Edgar Prib von Hannover 96 verpasste fast zwei Jahre aufgrund von schweren Knieverletzungen. Wie hat er es nach dieser langen Pause zurück auf den Platz geschafft?
In den vergangenen Wochen haben wir uns mit Edgar Prib und Daniel Didavi ausführlich über schwere Verletzungen unterhalten. Wir wollten wissen: Wie fühlt sich ein Berufssportler, wenn er seinen Beruf vom einen Tag auf den anderen nicht mehr ausführen kann? Wie geht ein Profifußballer mit Schmerzen um? Wie verändert sich das Verhältnis zu den Mannschaftskollegen? Im zweiten Teil der Mini-Serie erzählt Prib von seiner nervenaufreibenden Reha und von den Schmerzen im Knie. Das Interview mit Daniel Didavi findet ihr hier.
Edgar Prib: Wissen Sie, wieviele Spiele Sie verletzungsbedingt zwischen August 2017 und April 2019 verpasst haben?
Nein.
Es waren 66.
Das finde ich in Anbetracht der Länge der Pause gar nicht mal so viel.
Beschäftigt man sich als Profifußballer mit solchen Statistiken?
Ich habe diese Zahl tatsächlich noch nie gehört und ich schaue mir solche Statistiken auch nicht an. Aber ich treibe mich schon auf transfermarkt.de rum und schaue mir an, wo ehemalige Weggefährten gelandet sind. Das ist interessant.
Sie haben am 31. Spieltag der Saison 2018/19 Ihr Comeback gegen Mainz 05 gegeben. Seitdem haben Sie etwa 21 Ligaspiele für Hannover 96 bestritten und – viel wichtiger – Sie sind über die vergangenen Monate verletzungsfrei geblieben. Wie geht es Ihnen heute?
Der Weg zurück zur alten Verfassung war zum Zeitpunkt meines Comebacks noch nicht ganz abgeschlossen und er ist es streng genommen noch heute nicht. Wenn man so lange verletzt ist, hangelt man sich von Ziel zu Ziel. Am Anfang steht natürlich das Comeback auf den Platz, danach fasst man den ersten Assist ins Auge und irgendwann steht man wieder in der Startaufstellung. Mir geht es gut, aber ich denke ich brauche noch immer ein wenig, bis ich wieder der „alte Eddy“ bin.
Welche Vorstellungen hatten Sie von der Dimension der Verletzung, als Sie sich im Sommer 2017 das erste Mal Ihr Kreuzband rissen?
Für mich war es eine völlig neue Situation. Es fühlte sich an, als würde man mich in kaltes Wasser schmeißen. Ich hatte überhaupt keine Erfahrungswerte und keine Idee davon, wie die Reha-Phase ablaufen würde. Ich hatte keine Ahnung, welche Bewegungen ich vermeiden sollte, um den Knorpel oder das Kreuzband nicht zu schädigen.
„In den ersten sechs Wochen konnte ich es ohne Medikamente nicht ertragen“
War Ihnen auf dem Platz klar: Da ist gerade was kaputt gegangen?
Nicht wirklich. Es gab einen Knall – und danach tat mir das Knie einfach unglaublich weh. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mir auf dem Platz liegend der komplette Kreislauf zusammengebrochen ist und ich den Physio erstmal nach einer Cola gefragt habe. Nachdem ich einige Meter gelaufen war, habe ich gemerkt, dass das Knie sehr instabil ist und es sich anfühlt, als sei ein Schwamm zwischen dem Ober- und dem Unterschenkelknochen gesteckt worden.
Wussten Sie, was Sie erwartet?
Ich habe in der ersten Zeit nach der Diagnose viel im Internet über die Verletzung recherchiert und mir ist schnell aufgefallen, dass es nur wenige Erfahrungsberichte gibt. In der Öffentlichkeit ist in Bezug auf die Ausfallzeit immer von sechs bis neun Monaten die Rede, obwohl das Schwachsinn ist. Das würde auch jeder Arzt bestätigen. Bis die Struktur im Knie wieder so hergestellt ist, wie sie es sein sollte, bis die körpereigene Sehne als neues Kreuzband fungiert und richtig an den Knochen festgewachsen ist, vergehen häufig mindestens zwölf Monate. Ich habe das Gefühl, dass vielen Leute nicht bewusst ist, wie schwer eine solche Knieverletzung ist und wie lange es braucht, bis der Körper sich von dieser rehabilitiert hat. Auch ich habe einige Wochen gebraucht um eine Ahnung davon zu bekommen, wie weit der Weg sein würde.
