Im September wird Fritz Keller, Präsident des SC Freiburg, zum neuen DFB-Boss gewählt. Ist der Winzer der geeignete Kandidat, um interne Fronten im Verband zu schließen, das beschädigte Image aufzupolieren und damit den DFB endlich zukunftsfähig zu machen?
Auf der Herrentoilette im „Schwarzen Adler“, dem Sterne-Restaurant der Familie Keller im Kaiserstuhl, hängt ein Foto. Es zeigt Franz Keller, den Winzerkönig und Vater des designierten DFB-Präsidenten, wie er 1984 am Freiburger Güterbahnhof neben Feinschmecker-Koch Paul Bocuse steht und beide grinsend gegen einen alten Reichsbahn-Wagon pinkeln. Das Bild soll zeigen: Gediegene Sterneküche und volkstümliche Hemdsärmligkeit schließen sich hier im schönen Baden nicht aus. Nur weil ein Wein mit großer Sensibilität erzeugt wird, heißt es nicht, dass nicht in rauen Mengen verkostet und schließlich auch verklappt werden darf. Die große Leistung von Fritz Keller, dem Sohn des strullenden Winzerfürsten, als Geschäftsmann war es in den vergangenen Jahren denn auch, die Erzeugnisse seines Premium-Weinguts dem Normalbürger zugänglich zu machen, indem er die edlen Keller-Tropfen auch über Discounter vertreibt.
Diese Geschichte sagt schon viel aus über den Mann, der in Zukunft die Geschicke des größten Sportfachverbands leiten soll – und dabei die internen Fronten schließen und das schwer beschädigte Image des DFB polieren soll. Obwohl Fritz Keller mit einem goldenen Löffel im Mund auf die Welt kam, ist er mit der Fähigkeit ausgestattet, milieuübergreifend zu kommunizieren. Mit der tänzelnden Leichtigkeit des geborenen Gastgebers vermittelt er selbst großen Gesellschaften das Gefühl von Behaglichkeit und Verständnis. Zumal ihm auf den ersten Blick diese für nordische Gemüter urbadische Sanftheit anhaftet. Kurz: Keller kann Leute zusammen an einen Tisch bringen.
Ein gutes Paket an Social Skills
Und lässt man außer Acht, dass nach der Fehlbesetzung des Präsidentenpostens mit dem hölzernen Machtpolitiker und Kleinkrämer Reinhard Grindel sowieso kein noch weniger geeigneter Nachfolgekandidat vorstellbar gewesen wäre, muss man anerkennen, dass Keller ein gutes Paket an Social Skills mitbringt, die ihn zum jetzigen Zeitpunkt zum DFB-Präsident qualifizieren:
Er ist ein Kandidat von außen, einer, der mit den alten Seilschaften im Verband hat er wenig zu tun.
Keller hat es in den Gesprächen mit den Landesverbänden mit seiner konzilianten Art offenbar geschafft, die Entscheider allesamt auf seine Seite zu ziehen.
Als Wirt weiß er, wie man auch in schwierigen Momenten gute Stimmung erzeugt. Und Menschen zusammenbringt.
Dass er der Patensohn von Fritz Walter ist, dürfte zusätzlich Traditionalisten für ihn einnehmen.
Und: Keller ist von Hause aus über die Maßen wohlhabend. Sein Unternehmen hat weit über die badischen Grenzen hinaus einen guten Ruf. Er wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, würde er diese Reputation – und damit die Bürde seines Familienerbes – etwa durch die Annahme von Uhrengeschenken oder anderen Hinterzimmergeschäften, in die hohe Fußballfunktionären freilich stets ohne Eigenverschulden hineingeraten – aufs Spiel setzen würde.
