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Als Ernst Happel das Urviech einmal zum Kar­ten­spielen ver­führte, brach der Coach nach kurzer Zeit ab: Cowboy, ver­giss es, wir müssen auf­hören, sonst gehören mir hin­terher Haus und Hof und Kinder und Frau dazu.“ Ein Poker­face war das Kopf­bal­lun­ge­heuer“ nie. Viel­leicht die ein­zige mensch­liche Schwäche, die Horst Hru­besch je offen­barte. Für Mit­spieler war der Mit­tel­stürmer stets ein Leucht­turm der Auf­rich­tig­keit. Thomas Von Heesen graust bis heute beim Gedanken, was Hru­besch wohl mit Claudio Gen­tile gemacht hätte, wenn er im Euro­pacup-Finale 1983 in Athen mit­be­kommen hätte, wie der Turiner Vor­stopper dem HSV-Stürmer Lars Bastrup den Unter­kiefer brach: Hätte Horst das mit­ge­kriegt, wäre Gen­tile ein toter Mann gewesen.“

Unge­rech­tig­keiten konnte der pol­ternden Leit­wolf nie ertragen. So zuver­lässig Hru­besch (Zitat: Manni Banane, ich Kopf – Tor“) jede Flanke seines Part­ners Man­fred Kaltz in die geg­ne­ri­schen Maschen wuch­tete, so unprä­ten­tiös gerierte er sich beim Errei­chen seiner sport­li­chen Ziele. Er lachte die Juve-Spieler in ihren Nadel­strei­fen­an­zügen aus, als er selbst die Platz­be­ge­hung vorm Euro­pacup-Finale im löch­rigen Trai­nings­anzug vor­nahm. Weil er spürte, wie groß der Respekt seiner Mit­spieler vor dem Turiner Star­ensemble war, führte er als Kapitän die Elf vor Anpfiff an der Ehren­tri­büne vorbei und blökte: Sind wir hier richtig, wenn wir nach dem Spiel den Pokal abholen wollen?“ Sätze klumpten aus seinem Mund wie Pflas­ter­steine. Und jedes Wort ein kleines Erd­beben: Haupt­sache, das Ei ist im Netz.“

Der weiche Riese wurde 1978 für 1,65 Mil­lionen Mark von Günter Netzer nach Ham­burg gelotst. Der Manager war beein­druckt von der Tor­quote, die Hru­besch beim Zweit­li­gisten Rot-Weiss Essen in der Saison 1977/78 erreicht hatte: 42 Treffer. Im bezahlten deut­schen Fuß­ball hat nie einer mehr Tore gemacht als er. Nicht mal der kleine, dicke Bomber“ aus Mün­chen.

Bra­chiales Fare­well in der Dis­co­thek Tenne“

Unter dem Regi­ment von Branko Zebec ent­wi­ckelte sich der West­fale schnell zum großen Anti-Helden der Liga. Auf den ersten Blick eher klobig, auf den zweiten unfassbar effektiv. Hru­besch wurde das Herz und der Bauch der erfolg­reichsten HSV-Mann­schaft aller Zeiten. Als direkter Ver­trauter seiner Trainer, zim­merte er an der Archi­tektur des Kaders mit, war u.a. Stich­wort­geber bei der Ver­pflich­tung von Ditmar Jakobs.

Er war dabei, als der HSV 1980 gegen Not­tingham For­rest das Lan­des­meis­ter­cup­fi­nale unterlag und auch ein Jahr später im Uefa-Cup gegen den IFK Göte­borg kurz vor knapp schei­terte. Am Ende aber holte er doch fast jeden Titel für die Han­seaten.

Als die HSV-Bosse den gerade 32-Jäh­rigen nach dem Tri­umph im Lan­des­meis­tercup 1983 und seiner dritten Meis­ter­schaft aus­mus­terten, ver­ab­schie­dete sich Hru­besch ohne Gram und stan­des­gemäß. Dabei hätte er allen Grund gehabt, mit der Ent­schei­dung der Bosse zu hadern. Er war noch kein alter Mann – und mit Sicher­heit hätte er den Mit­tel­stür­merjob noch ein, zwei Jahre zuver­läs­siger ver­sehen als sein Nach­folger beim HSV: der undis­zi­pli­nier­bare Dieter Schatz­schneider.

Doch bis heute steht er auf dem Stand­punkt, dass Happel und Netzer richtig lagen, als sie den Umbruch nach den großen Erfolgen ein­lei­teten und ihm keinen Anschluss­ver­trag mehr gaben. Mit einer legen­dären Feier in der Dis­ko­thek Tenne“ in seiner Geburts­stadt Hamm sagte er seinen Mit­spie­lern ein bra­chiales Fare­well“ – und allen HSV-Fans übers Sta­di­onmikro mit der zeit­losen Stil­blüte: Ich sag nur ein Wort: Vielen Dank“.

