Straßenkids aus Marokko, Todesfälle an der Grenze, islamistische Ghettos: Die spanische Exklave Melilla klingt nach Ärger. Mittendrin: UD Melilla. Und der Traum von der zweiten Liga.
Dass es bei manchen Fußballfans beim Namen UD Melilla klingelt, hat vor allem mit Real Madrid zu tun. Denn im vergangenen Oktober mussten die Stars des glamourösesten Klubs der Welt in eine kleine Propellermaschine steigen, die sie dann zum nicht wesentlich größeren Flugplatz von Melilla flog, auf dem die Piloten noch auf Sicht landen müssen. Copa del Rey, Runde der letzten 32.
Als Madrid der Mannschaft zugelost wurde, richtete einer der Mitarbeiter von Luis Manuel Rincon gerade eine Kamera auf seinen Chef. Und El Presidente drehte in seinem Büro, das eigentlich eher ein Kabuff ist, vor Freude durch. Hüpfte auf und ab, umarmte seine Mitarbeiter, raufte sich ungläubig die Haare. Das Video wurde zum Renner in der Exklave. „Vor meinem Arbeitsantritt habe ich zu den Leuten gesagt: Irgendwann werde ich in diesem Stadion neben dem Präsidenten von Real Madrid, neben Señor Florentino Perez sitzen. Das habe ich jetzt immerhin schon geschafft.“ Das Spiel ging zwar mit 0:4 verloren, an das Erlebnis denken aber alle gerne zurück. Vor allem Kapitän Mohamed Mahanan.
Er ist einer von nur drei Spielern, die in Melilla geboren wurden, mittlerweile 35 Jahre alt und, man kann das sehen, wenn man ihn beim Training beobachtet, nicht ganz auf dem technischen Level seiner jüngeren Mitspieler. Bei den Aufwärmspielchen verspringen ihm Bälle, er bekommt dann von der Gruppe kumpelhafte Nackenklatscher. Wer zu doll zuschlägt, muss mit einem Tritt in den Hintern rechnen. Entkommen kann diesen keiner. Mahanan mag zwar älter sein als die anderen, aber er ist nach wie vor fast unverschämt gut austrainiert. Und ein hervorragender Geschichtenerzähler.
„Karim Benzema, den kennen Sie, oder?“ Schon als er die Anekdote anreißt, brechen die anderen Jungs, die seine Söhne sein könnten und jetzt, nach dem Training, um ihn herumstehen, in Gelächter aus. Sie wissen, was folgt. Mahanan steht auf und stellt die Szene, seine vielleicht größte jemals, möglichst originalgetreu nach. Wie er, der doch eigentlich recht hüftsteife Innenverteidiger, den französischen Superstürmer einfach ins Leere hatte laufen lassen. „Sehen Sie“, sagt er und lässt den imaginären Benzema mit einem leichten Wackler alt aussehen, „einfach so“.
Mahanan kennt den Verein und die Stadt wie kein Zweiter, seit 2005 spielt er für die erste Mannschaft, über einen Wechsel habe er nie nachgedacht. „Ich trage den Klub im Herzen“, sagt er. Wie er das mit dem Käfig wahrnimmt? Er kenne es ja nicht mehr anders. Außerdem habe er alles, was er brauche, hier in Melilla. Und der Zaun, die Flüchtlinge, all das Leid? „Wenn Menschen sich die Arme aufschlitzen, weil sie im Zaun hängenbleiben, dann lässt mich das nicht kalt. Überhaupt nicht, es tut mir weh. Aber: Dass Melilla nur deswegen wahrgenommen wird, ist ärgerlich. Diese Stadt stand stets für Toleranz. Ich bin Moslem, unsere Physiotherapeuten sind jüdisch. Wir leben hier alle zusammen.“
Außerdem, sagt er, sei es leicht, mit dem Finger auf Melilla zu zeigen. Dabei sei die Sache mit den Flüchtlingen eine Herausforderung, die alle in Europa gemeinsam zu lösen hätten. Der Pressesprecher ergänzt aus dem Hintergrund: „We are just the fucking door!“ Mahanan sagt: „Wir in Melilla können das nicht allein regeln.“
Zumal die kleine Stadt noch eine Reihe weiterer Probleme hat. Zum Beispiel die Situation der unbegleiteten Jugendlichen, die auf der Straße leben. Es sind vor allem Marokkaner, die durch ein Abkommen zwischen beiden Ländern relativ leicht nach Melilla einreisen können. Man sieht manche von ihnen in den Klippen unterhalb der alten Festung, wo sie in kleinen Höhlen übernachten und tagsüber umherklettern und Steine ins Mittelmeer schmeißen. Oder in Brachflächen in der Nähe des Hafens, wo sie rumhängen, Hasch rauchen und auf die nächste Gelegenheit zur Überfahrt warten. Bei Nacht versuchen sie dann, auf eine der großen Fähren zu klettern, die von Melilla aus das spanische Festland ansteuern. Meistens klappt das nicht. Etwa 50 leben derzeit auf den Straßen Melillas, sagt eine Ärztin, die versucht, die Jugendlichen medizinisch so gut es geht zu versorgen. Viele seien auf Drogen, manche bewaffnet. Die Stimmung ihnen gegenüber ist aufgeheizt in der Stadt.
„Es schmerzt mich“, sagt Soufiane Chakla und klopft sich aufs Herz. Melillas Abwehrchef ist selber in Marokko geboren. „Sie rufen nach mir auf der Straße, sie rufen: Souf, gib uns etwas Geld oder etwas zu essen. Ich gehe dann in einen Shop und besorge ihnen eine Kleinigkeit. Aber das ist keine Lösung. Marokko muss dafür sorgen, dass sie gar nicht erst abhauen wollen.“