Michael Oenning war Trainer in Nürnberg und Hamburg – und arbeitet mittlerweile in Thessaloniki. Ein Gespräch über seinen Chef (Angelos Charisteas), seinen Mentor (Horst Hrubesch) und einen schwer erreichbaren Kumpel (Jürgen Klopp).
Im Oktober 2019 lotste Sportdirektor Angelos Charisteas seinen ehemaligen Trainer Michael Oenning zu Aris Thessaloniki in den griechischen Norden. Mit seiner Mannschaft steht Oenning mittlerweile auf dem fünften Platz – und im Pokal-Viertelfinale.
Michael Ooenning, 2020 ist für Sie vielversprechend gestartet, Ihre Mannschaft bezwang PAOK im Lokalderby mit 4 – 2 und qualifizierte sich wenige Tage später auch für das Pokalviertelfinale. Was war wichtiger?
Für die Fans in der Stadt war das Derby natürlich enorm wichtig. Zumal wir eine Serie von 51 Spielen, in denen PAOK unbesiegt war, beendet haben. Letztendlich war dieser Sieg enorm wichtig für das Selbstbewusstsein der Mannschaft.
Sie sind seit knapp vier Monaten in Thessaloniki. Wie lautet Ihre erste Zwischenbilanz?
Da ich mitten in der laufenden Saison gekommen bin, war es für mich primär wichtig Zugang zur Mannschaft und zum Umfeld zu finden, um so eine Vertrauensbasis aufzubauen. Die erfolgreichen Ergebnisse haben es mir leicht gemacht und diesen Anpassungsprozess gefördert. Leider konnten wir uns, mit einer Ausnahme, in der abgelaufenen Winter-Transferperiode mit keinem neuen Spieler verstärken, zumal wegen Unregelmäßigkeiten in der Vergangenheit ein Transferstopp seitens der FIFA gegen uns verhängt wurde. Das erschwert natürlich etwas unsere Arbeit, aber ansonsten bin ich mit den Rahmenbedingungen sehr zufrieden.
Sie beteuern immer wieder, dass Sie ein Freund des offensiven und schnellen Fußballs sind. Inwieweit teilt Ihre Mannschaft diese Spiel-Philosophie?
Wer unsere Spiele verfolgt, wird feststellen, dass wir eine Mannschaft sind, die immer angreift und agiert und zudem viele Tore erzielt. Die Grundlage dafür bildet jedoch eine stabile Defensive und die Tatsache, dass wir kompakt nach vorne und nach hinten arbeiten. Ein besonderes Merkmal unserer Mannschaft ist der Mut auch gegen Teams, die vermeintlich als Favoriten gelten, nach vorne zu spielen. Wie die Partie bei Olympiakos Piräus gezeigt hat, wo wir zwar 2 – 4 verloren haben, aber phasenweise ebenbürtig waren.
Welche Rolle spielte bei Ihrer Verpflichtung Angelos Charisteas? Musste er schwere Überzeugungsarbeit leisten, um Sie nach Thessaloniki zu lotsen?
Ich war mit Angelos seit meiner Zeit als Nürnberg-Trainer, wo er mein Spieler war, eng verbunden und insofern war ich sehr angetan, als er sich als Technischer Direktor bei der Trainersuche an mich erinnerte. Ich betrachte dies als einen Vertrauensvorschuss, den ich bemüht bin zurückzuzahlen. Von meiner Seite kann ich unterstreichen, dass wir eine hervorragende Zusammenarbeit haben und in die gleiche Richtung denken.
Ihr Vertag bei Aris Thessaloniki läuft bis Saisonende. Erwägen Sie eine Verlängerung des Engagements in der nordgriechischen Metropole?
Im Moment gibt es keine Notwendigkeit darüber nachzudenken. Ich kann mir zwar durchaus vorstellen, in Thessaloniki über das Saisonende hinaus zu arbeiten. Aber momentan schaue ich nur auf unsere aktuellen Ziele.
Wie lauten diese Ziele?
Wir machen keinen Hehl daraus, dass wir gerne den Pokal gewinnen möchten. Das ist auch eine Sehnsucht der Fans, die nach sehr vielen Jahren wieder einen Vereinstitel feiern möchten. Zudem sind wir gewillt, nächste Saison international zu spielen. Das heißt, wir möchten uns für die Playoff-Runde qualifizieren, um so ein Ticket für einen europäischen Wettbewerb zu ergattern.
Welchen Eindruck haben Sie von der griechischen Super League?
Mein erster Eindruck, in der relativ kurzen Zeit meiner Präsenz in Griechenland, ist durchaus positiv. Auffällig ist auf den ersten Blick das Gefälle in der Liga, mit vier, fünf Teams, die gute Fußballer in ihren Reihen haben und oben mitmischen und den anderen Teams, die man aber auch nicht im Vorbeigehen besiegen kann. Natürlich ist es ein bisschen verfrüht ein abschließendes Urteil zu fällen, zumal ich jetzt erst gegen jedes Liga-Team angetreten bin.
„Das tut mir in der Seele weh“
Ist es nicht ein wenig traurig, wenn bei Auswärtsspielen keine eigenen Fans anreisen dürfen?
Das tut mir in der Seele weh, zumal ich das von meinen bisherigen Trainerstationen nicht kannte. Ich glaube, dass dadurch dem normalen Fan eine Menge genommen wird. Insofern hoffe ich, dass in absehbarer Zukunft eine Lösung gefunden und Normalität einkehren wird. Zudem ist es immer ein Nachteil für das Gästeteam, was nicht unbedingt zum sportlichen Fair-play beiträgt.
Apropos Fair Play. Beim Spiel Ihrer Mannschaft in Larissa wurde Ihr Spieler Abou Ba wüst beschimpft und mit rassistischen Tiraden beleidigt. Wie kann man diesem Übel begegnen?
Ich meine, dass der Fußball an sich einen erheblichen Beitrag zur Integration leistet, zumal die meisten Teams mittlerweile multikulturell aufgestellt sind. Das Phänomen tritt ja in diversen Formen des gesellschaftlichen Lebens auf, in den Fußballstadien genießt er, durch die Medienpräsenz, lediglich mehr Aufmerksamkeit. Ich hätte beim besagten Spiel meiner Mannschaft erwartet, dass der Schiedsrichter die Partie unterbricht, damit er ein klares Signal setzt. Hat er aber leider nicht getan, weil er wahrscheinlich mit der Situation überfordert war. Am nächsten Spieltag gab es dann, nach einer Verbandsinitiative, in jedem Stadion Transparente mit anti-rassistischen Botschaften.