Jörg Schmadtke ist als Fortuna-Düsseldorf-Legende beim 1. FC Köln gelandet. Kann das gut gehen? Wir trafen den Sportdirektor im Rahmen der Reportage „Die neue S‑Klasse“ (in 11FREUNDE #147, jetzt am Kiosk) zum ausführlichen Interview. Ein Gespräch über Frohnaturen, Klüngel und eine Zeitungsannonce.
Jörg Schmadtke, auf die Gefahr, dass Sie es nicht mehr hören können: Ein Düsseldorfer in Köln, wie soll das auf Dauer gehen?
Ich bin Rheinländer. Düsseldorf ist meine Geburtsstadt, die Fortuna mein Heimatklub. Deshalb bin ich dort verwurzelt, aber ich bin da nicht mehr beheimatet. Ich sehe mich als Kind des Rheinlands. Das können Sie übrigens auch an meiner Vita ablesen: Ich war in Aachen, Gladbach, Leverkusen, Düsseldorf und jetzt in Köln – viel mehr Rheinland geht nicht.
Hatten Sie keinerlei Anpassungsprobleme?
Nein, ich bin nicht im klassischen Sinne die kölsche Frohnatur, aber vielleicht passe ich genau deswegen gut hierher, weil ich neue Facetten reinbringe. Ich fühle mich wohl, weil ich ein Arbeitsumfeld vorgefunden habe, das weitaus strukturierter ist als befürchtet. In der Außenbetrachtung heißt es immer, in Köln herrsche Chaos. Das kann ich nach einem halben Jahr überhaupt nicht bestätigen.
Was haben Sie stattdessen vorgefunden?
Einen sehr großen Klub mit einigen Problemen zwar, aber vollkommen intakt. Jetzt müssen wir vor allem zusehen, dass die Dinge auf dem Platz in die richtige Bahn laufen.
Sie waren schon im Sommer 2012 hier im Gespräch.
Es stimmt, dass es vor einem Jahr mal Kontakt gab. Damals war bekannt geworden, dass ich Hannover 96 wegen privater Dinge verlassen wollte. Aber Martin Kind hat sehr um mich gekämpft und mir die Möglichkeit gegeben, mich freizustellen. Damit war Köln kein Thema mehr, denn mir war wichtig, dass ich zurück zu meiner Familie komme. Nichtsdestotrotz ist es dann später so gekommen, dass für mich die Zeit kam, meine Zelte in Hannover abzubrechen. Das hat der FC mitbekommen und sich erneut um mich bemüht.
Dabei hatten Sie sich zwischenzeitlich auch beim Hamburger SV als Sportdirektor vorgestellt.
Ich habe dort ein Gespräch mit dem neunköpfigen Aufsichtsrat geführt, das stimmt. Ich hatte aber schnell das Gefühl, dass das nicht passt. Obwohl ich die Stadt und den Klub als große Herausforderung ansah.
Über Ihren langjährigen Wegbegleiter und Kumpel Jörg Jakobs, der seit der Saison 2012/13 als Kaderplaner und inoffizieller Sportdirektor in Köln wirkt, waren Sie über die Situation beim FC ständig auf dem Laufenden.
Insofern war der Weg zum FC nicht weit. Jörg hat mir gesagt, dass es schon nicht einfach mit den vielen Baustellen sei, aber auch, dass der Klub die Menschen in seinen Bann zieht. Ich habe ihn wegen der ungewohnt überschwänglichen Art, über den FC zu reden, anfangs sogar ein bisschen hochgenommen, weil er sonst ein eher zurückhaltender Typ ist. Aber inzwischen teile ich seine Begeisterung.
In Köln heißt es immer, der „Kölsche Klüngel“, das Umfeld des Klubs mit Veteranen und Journalisten, sorge für ständige Überhitzung. Wie sehen Sie das?
Das gibt’s doch überall. In Hannover wird es „Hannover-Connection“ genannt, hier ist es der „Klüngel“.
In Hannover gibt es aber keine Weltmeister, keine Europacup-Helden oder Double-Gewinner.
Nö, da gibt es nur Dieter Schatzschneider. (Lacht.) Aber wir haben hier bestimmte Arbeitsweisen abgestimmt und darüber gesprochen, wie wir mit Extremsituationen umgehen. Dafür ist wichtig, dass es zwischen sportlicher Leitung und Präsidium stimmt. Das tut es.
Entspricht der Schmäh von Peter Stöger Ihrer Mentalität?
Er ist ein sehr unterhaltsamer Typ, wir kommen sehr gut miteinander aus.
Er sagt, er sei eher skeptisch, ob er die Chance bekommt, mehr als vier Transferperioden in Köln zu erleben.
Ich kann ihn verstehen, denn gleich zu Beginn der Saison wurde in Dresden sein Kumpel Peter Pacult entlassen, bis zur Winterpause wurden sieben Zweitligatrainer rausgeschmissen. Was soll er da sagen? Aber ich weiß auch, dass wir nach den beiden Niederlagen im Herbst die Lage gemeinsam sehr sachlich analysiert haben und auch die positiven Dinge gesehen haben. Wir haben ruhig, kritisch diskutiert, ohne aufgeregt zu sein und haben anschließend an der Reaktion der Mannschaft erkannt, dass diese Art und Weise der richtige Weg ist.
Stichwort: „Ruhig bleiben“. Nach dem Sieg im DFB-Pokal gegen Mainz 05 haben Sie die Fans in einer aufsehenerregenden Videobotschaft zum „Ruuuhigblieben“ aufgerufen.
