In den ersten 27 Geisterspielen seit dem Re-Start gab es bloß fünf Heimsiege. Damit beschleunigt sich allerdings nur ein bekannter Trend, wenn auch rapide. Denn der Heimvorteil nimmt schon seit geraumer Zeit stetig ab.
Dann sind da die Reisen. Früher konnte die Anfahrt zu einem Auswärtsspiel mit echten Strapazen verbunden sein, vielleicht gar mit Abenteuern wie dem Besteigen eines zweimotorigen Ostblockflugzeugs. Das ist heute nicht mehr so, trotzdem bleibt jede Reise eine Fahrt ins Ungewisse. Umgekehrt könnten Sportler daheim eine Art Grundvertrauen spüren, weil sich jeder Mensch an einem ihm bekannten Ort sicherer fühlt. „Die vertraute Umgebung ist wichtiger als der Einfluss des Heimpublikums“, sagt daher Günter Amesberger, lange sportpsychologischer Betreuer der österreichischen Nationalmannschaft.
Der Psychologe Strauß vertritt eine dritte These. Er sagt, dass der Heimvorteil nicht viel mehr ist als eine Art selbsterfüllende Prophezeiung: Die Spieler der Heimelf glauben, dass sie einen Vorteil haben, und gehen daher mit größerem Selbstvertrauen in die Partie, während die Gäste verunsichert sind, weil sie sich im Nachteil wähnen.
Die meisten Wissenschaftler halten den Heimvorteil für eine Kombination aus all diesen Elementen. Doch selbst daran gibt es Zweifel seit einer Studie der schwedischen Universität Gävle, deren Ergebnisse man im März 2013 in der Zeitschrift „Journal of Sport Behaviour“ nachlesen konnte. Drei Psychologen hatten sich einen Sport angesehen, in dem es keinen Schiedsrichter und keine Zuschauer gibt: Schach. Die Schweden analysierten die Resultate von zehn Jahren und schlussfolgerten: „Solange die Teams Spieler von annähernd gleicher Stärke haben, lässt sich kein Heimvorteil feststellen.“ Die Autoren glauben, dass dies die These von der selbsterfüllenden Prophezeiung widerlegt und auch die Bedeutung der vertrauten Umgebung mindert. Ihre Studie, schreiben sie, „stützt die Vermutung, dass der Heimvorteil durch das Publikum und den Schiedsrichter entsteht“.
Doch es geht immer weiter: Denn seit geraumer Zeit beobachten Statistiker im Fußball ein interessantes Phänomen – das unaufhaltsame Schrumpfen des Heimvorteils. Die oben erwähnten 50,9 Prozent der Spiele in der Bundesliga, die einen Heimsieg produzieren, stellen ja nur einen Mittelwert dar. Spannend wird es, wenn man sich die Entwicklung ansieht. So endeten in den ersten 25 Jahren der Ligageschichte nie weniger als 50 Prozent der Spiele mit einem Erfolg des Gastgebers. Doch seit 2004 wurde diese Marke kein einziges Mal mehr geknackt. Der historische Höchstwert stammt aus dem Jahr 1978, als die Heimteams 62,4 Prozent der Spiele gewannen, der schlechteste Wert liegt bei 40,2 Prozent und wurde zweimal erreicht, 1991 und 1996. Auch deswegen schreibt die Statistikerin Eva Heinrichs: „Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre kommt die Trendwende. War bis dahin der Heimvorteil vorhanden und stark, nimmt seit diesem Zeitpunkt die Bedeutung signifikant ab.“