Wie ging es Ihnen in den ersten Wochen nach der OP?
Ich glaube, dass sich viele nicht vorstellen können, was sich im Körper eines Leistungssportlers abspielt, wenn er von Heute auf Morgen einfach keine Energie mehr verbraucht. Von Herzrhythmusstörungen bis hin zur Schlaflosigkeit habe ich alles erlebt. Dazu kommt die Psyche: Man liegt nachts wach und macht sich Gedanken um seine Karriere. Auch für den Kopf bedeutet eine schwere Verletzung unglaublich viel Arbeit.
Wie sind Sie mit Schmerzen umgegangen?
In den ersten sechs Wochen konnte ich es ohne Medikamente nicht ertragen. Danach wurden die Schmerzen etwas weniger, gleichzeitig entwickelte der Körper eine gewisse Resistenz. Irgendwann gehörten die Schmerzen dann zum Alltag dazu. Ich wollte mich aufs Klo setzen und das Knie zwickte, ich ging unter der Dusche und konnte auf einmal kaum mehr stehen. Außerdem macht man sich ständig Sorgen um das Knie, fragt sich, ob es anschwillt und dick wird.
Wie sehr verunsichern einen die Schmerzen während der Reha-Phase?
Am Anfang sehr, doch je weiter ich in der Reha kam, desto sicherer wurde ich. Irgendwann kann man die unterschiedlichen Schmerzen voneinander unterscheiden und weiß, welcher Schmerz normal ist. Als es dann in einer zweiten Phase darum ging, die verlorene Muskulatur langsam wieder aufzubauen, spürte ich im gesamten Bein Schmerzen, da war es also nicht nur speziell das Knie. Der vordere und hintere Oberschenkelmuskel, die Gesäßmuskel – alles brannte.
Wie schnell verschwindet die über Jahrzehnte antrainierte Muskulatur eigentlich?
Im Grunde sind die Muckis innerhalb von kurzer Zeit komplett weg. Danach schlabbert alles nur so rum.
Laut einer Statistik des Journalisten Fabian Siegel verletzen sich 22,5 Prozent aller Bundesligaspieler innerhalb der ersten sechs Monate nach einem Kreuzbandriss noch ein zweites Mal am Kreuzband. Hatten Sie Angst vor einer erneuten Verletzung?
Nach meinem ersten Kreuzbandriss hat man mir nicht gesagt, dass sich die Wahrscheinlichkeit auf einen weiteren Kreuzbandriss damit erhöht hatte. Vielleicht wollten die Ärzte mich vor den Sorgen schützen. Erst nach meinem zweiten Kreuzbandriss erzählte mir der Doc: Zwei von drei Spielern reißen sich das Band erneut. Das hat mich zum einen sehr überrascht, zum anderen hat es mich auch total schockiert.
Den zweiten Kreuzbandriss zogen Sie sich im Training zu. Angeblich haben Sie die Einheit aber bis zum Ende durchgezogen, erst im Anschluss daran sei das Knie angeschwollen. Wie kann man mit einer so schweren Verletzung weiter trainieren?
Natürlich habe ich gemerkt, dass wieder etwas kaputt gegangen ist – aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich habe im Kopf gegen den Gedanken angekämpft, dass alles wieder von vorne beginnt. In meinem Kopf war nur ein Gedanke: „Nicht schon wieder!“ Ich habe versucht, die Einheit irgendwie hinter mich zu bringen. Auch wenn ich starke Schmerzen hatte und kaum laufen konnte, habe ich es geschafft. Danach bin ich schnell unter die Dusche gegangen und dann nach Hause gefahren. Ich habe niemandem davon erzählt und bin einfach abgehauen. Als meine Verlobte am Abend von der Arbeit nach Hause kam, lag ich da. Sie hat sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt. In dem Moment habe ich kein Wort mehr rausbekommen, mir sind nur noch die Tränen runtergelaufen. Irgendwann habe ich nur gesagt: „Das scheiß Ding ist wieder durch.“
Wie ging es weiter?
