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Seite 2: „Die Jungs, die dort sitzen, sind irre“

Seit 1998 ist die Stadt von einem Zaun umschlossen. Zunächst war dieser kaum hüft­hoch und sollte vor mit Cho­lera infi­zierten Tieren schützen. Doch nach und nach wurde der Zaun auf sechs Meter erhöht, ein zweiter und dritter kamen dazu. Außerdem: rasier­mes­ser­scharfer Sta­chel­draht, Wach­türme, Wär­me­bild­ka­meras. Trotzdem ver­su­chen Flücht­linge, vor allem aus den Län­dern süd­lich der Sahara, den Zaun zu über­klet­tern.

Manche sterben bei dem Ver­such, weil sie ver­bluten oder weil ihre Kno­chen bre­chen oder weil ihnen das Herz ste­hen­bleibt. Andere werden, Angaben von Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen zufolge, von der spa­ni­schen Polizei zurück nach Marokko geprü­gelt. Ohne die ihnen eigent­lich recht­lich zuste­hende Chance zu bekommen, in Mel­illa Asyl zu bean­tragen. Die Bilder von abge­kämpften Gestalten, die auf dem Zaun hocken und ver­su­chen Europa zu errei­chen, wäh­rend Golfer auf der spa­ni­schen Seite des Zaunes unbe­ein­druckt davon abschlagen, gingen um die Welt. Was macht es mit den Men­schen in Mel­illa, wenn direkt vor ihrer Tür Men­schen auf grau­same Weise umkommen? Wie lebt es sich in einem Käfig? Und wie bekommt man Fuß­baller hierher, die doch auch bei anderen Dritt­li­ga­teams in ent­spannten Städt­chen wie Murcia oder Huelva oder Mar­bella ihr Geld ver­dienen könnten?

Zwei Tage vor dem Chaos am Check­point steht Andrès auf der Haupt­tri­büne im wun­derbar aus der Zeit gefal­lenen Estadio Alvarez Claro, dem Sta­dion seines Hei­mat­ver­eins UD Mel­illa. Wenn ihr ein ver­rücktes Spiel erleben wollt“, sagt er und deutet quer über den Platz, dann geht ihr später auf die andere Seite. Die Jungs, die dort sitzen werden, sind irre. Sie saufen, rau­chen Hasch und belei­digen den Gegner mit Worten, die es eigent­lich gar nicht gibt!“ Andrès fängt jetzt, eine Stunde vor Anpfiff des Spit­zen­spiels gegen CD Bad­ajoz, an zu schwärmen. Vom Team, von Trainer Luis Car­rion und von dessen Phi­lo­so­phie. Wir spielen Tiki-Taka, offensiv, immer nach vorne. Wir wollen den Ball.“

Die Jungs, die dort sitzen, sind irre“

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Valentin Fischer

So habe man sich die Tabel­len­füh­rung erspielt und so werde man auch in den Play­offs zur zweiten spa­ni­schen Liga erst­mals über­haupt erfolg­reich sein. UD Mel­illa in der zweiten Liga? Plötz­lich kämen Gäs­te­fans her, Tou­risten, posi­tive Schlag­zeilen. Es wäre der Wahn­sinn!“ Andrès selber ist eigent­lich Inge­nieur, einer von nur vieren in Mel­illa. Aber bei Heim­spielen macht er den Sound und die Durch­sagen. Ich bin ja eh hier.“ Er kenne sich außerdem super aus in der Stadt und könne Besu­chern hier alles zeigen. Das beste Essen, die Grenze, den Zaun, die Strände, das angeb­lich zweit­ge­fähr­lichste Viertel Europas namens La Cañada“. Nach dem Spiel. Oder morgen. Oder über­morgen. Abge­macht?“ Abge­macht.

Eine Stunde später, andere Sta­di­on­seite, bei den Irren. Das Spiel hat gerade erst ange­fangen, Mel­illa tut sich schwer mit den kör­per­lich über­le­genen Gästen. Zwar räumt Abwehr­chef Sou­fiane Chakla, bis vor Kurzem marok­ka­ni­scher U21-Natio­nal­spieler, hinten alles weg. Und im Angriff wuselt Oscar Garcia, ein unter­setzter Stürmer, der schon in Neu­see­land, Nor­wegen und Kasach­stan sein Geld ver­dient hat. Aber noch fehlt die zün­dende Idee.

Fumar?

Fast 3000 Zuschauer sind gekommen, zum ersten Mal über­haupt sogar eine Art Ultra­gruppe mit Trom­meln und Trom­pete und Tri­kots. Die Irren sitzen abseits der Ultras, in Zivil, und machen ihr eigenes Ding. Rau­chen, trinken, fut­tern Son­nen­blu­men­kerne, flu­chen. Allez, allez Pepinho!“, schreit ein bäriger Kerl Rechts­ver­tei­diger Pepe Romero zu, der jetzt mal etwas Dampf machen soll. Chat­arra“ – Elek­tro­schrott“ – brüllt ein anderer in Rich­tung eines Bad­ajoz-Spie­lers, was die Sache mit den erfun­denen Belei­di­gungen erklärt. Hinter den Brül­lenden sitzt ein ober­kör­per­freier Trinker im mit­ge­brachten Cam­ping­stuhl, trägt einen Strohhut und brab­belt wirres Zeug. Daneben ein zahn­loser Typ mit Knast­tä­to­wie­rungen, der alle zehn Minuten einen ver­klebten Plas­tik­beutel mit Hasch aus der Hosen­ta­sche fum­melt, um dann in seiner Hand­fläche zigar­ren­dicke Joints zu rollen. Fumar?“

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Valentin Fischer