Nach 14 Jahren beim BVB beendet Marcel Schmelzer seine Karriere. Er wird als Vereinslegende in Erinnerung bleiben. Auch wenn manch einer das in Dortmund erst spät erkannt hat.
Schmelzers Stern begann allmählich unterzugehen, als er 2016 Widerwillens ins Kapitänssamt gehievt wurde. In einer Zeit voller Umbrüche und einer Mannschaft auf der Suche nach der eigenen Identität sollte Marcel Schmelzer den Kommunikator nach außen geben, musste Charakter beweisen. Eine Rolle, mit der er nie zurechtkam.
Trotzdem durfte Schmelzer als Kapitän 2017 den DFB-Pokal in den Himmel recken. Und demontierte sich anschließend selbst. Denn nur wenige Minuten später gab er der ARD ein folgenschweres Interview, in dem er seinen Trainer Thomas Tuchel öffentlich dafür kritisierte, seinen Buddy Nuri Sahin aus dem Kader gestrichen zu haben. Als Dortmunds Trainer letztlich – vor allem wegen Differenzen mit Hans-Joachim Watzke – gehen musste, sahen Teile der Fans in Marcel Schmelzers Sahin-Bekenntnis eine Art Königsmord.
Auch auf Anraten seines Förderers Jürgen Klopp gab Schmelzer ein Jahr später die Kapitänsbinde an Marco Reus weiter. Es hatte eine befreiende Wirkung. Eine kurze Hochphase mit dem Neubeginn unter Lucien Favre durchkreuzten jedoch wiederkehrenden Verletzungen.
Weder auf noch abseits des Platzes trat Schmelzer Zeit seiner Karriere vorausschauend auf. Er war nie einer, der den Kopf oben hatte. Niemand, der sein Umfeld zu scannen versuchte. Ein typischer Schmelzer hatte den Kopf gesenkt, Blick auf den Ball. Vermutlich hätte er seine Beine ansonsten auch nur schwer koordiniert bekommen. „Mit dem Kopf durch die Wand wird nicht gehen. Da siegt zum Schluss immer die Wand“, hat Angela Merkel mal gesagt. Natürlich in einem völlig anderen Zusammenhang. Es ging um einen Tarifkonflikt zwischen der Lokführergesellschaft GDL und der Bahn. Hätte sie Marcel Schmelzer aber zu diesem Zeitpunkt gekannt, vielleicht hätte sie diesen Satz dann nie gesagt.
Schließlich hat der das erfolgreiche Kopf-durch-die-Wand-Prinzip patentiert. Was nämlich genau seine Stärken sind, ist gar nicht so einfach herauszustellen. Er hatte keinen feinen Fuß, war kein kluger Verteidiger, hatte nicht das größte Spielverständnis, unvergessen in Dortmund seine 70-Meter-Flankenläufe, um den Ball dann in den Oberrang zu prügeln. Doch, und das ist manchmal schon genug: Schmelzer hat einen Kopf, zwei funktionierende Beine und ein verdammt großes Herz. Und wenn ein Spieler diese drei Komponenten auf den Rasen bekommt, dann kann selbst für einen limitierten Kicker aus Sachsen-Anhalt eine derartige Fußballreise zustande kommen. Und wenn er dafür mit dem Kopf durch die Wand muss.
Und sowieso gilt: Wer sein Team gegen Real Madrid zum Sieg schießt, der hat eine lebenslange Ausrede für jede Flanke, die hinterm Tor landet, jeden Pass, der verhungert und jeden Ball, den er an der Seitenauslinie kläglich verstolpert.
Mit Marcel Schmelzer verliert die Bundesliga nun ihren vereinstreuesten Spieler. Nicht mal Thomas Müller kommt auf die 13 Jahre und 10 Monate, die Schmelzer beim BVB unter Vertrag gestanden hat. Ein wundersamer Abschied wie Lukas Piszczek im vergangenen Jahr wird ihm am Samstag leider nicht zuteil. Schmelzer stand beim BVB in diesem Jahr bloß noch unter Vertrag, weil er seine Reha nach einer Knie-OP in gewohntem Umfeld absolvieren sollte. Er habe seit vier Monaten nicht trainiert, ein Einsatz am Samstag sei demnach „nicht umsetzbar“, sagte Trainer Marco Rose. „Auch wenn ich es mir wünschen würde und ich weiß, dass sich auch die Fans das wünschen würden.“ Es kommt also kein 368. Einsatz hinzu. Auch nicht für zwölf Sekunden. Doch was ist das schon wert, verglichen mit einer Karriere für die Dortmunder Ewigkeit?