wie so oft. Ein Zahnarzt sagt ihm, ursächlich für die vielen Verletzungen seien seine schlechten Zähne. Nader El-Jindaoui lässt sich daraufhin acht Zähne ziehen. Er lebt von 900 Euro in Fürth, zahlt 450 Euro Miete. Er sagt: „Wir haben an den Traum geglaubt, wir haben gekämpft“ – und Youtube-Videos gedreht. Wieso sind sie damit so erfolgreich? „Nach unserem allerersten Video hieß es, wir wären im Hype. Dann kam das nächste, dann wieder: Hype. Immer wieder: Hype.“
In ihren Videos geht es um Familie, Widerstände, es herauszuschaffen aus dem Ghetto. Die beiden sind ohne Zweifel schön, komisch, Vorbilder auf Schulhöfen. Nader erzählt von einer Rolex, die er sich gekauft hat. Von einem Mercedes Benz GT, seinem Traumauto, das er sich bald zulegen werde, wenn das Baby da ist, das die beiden erwarten. Es scheint, als würde Nader El-Jindaoui zwar gefeiert werden, aber für die falsche Sache. „Ich bin da, wo ich davor war. Ich bin Regionalliga.“