Wer hätte damals geahnt, dass Hru­besch 37 Jahre später zu seinem Her­zens­verein zurück­kehren würde?

Ver­kli­ckerte Native Digi­tals sein Wer­te­ver­ständnis

In den langen Jahren, die dazi­schen lagen, hat er ver­sucht, seine ange­bo­rene Auto­rität an ver­schie­denen Stellen mit­ein­zu­bringen. Am Anfang im Klub­fuß­ball. Doch der Pro­totyp des ver­snobten Profis konnte mit seinem alt­her­ge­brachten Ver­ständnis von Auf­rich­tig­keit und sport­li­cher Fair­ness nichts anfangen, eben­so­wenig die Son­nen­kö­nige in der Vor­stands­etage – wie etwa der mon­däne Dynamo-Boss Rolf-Jürgen Otto, der in Dresden nicht mal den Schneid hatte, Hru­besch per­sön­lich von seiner Demis­sion zu unter­richten. Die Nach­richt ereilte den Coach beim Nach­mit­tags­spa­zier­gang an der Elbe durch einen Kumpel, die die Nach­richt gerade im Radio gehört hatte.

Bevor er als Deutsch­lands ewiger Nach­wuchs­trainer zu seiner Bestim­mung fand, durch­schritt Hru­besch das Fege­feuer des modernen Fuß­balls. Als Co-Trainer von Erich Rib­beck erlebte er die Bank­rott­erklä­rung eines deut­schen Mar­ken­ar­ti­kels aus unmit­tel­barer Nähe. Als die DFB-Aus­­­wahl bei der EM 2000 gegen eine por­tu­gie­si­sche B‑Elf mit 0:3 unter­ging und sieglos nach Hause fuhr, saß er auf der Bank und weinte hem­mungslos. Weil er nicht begreifen konnte, wie sich Natio­nal­spieler ohne jeg­liche Gegen­wehr zur Opfer­bank führen lassen konnten.

Schließ­lich war er als Aktiver selbst Teil einer DFB-Aus­­­wahl gewesen, die zwar einer­seits als Beton­fuß­baller in die Geschichte ein­ging, ande­rer­seits aber emsig an dem­My­thos mit­wer­kelte, dass eine DFB-Elf erst geschlagen ist, wenn der Schiri abge­piffen hat.

Horst Hru­besch hat später mal gesagt, er bereue in seinem Leben nur eins: Dass er bei der WM 1982 nicht dis­zi­pli­nierter gelebt und sich so den ganz großen Erfolg im Finale ver­baut habe. Ein Fehler vor dem er seine Eleven immer bewahren wollte. Ab 2000 arbei­tete er 16 Jahre lang für den DFB in der Jugend­ar­beit. Er schliff fast drei Genera­tionen deut­scher Top-Profis und – fast noch wich­tiger – ver­kli­ckerte auch den Native Digi­tals sein zeit­loses Wer­te­ver­ständnis.

Die Jung­stars wussten: Auf das Wort des Alten können sie sich ver­lassen. Und auch wenn’s weh tut, die Kante aus Hamm sagt ihnen die Wahr­heit. Immer. Und ohne Schnörkel. Kurzum: Der Auf­schwung des deut­schen Fuß­balls nach der WM 2006 ist ohne Horst Hru­besch nicht vor­stellbar, der mit fast allen U‑Mannschaft über die Jahre große Erfolge ein­fuhr.

Als Jérôme Boateng nach der WM 2014 mit dem Pokal nach Hause kam, rief er als erstes seinen alten För­derer an:​„Trainer, ich bin Welt­meister.“ Sollte er auf ein Lob gehofft haben, wurde er ent­täuscht, denn aus Hru­beschs Mund klumpten Worte erneut wie Find­linge:​„Ja, schon klar, aber bei den langen Bällen musst du noch an dir arbeiten.“

Coa­ches, an denen er selbst sich aus­ge­richtet hatte, waren aus anderem Holz geschnitzt. Branko Zebec, ein gei­ge­spie­lender Fein­geist mit sub­tiler sadis­ti­scher Ader, und natür­lich Ernst Happel, der mit einer hoch­ge­zo­genen Augen­braue seinen Män­nern mehr mit auf den Weg gab, als andere Übungs­leiter mit stun­den­langen Mono­logen. 

In der Lüne­burger Heide hat Hru­besch lange Jahre Edel­blut­haf­linger gezüchtet. In der Küche seines Hofs unweit von Uelzen klebten die Hanuta-Bilder deut­scher Profis an der geka­chelten Wand. Und ganz oben – fast wie eine Ziel­scheibe – das Bild­chen von Jogi Löw. Im Gegen­satz zur äthe­ri­schen Laptop-Atmo­­sphäre bei der A‑Mannschaft wirkte Hru­besch in seinem Nach­wuchs­ge­werke stets wie der letzte Mofa­ro­cker aus der Vor­stadt. Den­noch hat er alle Per­so­nal­ro­chaden im Ver­band unbe­schadet über­standen. Einen mit seinem Händ­chen kann man eben nicht eben mal ersetzen. Solche Typen werden heute nicht mehr gebaut.

