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Der Mann, der den rie­sigen Papp­karton hinter sich her­schleift, wird bald 55. Ein drah­tiger Kerl, im besten Alter. Doch seine Bewe­gungen sind schlep­pend und schwer­fällig, sein Blick wirkt müde. Paul James geht es gar nicht gut – weder kör­per­lich, noch see­lisch. Sein Leben hat ihn fertig gemacht. Die Drogen, der Alkohol, der Absturz. Die vielen bit­ter­kalten Nächte in den öffent­li­chen Park­an­lagen von Toronto und der stän­dige Hunger, der ihn seit ein­ein­halb Jahren quält. Nun ist auch noch sein Schlaf­sack kaputt. Und die geliebten Jog­ging­schuhe sind ver­schwunden. Ver­mut­lich gestohlen, aber so genau weiß er das nicht.

Das größte Ahorn­blatt

Paul James war einst so etwas wie die kana­di­sche Ver­sion von Franz Becken­bauer. Eine natio­nale Fuß­ball-Ikone. 1984 bei den Som­mer­spielen in L.A. hatte James, damals 20 Jahre jung, die Olympia-Aus­wahl der Ahorn­blätter“ auf Platz fünf geführt. Im Jahr darauf stand der gebür­tige Waliser in Kanadas A‑Nationalmannschaft, die sen­sa­tio­nell den Gold Cup gewann. Auch bei der ersten und bis­lang ein­zigen WM-Teil­nahme des Landes (1986 in Mexiko) war James mit an Bord. Er stand bei allen drei Vor­run­den­spielen (0:1 gegen Frank­reich, 0:2 gegen Ungarn, 0:6 gegen die Sowjet­union) in der Startelf und zählte stets zu den Besten. Fortan zierte das Trikot von Frank­reichs Alain Giresse das Wohn­zimmer des Paul James – zumin­dest, solange dieser noch ein festes Dach über dem Kopf hatte.

Im Jahr 2003 wurde James in Kanadas Soccer-Hall-of-Fame“ auf­ge­nommen. Das war quasi ein No-Brainer. Schließ­lich hatte der damals 40-Jäh­rige nach seiner aktiven Kar­riere zahl­reiche Erfolge als Trainer gefeiert. James arbei­tete in diversen nord­ame­ri­ka­ni­schen Ligen und als Nach­wuchs­coach beim kana­di­schen Ver­band. 2001 führte er das U20-Natio­nal­team sen­sa­tio­nell zur WM-Teil­nahme. Und ganz nebenbei war er ein beliebter Fernseh-Fuß­ball­ex­perte, stets witzig, spritzig und sach­kundig. Sein bri­ti­scher Akzent, so pflegten alte Team­kol­legen zu scherzen, ver­lieh ihm dabei eine ganz beson­dere Auto­rität. Kurzum: Paul James führte ein erfülltes Leben, ganz nah an der Sonne.

Crack als The­rapie“

Doch 2009 wurde es plötz­lich dunkel um den eins­tigen Strah­le­mann. Inner­halb weniger Wochen stürzte James brutal ab. Aus hei­terem Himmel hatte ihn eine schwere Depres­sion erfasst. Pro­fes­sio­nelle Hilfe in Anspruch nehmen? Das traute sich der Ex-Natio­nal­spieler nicht. James hatte pani­sche Angst, sein psy­chi­sches Leiden könnte öffent­lich bekannt werden. Statt­dessen wählte er die Hard­core-Droge Crack als The­rapie. Eine fatale Fehl­ent­schei­dung, die sein Leben voll­ständig rui­nieren sollte.

Als seine Dro­gen­sucht auf­flog, verlor James (zu dieser Zeit erfolg­rei­cher Chef­coach an der York Uni­ver­sity in Kanadas Col­lege-Liga) zunächst die Jobs als Trainer und TV-Ana­lyst. Wenige Jahre später waren auch sein Geld, seine Woh­nung, das Trikot von Alain Giresse und sämt­liche Freunde weg. Heute haust der eins­tige Profi in diversen Obdach­losen-Unter­künften. Oder in diesem über­di­men­sio­nalen Papp­karton, mit dem er in wär­meren Monaten von Park zu Park zieht. Doch selbst dazu könnte Paul James schon bald die Kraft fehlen, denn seit mitt­ler­weile 18 Monaten befindet er sich nahezu ständig im Hun­ger­streik.

Schwerste Man­gel­er­schei­nungen

Ein kleines Stück Brot, ein wenig Wasser und etwas heiße Brühe pro Tag. Mehr nimmt Paul James nicht mehr zu sich, wie er sagt. Damit will der gefal­lene Held auf die schrei­ende Unge­rech­tig­keit auf­merksam machen, die ihm – nach seiner Auf­fas­sung – wider­fahren ist. Depres­sionen und Dro­gen­sucht sind laut James psy­chi­sche Erkran­kungen. Und Krank­heit recht­fer­tigt keine Kün­di­gung durch den Arbeit­geber. Als er vor ein­ein­halb in den Hun­ger­streik trat, wollte James auf diese Weise seinen alten Trai­nerjob zurück­er­langen. Doch das war natür­lich aus­sichtslos. Inzwi­schen ver­langt er nur noch eine Ent­schul­di­gung von­seiten der kana­di­schen Regie­rung – oder zumin­dest eine Erklä­rung. Auch das ist aus­sichtslos, ebenso wie sein Wunsch nach einer Aus­sprache mit dem Rektor der York Uni­ver­sity.

So ver­hallt James’ Pro­test völlig unge­hört und unbe­achtet. Auf der Straße (er)kennt den eins­tigen Olympia- und WM-Fuß­baller ohnehin nie­mand mehr. Denn der Paul James von heute ent­fernt sich täg­lich ein Stück­chen weiter von jenem Men­schen, der er einst war. Und schon bald könnte dieses Helden-Epos ein äußerst tra­gi­sches Ende finden. Sein All­ge­mein­zu­stand ist so schlecht, dass James in jüngster Zeit fünfmal ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert werden musste – mit schwersten Man­gel­er­schei­nungen sowie Krämpfen und hef­tigen Schmerzen am ganzen Körper. Doch allzu viel konnten die Ärzte nicht für ihn tun. Sie ver­ord­neten ihm Infu­sionen. Und nach kurzer Zeit stand er wieder auf der Straße.

Mensch­liche Tra­gödie

Der Hun­ger­streik“, erzählte Paul James kürz­lich einem Reporter der Zei­tung The Star“, sei die ein­zige tak­ti­sche Waffe, die ich noch habe. Ich habe immer alles für den Fuß­ball in diesem Land gegeben. Aber das bedeutet scheinbar nie­mandem mehr etwas.“ Er wolle nicht sterben, sagt der halb­ver­hun­gerte Mitt­fünf­ziger noch trotzig. Aber ich bin auch nicht bereit, meinen Kampf für die gerechte Sache auf­zu­geben.“ Dabei sieht James sich auch als Vor­reiter im Dienste anderer: Wenn einer mit meinem Back­ground und meinem Lebens­lauf eine so schlechte Behand­lung erfährt – wie groß sind dann die Chancen für andere, gerecht und men­schen­würdig behan­delt zu werden?“

Kürz­lich mel­dete sich Tony Wai­ters, Kanadas Natio­nal­trainer wäh­rend der WM 1986, zu Wort: Es sei traurig, dass sein eins­tiger Mit­tel­feld­motor eine mensch­liche Tra­gödie schlimmsten Aus­maßes“ erlebe. Früher, merkte Wai­ters noch an, sei Paul James doch stets der fit­teste von allen gewesen.