Sie hat gesagt, dass ich sofort den Doc anrufen und mich beim Verein melden soll. Wenig später saßen wir im Auto und waren auf dem Weg in die Praxis. Am nächsten Morgen war klar, dass die Kreuzbandplastik gerissen ist und das Knie erneut operiert werden muss. Ich hatte aber schon davor keinerlei Hoffnung gehabt, dass es vielleicht doch eine weniger schlimme Verletzung sein könnte.
„Das scheiß Ding ist wieder durch“
Inwieweit unterschieden sich die Gefühle unmittelbar nach den beiden Verletzungen?
Bei der ersten Verletzung war der Schock viel größer, ich hatte so einen starken Schmerz noch nie gespürt. Beim zweiten Mal waren die Schmerzen ein bisschen schwächer, aber ich kämpfte auch so sehr gegen sie an, dass ich sie zum Teil nicht realisierte. Trotzdem war ich nach dem erneuten Riss sehr niedergeschlagen. Ich wusste ja, was mir bevorsteht und dass der Weg zurück noch härter werden würde.
Sie haben über die Zeit nach Ihrem zweiten Kreuzbandriss gesagt, dass Sie extreme Wut verspürt hätten. Worüber?
Mir ist in meiner Karriere immer wichtig gewesen, dass ich selbst dafür sorgen kann, ob ich spiele oder nicht. Und ob ich in der Lage bin, mich gegen meine Kontrahenten durchzusetzen. Doch das konnte ich vom einen auf den anderen Tag nicht mehr beeinflussen. Dass mir diese Entscheidungsgewalt einfach genommen wurde, erfüllte mich mit Leere und Wut.
Sie haben auch gesagt, dass Sie sauer auf sich selbst gewesen sind. Warum?
Ich habe einfach alles und jeden hinterfragt, nicht zuletzt mich selbst. Was hätte ich anders machen können? Habe ich zu früh angefangen? Hätte ich den Mist verhindern können? Ich war sauer, weil ich für eine Zeit dachte, ich hätte mein eigenes Schicksal einfach wieder aus den Händen gegeben. Aber nachdem ich alles hinterfragt hatte, musste ich mir eingestehen, dass ich schlicht Pech gehabt hatte. Dass es auf meine Fragen keine zufriedenstellende Antwort geben würde. Aber für diese Erkenntnis habe ich eine Zeit lang gebraucht.
Andere hätten nach einem solchen Rückschlag vielleicht aufgegeben.
Nach einiger Zeit habe ich verstanden, dass mich das Hadern und Hinterfragen nicht weiterbringt, sondern ich den Weg zurück auf den Platz nur dann schaffen kann, wenn ich die Ärmel hochkrempele. Ich habe daran gedacht, dass nur ich mich aus der Situation befreien kann. Irgendwann kamen die Träume über ein Comeback, die mich fortan bei jeder Reha-Einheit monatelang begleiteten, langsam zurück.
Wie sah Ihr Alltag nach den Verletzungen aus?
Ich ging weniger aus dem Haus, als ich es zuvor getan hatte. Sobald ich beschwerdefrei sitzen konnte, setzte ich mich an mein Piano. Ich habe damit versucht, mich vom Fußball fern zu halten und mich abzulenken – stundenlang.
Haben Sie sich die Spieler Ihrer Mannschaft zu Hause auf der Couch angeguckt?
Direkt nach den Operationen konnte ich die Spiele von 96 nicht sehen, aber ich habe mich sehr schnell wieder als Teil der Mannschaft begriffen. „Das sind meine Jungs – mit denen verbringe ich mehr Zeit als mit meiner Familie“, sagte ich zu mir selbst. Ich wollte mich nicht abkapseln.
Was haben Sie am meisten vermisst?