Die Frauen-Natio­nalelf schloss den bol­le­rigen Grizzly auf Anhieb in ihr Herz

Pfer­de­zucht ist ein Geduld­spiel, aber wer wie er in der Lage ist, glei­cher­maßen Ver­trauen, Zunei­gung und Auto­rität zu ver­kör­pern, bringt es auch in diesem Job zu wahrer Meis­ter­schaft.​„Pferde sind Lebe­wesen“, sagt er,​„da gibt es viele Par­al­lelen zu jungen Men­schen.“ Seiner Gattin Ange­lika hatte er ver­spro­chen, dass er nach den Olym­pi­schen Spielen 2016 – dem letzten großen High­light seiner Lauf­bahn – Schluss mit dem aktiven Fuß­ball machen wolle. Dann aber schied Hansi Flick aus dem Amt als DFB-Spor­t­­di­­rektor und beim Ver­band fiel auf die Schnelle keinem eine bes­sere Lösung ein als: der Lange.

Und als Steffi Jones als Trai­nerin bei der Frauen-Natio­nalelf schei­terte, ließ er sich eben­falls nicht bitten. It’s a dirty job, but someone… Wohl auch, weil ihn der Frau­en­fuß­ball mit den weniger gelackten, boden­stän­di­geren Begleit­um­ständen an seine eigene Zeit als Profi erin­nerte. 

Die Frauen schlossen den bol­le­rigen Grizzly auf Anhieb in ihr Herz. Er nannte sie​„Mädels“, seine​„Kleenen“. Er darf das, schließ­lich könnten alle seine Enke­linnen sein. Hru­besch nahm sie in den Arm, scheuchte sie und wenn es nötig war, trat er sie auch in den Hin­tern. Heute sagt er, dass die Frauen seine Art viel besser abkonnten als manche Männer, dass sein aller­letztes Kapitel in seiner Zeit beim DFB für ihn das schönste gewesen sei, weil die Arbeit mit den Frauen so leicht gewesen sei, weil diese seinen Erwar­tungen von vorn­herein viel mehr ent­spro­chen hätten als die Männer. Echte Typen, sagt er, seien diese Mädels. 

Eigent­lich war damit im Fuß­ball alles erle­digt. Bei der Gattin löste er das Ver­spre­chen ein, auf Welt­reise zu gehen. Er wollte ein Buch schreiben, über Flie­gen­fi­schen. Doch dann kam Corona, das Reisen wurde zum Ding der Unmög­lich­keit und ihm wurde etwas fad. Als HSV-Boss Jonas Boldt ihn anrief und fragte, ob er sich vor­stellen könne, Leiter des Nach­wuchs­be­reichs in Stel­lingen zu werden, schlug er nach kurzer Bedenk­zeit ein. Nicht, weil er unbe­dingt noch etwas gut zu machen hatte bei seinem alten Klub. Nein, son­dern weil er das Gefühl hatte, dass der neue Chef am Volks­park es ernst mit ihm meint – und ihn nicht, wie viele seiner Vor­gänger, nur als Gali­ons­figur miss­brau­chen will.

Das nächste Pro­jekt wartet bereits

Nun feiert Horst Hru­besch seinen 70. Geburtstag – in Amt und Würden und emsig wie eh und je. Andere in seinem Alter spielen Boule, glotzen Fern­sehen oder jäten Unkraut. Er nicht, ihm gefällt das Gefühl, noch mittun zu können und im Zweifel, ein, zwei, drei junge Spieler pro Saison zu den HSV-Profis auf­steigen zu sehen. Damit der gefal­lene Klub nicht nur sport­lich wieder nach vorne kommt, son­dern sich auch von seinem über Jahr­zehnte hart erar­bei­teten Image befreit, nichts besser zu beherr­schen, als sinnlos Geld für Söld­ner­profis zu ver­prassen, denen die Raute sonstwo vorbei geht.

Irgendwie gut, dass er immer noch da ist. Wie lange noch, das bestimmt er ganz allein. Es gibt nichts, was er noch beweisen müsste. Aber fertig hat der Alte ganz bestimmt noch nicht. Und sollte der Cowboy irgend­wann doch gen Wohnort Neu­münster in den Son­nen­un­ter­gang reiten und den aktiven Fuß­ball hinter sich lassen, steht sowieso das nächste Pro­jekt bereits an. Das geplante Buch über die welt­weit schönsten Gewässer zum Flie­gen­fi­schen mit dem unschlag­baren Titel: Fliegen – um die Welt“.

Herz­li­chen Glück­wunsch zum 70sten, Horst Hru­besch. Uns bleibt nur, ein Wort zu sagen: Vielen Dank!