Als Präsident des SC Freiburg engagiert er sich für den Frauenfußball und wird nicht nur bei der eigenen C‑Jugend auf der Tribüne vorstellig, sondern schaut auch öfter mal das Match eines unambitionierten Amateur-Klubs aus der Region an. Keller bezieht klar Stellung gegen rechte und rassistische Auswüchse unter Fans. Und wer ihn auf der VIP-Tribüne erlebt, der weiß, dass sein sportlicher Ehrgeiz im Extremfall durchaus mit ihm durchgeht und er, wenn ihn das Gefühl beschleicht, sein Verein oder er persönlich würde ungerecht behandelt, durchaus mal die Contenance verliert.
Und da könnte ein Problem in seiner neuen Funktion lauern. In solchen Momenten nimmt der flauschige Honigbrötchen-Präsi nämlich gern mal das Heft des Handelns in die eigene Hand. Aus seiner Zeit beim SC sind etliche nicht abgesprochene Vorstöße bei Medien aktenkundig. Wie viele erfolgreiche Geschäftsleute, die auf Funktionärsebene im Profifußball nach Wahrnehmung gieren, ist auch Keller mit öffentlicher Kritik manchmal überfordert und reagiert kratzbürstig. In Baden kennen sie diese Seite an ihm, is’ halt „der Fritz“, den muss man nehmen, wie er ist.
Sollte Keller in der Funktion des DFB-Chefs aber ebenso rasant persönlichen Gefühligkeiten nachgeben, könnte es schwierig für ihn werden. Denn was passiert, wenn ein Verbandsboss in Augenblicken zur beleidigten Leberwurst metamorphisiert, durften wir bei Reinhard Grindels abgebrochenem Deutsche-Welle-Interview besichtigen. Der Auftritt war das Fanal zu seinem späteren Rücktritt. Da kennen die Sozialen Netzwerke keine Gnade.
Er wäre gut beraten, gute Berater zu haben
Keller sollte sich also bewusst sein, dass er von nun an kein drolliger Provinzfürst mehr ist, sondern die Wahrnehmung eines Staatsmannes erhält. Dass jede seiner Äußerungen auf die Goldwaage gelegt wird und er gut beraten ist, wenn er sich gute Berater an die Seite holt und jeden Schritt mit ihnen sorgsam abwägt. Keller wird lernen müssen, sich in die beamtischen Strukturen einzuarbeiten. Dass er in ein Spannungsfeld gerät, das ihm als erfolgreicher Geschäftsmann seit jeher ein Graus sein wird: zwischen Aktenfresser, revisionistische Sachbearbeiter und Ressortleiter, die um nichts mehr fürchten als um ihre Pfründe.
Mit anderen Worten: Auf Fritz Keller wartet eine Herkulesaufgabe, für die er sich noch dazu aus seiner badischen Komfortzone heraus bewegen und ins frostige Frankfurt gehen muss. Es spricht einiges dafür, dass es für die Verantwortlichen nicht einfach war, überhaupt einen geeigneten Kandidaten zu finden, der sich für das DFB-Amt zu Wahl stellt. Den Satz von Theo Zwanziger, dass nur der Papst einen noch schöneren Job hat als der DFB-Präsident, würde heute ohne eine satte Portion Sarkasmus wohl niemand mehr so sprechen. Es gehört also reichlich Mut dazu, sich in so einer Situation zur Wahl zu stellen. Zumal Fritz Keller viel mehr als einen Ruf zu verlieren hat. Und ihm wird es kalt den Rücken runterlaufen, wenn er sieht, wie beschädigt seine Vorgänger aus dem Amt geschieden sind: Theo Zwanziger kämpft vor Gericht verzweifelt um sein Ansehen. Wolfgang Niersbach, ein angesehener PR-Experte, bleibt vor der Folie des Sommermärchen-Skandals als achselzuckender Stammler in Erinnerung. Und schließlich der prahlende Uhrensohn Reinhard Grindel.
Womöglich hat Fritz Keller deshalb in die Kandidatur eingewilligt. Weil er weiß, schlechter kann es nicht mehr werden. Im Sinne des deutschen Fußballs bleibt ihm nur zu wünschen, dass er mit dieser Einschätzung richtig liegt.