In den ersten 27 Geisterspielen seit dem Re-Start gab es bloß fünf Heimsiege. Damit beschleunigt sich allerdings nur ein bekannter Trend, wenn auch rapide. Denn der Heimvorteil nimmt schon seit geraumer Zeit stetig ab.
Die Einführung des Videobeweises stieß nicht gerade auf ungeteilten Beifall. Einige Berufsgruppen aber dürften sich darüber gefreut haben, dass nun die Entscheidungen auf dem Platz im stillen Kämmerlein überprüft werden. Etwa Statistiker. Oder Psychologen. Beide beschäftigen sich nämlich schon lange mit einem komplexen Phänomen – dem Heimvorteil.
Um kurz in die Historie einzutauchen: Ein rechnerischer Vorteil für den Gastgeber existiert in fast allen Sportarten, über Kontinente und Jahrzehnte hinweg. Im US-Sport, der keine Unentschieden kennt, gilt die Faustregel, dass 55 bis 60 Prozent der Spiele von der Heimmannschaft gewonnen werden. Im Fußball ist die Anzahl der Heimerfolge etwa so groß wie die der Unentschieden und der Auswärtssiege zusammen. So endeten von den zwischen 1963 und 2018 ausgetragenen 16 772 Bundesligapartien 50,9 Prozent mit einem Sieg der Hausherren, 23,4 Prozent gingen remis aus und 25,7 Prozent wurden von den Gästen gewonnen.
Doch warum ist das eigentlich so? Trotz zahlreicher Untersuchungen fischen die Wissenschaftler im Trüben. Da ist zunächst das Publikum. Es scheint logisch, dass die Unterstützung durch die eigenen Fans ein Team anspornt. Doch schon zur WM 2006 stellte der Sportpsychologe Bernd Strauß in einem Gespräch mit dem „Stern“ fest: „Jubel spielt Studien zufolge für das Endergebnis des Spiels gar keine Rolle. Auch die Dichte der Zuschauer oder ihre Anzahl ist für einen Sieg unerheblich.“
Die Wirkung des Publikums auf die Spieler ist statistisch zu vernachlässigen, weil die Fans ihrem Team ebenso oft schaden wie nutzen, zum Beispiel wenn ihre Erwartungen lähmenden Druck aufbauen. Doch Zuschauer können ihrer Elf auf eine andere Art helfen. Professor Thomas Dohmen legte 2003 dar, dass sich Schiedsrichter unbewusst von den Zuschauern beeinflussen lassen. „Der Effekt ist am größten“, schreibt Dohmen, „in Stadien, in denen die physische Distanz zwischen dem Publikum und dem Schiedsrichter am geringsten ist, und wenn vergleichsweise wenige Fans der Gastmannschaft das Spiel verfolgen.“