Nach dem Sieg traf ich auf dem Weg in die Kabine unsere Jungs von „FC-TV“. Die waren ganz aufgeregt und ich habe nur gesagt: „Jungs, ruhig, ganz ruhig.“ Am nächsten Tag kamen sie und meinten, wir müssten damit irgendwas anstellen. Das Video war ihre Idee, und ich habe gerne mitgemacht.
Hatte der FC so einen ironischen Umgang mit der Hysterie nicht schon lange nötig?
Ich mag es gerne, wenn man sich etwas selbstironisch darstellt. Der kleine Film sollte signalisieren: „Wir wissen, dass ihr glaubt, wir seien schon wieder kurz davor die Champions League zu gewinnen, aber wir haben nur ein Pokalspiel gewonnen.“
Kann man auf diese Weise längerfristig die Emotionen kanalisieren?
Ich glaube, zu Anfang der Saison hatten wir so etwas wie Welpenschutz. Ich bin sicher, wenn wir nach den drei Unentschieden das Spiel gegen Sandhausen verloren hätten, wäre es wieder losgegangen. Genauso wäre es losgegangen, wenn wir nach den beiden Niederlagen auf St. Pauli verloren hätten. Ich mag diese Emotionalität, aber ich lasse mich davon nicht lenken. Genauso andersherum: Ich genieße es total, vor dem Spiel im Stadion die Atmosphäre aufzusaugen. Aber ich lasse mich davon nicht blenden.
Sind Sie den Job in Köln anders angegangen als frühere Stationen?
Ja. Man kann nicht mit einer Werkzeugkiste durch die Gegend ziehen und einfach losschrauben. Ich glaube, jeder Klub hat seine eigene Genetik und bei jedem Klub muss man erst schauen, an welcher Schraube man drehen muss.
Wo mussten Sie in Köln in der Hinrunde am stärksten drehen?
Ich habe versucht zu vermitteln, dass ich konzentriert und unaufgeregt dem Klub dienen will. Ich habe einen gewissen Erfahrungsschatz, den ich bereit bin zu teilen. Diese Einstellung ist hier auf fruchtbaren Boden gefallen und hat zu einer Gesamtberuhigung beigetragen. Zumal auch unser Trainer nicht dazu neigt, auf den Tischen zu tanzen. Es war also vor allem wichtig, einen Prozess, der bereits in Gang gekommen war, nicht zu stören.
Sie kamen zur richtigen Zeit an den richtigen Ort?
Ich konnte Dinge ernten, mit denen ich fast gar nichts zu tun hatte. Ganz ehrlich: Meine Hauptaufgabe lag zunächst darin, möglichst wenig durcheinander zu bringen.
Jörg Schmadtke, haben Sie für Ihre Karriere als Manager eine Art Masterplan?
Ach was, ich habe meinen ersten Job in Aachen über eine Zeitungsannonce gefunden. Ein Inserat von einem Klub, der verzweifelt war und eine neue Struktur benötigte. Darauf habe ich mich beworben. Ich musste damals mein eigenes Profil erst schaffen. Es also nicht so, dass ich sage: „Nach Hannover musste ein größerer Klub her – und eines Tages will ich Meister werden.“
Sondern?
Mich interessieren Aufgabenstellungen. Da ist mir fast egal in welcher Liga. Wichtig ist, dass ich weiß, wo es hingehen kann. Und diese Aussicht hängt immer von Möglichkeiten und Ressourcen ab.
Wie sind denn die Möglichkeiten in Köln?
Die Verbindlichkeiten haben natürlich einen Einfluss auf unsere Beweglichkeit. Aber es hat auch einen gewissen Reiz, aus den vorhandenen Möglichkeiten das Optimale rauszuholen.
Und wie sehen Ihre Ziele aus?
Natürlich wollen wir aufsteigen und uns in der ersten Liga stabilisieren. Wir müssen weg von diesem Fahrstuhlimage und die Schere zwischen den Großen und uns wieder etwas schließen. Wir sollten deshalb nicht zu spät aufsteigen, weil wir die Schere sonst nicht mehr geschlossen kriegen. Aber der 1. FC Köln macht im Moment um die 50 Millionen Euro Umsatz. Das ist für die 2. Liga ungewöhnlich hoch. Und ich prognostiziere, dass wir in der Lage sind, in der 1. Liga 100 Millionen umzusetzen. Das ist eine Größe, mit der man planerisch einiges angehen könnte. Das war übrigens auch ein Grund für mich zum 1. FC Köln zu gehen. Hier steht eine ungeheure Wucht dahinter.
Anders als Peter Stöger gehen Sie also fest davon aus, eine eigene Ära beim FC begründen zu können.
Ich habe einen Vier-Jahres-Vertrag unterschrieben, weil mir bewusst war, wenn ich nach Köln gehe, brauche ich für diese Aufgabe Zeit. Ich wollte ein deutliches Signal setzen, dass der FC für mich kein Zwischenschritt ist, um im Vorbeigehen ein bisschen Geld zu verdienen. Ich will mithelfen, dass dieser Klub längerfristig auf ein höheres Niveau gehoben wird.
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In 11FREUNDE #147 lest ihr die große Reportage: „Die neue S‑Klasse“ – Wie Spinner, Schumacher, Stöger und Schmadtke den 1. FC Köln von seinem Chaos-Image befreien wollen. Jetzt am Kiosk!