Raimond Aumann, Sie sind seit 15 Jahren Fanbeauftragter des FC Bayern. Was hat sich seitdem verändert?
Raimond Aumann: Wir haben heute rund 2900 registrierte Fanclubs mit mehr als 200.000 Mitgliedern. Dazu kommen noch rund 168.000 Vereinsmitglieder. Als ich anfing, gab es um die 1000 Fanclubs mit rund 40.000 Mitgliedern. Genau kann ich es Ihnen gar nicht sagen, weil damals vieles nicht so akribisch dokumentiert wurde, wie heute.
Ab wann kann sich ein Fanclub bei Ihnen registrieren?
Raimond Aumann: Wir haben es zur Auflage gemacht, dass ein Fanclub mindestens 25 Mitglieder haben muss. Durch stichpunktartige Anschreiben versuchen wir immer wieder herauszufinden, wo es Karteileichen gibt und welche Fans tatsächlich aktiv sind. Denn eines ist angesichts der enormen Zahl klar: Meine drei Mitarbeiter und ich in der Fanbetreuung können gar nicht mehr jeden einzelnen Fan persönlich kennen.
Wann legt Bayern München besonders bei den Fans zu? In Erfolgsjahren?
Raimond Aumann: Würde man annehmen, aber gerade in der vergangenen Saison, in der wir keinen Titel geholt haben, konnten wir einen deutlichen Zuwachs verzeichnen. Der aktive Bayern-Fan ist offenbar alles andere als ein Erfolgsfan, den man uns oft nachsagt.
Woran liegt das?
Raimond Aumann: Unsere Geschichte ist gespickt mit Erfolgen, die gehören gewissermaßen dazu. Aber die Nähe zu diesem Klub ergibt sich über die Emotion – und die ist unabhängig von Titeln.
Wie genügsam ist denn der Bayern-Fan? Wird er schnell kritisch, wenn etwas nicht funktioniert?
Raimond Aumann: Kritik äußern unsere Fans immer sofort. Das Internet ist heutzutage beinahe für jeden zugänglich und dient diesbezüglich als Plattform. Und da werden Themen manchmal wochenlang diskutiert – wir fragen uns dann schon, ob das unbedingt sein muss. Wir hören uns jede Meinung genau an, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, jede extreme Fanmeinung auch zu akzeptieren.
Was kritisieren die Fans am meisten? Transfers? Mangelnden Erfolg? Mangelnde Fannähe?
Raimond Aumann: Das Anspruchsdenken des Bayern-Fans – mit über 20 Meisterschaften im Hinterkopf – hat natürlich, verglichen mit dem Fan eines anderen Bundeliga-Clubs, deutlich zugenommen. Aber unser mit Abstand größtes Problem sind Tickets: Wir haben zu wenig! Die Leute wollen den FC Bayern live erleben und wir können nicht allen diesen Wunsch erfüllen, weil die Nachfrage zu groß ist.
Ist es nicht eine mittlere Katastrophe, dass der Verein sich seinen Fans nicht mehr in ausreichendem Maße präsentieren kann?
Raimond Aumann: Um diesem Problem entgegen zu wirken, vergeben wir nur 38 000 Jahreskarten. Außerdem gehen bei jedem Heimspiel 10 000 Tickets exklusiv nur an Fanclubmitglieder. Aber verglichen mit 200 000 organisierten Fans ist das natürlich sehr wenig.
Wie handhaben Sie die öffentlichen Trainings?
Raimond Aumann: Wir sind ein offener Verein. In den Ferien sind an der Säbener Straße mitunter 5000 Fans beim Training, da herrscht Volksfeststimmung. Also haben wir dafür gesorgt, dass wenigstens das Abschlusstraining für die Öffentlichkeit geschlossen ist, damit die Mannschaft in Ruhe arbeiten kann.
Tun Ihnen die Spieler angesichts dieser Nachfrage manchmal leid?
Raimond Aumann: Nein, jede Zeit ist anders, auch wir haben schon vor 2000 Leuten trainiert. Spieler müssen einem sowieso nicht leid tun. Wer heute bei Bayern München unter diesen Voraussetzungen trainieren und spielen darf, kann sich glücklich schätzen. Es gibt nichts Besseres. Dennoch steigen die Begehrlichkeiten der Fans an die Spieler mehr und mehr. Geändert haben sich vor allem die Umgangsformen. Auch ich habe nach dem Training als Profi Autogramme gegeben, aber damals haben die Leute gesagt: „Entschuldigung, würden Sie hier bitte unterschreiben?“. Heute heißt es: „Ey, Du, unterschreib mal!“ Wir leben in einer Gesellschaft, in der vieles zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Woran liegt das?
Raimond Aumann: Die Frage kann ich in der hier angebrachten Kürze leider nicht beantworten.
Fans sind heute viel besser organisiert als früher und fordern ein Mitspracherecht ein. Wo dürfen Bayern-Fans mitreden – oder wo hört der Spaß auf?
Raimond Aumann: Bei der Vereinspolitik – die macht bei uns ausschließlich der Verein, das heißt die dafür zuständigen Personen. Wenn wir anfangen würden, uns Spielertransfers von den Fans freigeben zu lassen, wird hier niemand mehr verplichtet, weil man sich nie einigen kann. Ein bisschen gehen Ihnen diese Foren mit den Meinungen anonymer Fans schon auf die Nerven. Ach was, es ist ein Kommunikationsweg der heutigen Zeit. Und jede sachliche Kritik ist bei uns auch willkommen.
Haben Sie einen Nickname, um die ärgsten Einträge auch mal anonym zu kommentieren?
Raimond Aumann: Nein, ich habe kein Pseudonym im Internet. Ich kann persönlich, ehrlich gesagt, auch oft nur wenig damit anfangen, was da teilweise – oftmals anonym – verbreitet wird. Aktuell hat eine kleine Gruppe von Ultras „Benimmregeln“ für Manuel Neuer aufgestellt, die ihm beispielsweise verordnen, dass er nicht das Bayern-Logo auf dem Trikot küssen oder auf dem Zaun mit den Fans feiern darf.
Wie gehen Sie damit um?
Raimond Aumann: Zunächst einmal versuchen wir, mit allen Fans offen zu kommunizieren. Aber es muss auch der Wille vorhanden sein, einen Konsens zu finden. Und eins muss klar sein: Es gibt elementare Dinge in unserem Verein, die nicht durch eine kleine Gruppe von Fans verschoben werden dürfen.
Heißt konkret?
Raimond Aumann: Bei Personalentscheidungen sollte ein Fan in der Lage sein, uns zu vertrauen. Denn es gibt in den vergangenen 30 Jahren keinen Verein in Deutschland, der erfolgreicher war und besser gewirtschaftet hat. Ein schwer erarbeiteter Status. Und dafür sollten man auch mal Respekt zollen. Die meisten tun das auch – aber ein kleiner Teil gibt sich damit offenbar nicht zufrieden.
Haben Sie die Vehemenz der Fan-Reaktion nach dem Neuer-Transfer erwartet?
Raimond Aumann: Ich bin überzeugt, dass mehr als 99,9 Prozent unserer Fans die Verpflichtung von Manuel Neuer begrüßen. Und wenn ein kleiner Teil unserer Anhänger ein Problem damit hat, dann von mir aus.
Wie findet die Kommunikation der Fanbetreuung zu den Fans statt?
Raimond Aumann: Wir sind natürlich unter anderem über E‑Mail und Telefon für unsere Fanclubvorsitzenden jederzeit erreichbar. Jeder Fan weiß aber auch, wie und wo er uns ansprechen kann: wir sind beispielsweise bei allen Spielen vor Ort. 2007 haben wir den „Arbeitskreis Fandialog“ ins Leben gerufen, dessen 30 repräsentativ ausgewählte Fanclubs und Fangruppierungen sich mindestens zweimal im Jahr mit uns treffen. Des Weiteren veranstalten wir überregionale Fanclubtreffen in ganz Deutschland: Bis heute haben wir schon 1700 Fanclubs zu diesen Treffen eingeladen, über 400 haben von diesem Angebot Gebrauch gemacht.
Das Motto des FC Bayern lautet: „Mia san Mia“. Was heißt das für die Fans des FC Bayern?
Raimond Aumann: Das Familiäre dieses Klubs hat uns in der Vergangenheit stark gemacht: Uli Hoeneß als Vordenker, Karl-Heinz Rummenigge, mit diesen Leuten verbindet auch der Fan eine Zugehörigkeit. Und auch ich bin stolz, ein Teil dieser Familie seit gut 30 Jahren zu sein. Ich bin mit meiner Frau erst 26 Jahre verheiratet – die Partnerschaft zum Klub hält also schon länger.
Raimond Aumann, wo muss sich die Fanarbeit des FC Bayern noch verbessern?
Raimond Aumann: Die Fans sind das wichtigste Gut, das unser Klub besitzt, denn sie sind das Fundament. Deshalb müssen wir immer die Augen und Ohren offen halten, welche Wünsche diese Leute haben. Wenn wir das beherzigen und der Zuspruch nach wie vor in dieser Form anhält, bin ich rundum zufrieden.
Ist eigentlich die Zielgruppe dieses Klubs definiert?
Raimond Aumann: Eine Zielgruppe ist etwas, was wir gerade nicht wollen. Mir ist der 65-Jährige auf der Haupttribüne genauso lieb wie der 14-Jährige in der Kurve.
Fans sind sehr emotional. Wieviel Hass muss ein Fanbeauftragter eines Klubs, der so polarisiert wie der FC Bayern, eigentlich ertragen?
Raimond Aumann: Emotionen gehören zum Fußball – Hass jedoch nicht. Bei so vielen Menschen, die an unserem Verein interessiert sind, kann ich es nicht allen Recht machen. Das würde noch nicht mal der Papst schaffen, vielleicht noch nicht einmal Franz Beckenbauer.