Ich lag zu Beginn drei Wochen im Bett, aufgestanden bin ich nur, um zur Toilette zu gehen oder um zu duschen. Aber mit der ersten kleinen Reha-Einheit habe ich gemerkt, wie sehr mein Körper Bewegung vermisst hatte und wie gut sie mir tat. Die Momente, in denen ich mich einfach ein bisschen schlapp fühlte, weil ich davor etwas für meinen Oberkörper getan hatte, gaben mir die Energie zurück.
Sie absolvierten einen Großteil der Reha nicht auf dem Vereinsgelände, sondern in privaten Räumen.
Vor allem nach meinem zweiten Kreuzbandriss habe ich gemerkt, dass mir der Alltag im Trainingszentrum nicht gut tut. Natürlich war es cool die Jungs zu sehen, mit ihnen Späße zu machen und mit ihnen zu lachen. Aber dann habe ich Jungs gesehen, die wegen einer verhärteten Muskulatur nicht trainieren konnten und es hat mir weh getan, weil ich wusste, dass ich im Optimalfall noch mindestens sechs Monate brauchen würde. Ich habe ständig unbewusst die Probleme der anderen mit meinen verglichen – das tat mir nicht gut. Je fitter ich wurde, desto mehr legte sich dieses Gefühl in mir, aber am Anfang war es sehr präsent.
Wie sah zu dieser Zeit der Kontakt zu Ihren Mitspielern aus?
Direkt nach meinem ersten Kreuzbandriss haben die Jungs mir alle gemeinsam eine Nachricht über Whatsapp geschickt und mir eine gute Genesung gewünscht. Ich habe mich gefreut, war gerührt über die Worte und habe gemerkt, wie ich das alles vermissen werden würde. In der langen Reha-Phase bin ich mit den Mitspielern oft Essen gegangen. Die Jungs haben sich sehr um mich gekümmert, wofür ich auch wahnsinnig dankbar bin. Die Entscheidung, meinen Alltag vom Trainingsgelände von 96 in private Räume zu verlegen, war keine Entscheidung gegen die Jungs, sondern einfach Selbstschutz.
Gab es Teamkollegen, mit denen Sie besonders viel Kontakt hatten?
Ich habe viel Zeit mit den Jungs verbracht, die auch verletzt waren oder bereits ähnliche Verletzungen erlebt hatten. Charly Benschop, Artur Sobiech oder Leon Andreasen, der seine Karriere aufgrund einer Knieverletzung später sogar beenden musste, haben mir sehr geholfen. Auch mit Timo Hübers habe ich mich oft über die ganzen Kniegeschichten unterhalten. Heute ist unsere Situation umgekehrt, ich bin mittlerweile wieder fit und Timo ackert in der Reha. Jetzt versuche ich, ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
„Es könnte sein, dass ich später ein künstliches Kniegelenk brauche“
Tritt man aus der Whatsapp-Gruppe aus?
Nein, das stand für mich nie zur Debatte. In der Whatsapp-Gruppe einer Fußballmannschaft passieren einfach zu viele lustige Dinge, über die man auch als verletzter Spieler lachen kann.
Welche Effekte hatte die Reha-Arbeit in anderen Räumlichkeiten noch auf Sie?
Ich habe einen Großteil der Zeit in einem privaten Trainingszentrum eines Physios verbracht. Dort begegnete ich Leuten, die sich nach einem Motorradunfall zurück ins Leben gekämpft haben, Menschen, die wegen anderen schwerwiegenden Erkrankungen oder Verletzungen kaum mehr aufrecht sitzen konnten. Natürlich war das nicht schön, aber es brachte mich auf den Boden der Tatsachen zurück.
Inwiefern?
Ich habe gemerkt, dass man es im Leben einfach ein bisschen ruhiger angehen lassen sollte. Die Verletzung hat mich von einem auf den anderen Tag aus meinem alltäglichen Leben gerissen. Du stehst als Fußballprofi immer unter Adrenalin, das Leben ist sehr, sehr hektisch. Ich habe gespürt, dass es gut tun kann, von dieser Hektik Abstand zu gewinnen, die Ruhe des Lebens zu spüren. Ich versuche mich heute noch oft daran zu erinnern und mir zu vergegenwärtigen, dass alles halb so wild ist. Ich konnte mich früher tagelang damit beschäftigen, wenn ich einen Fehlpass gespielt hatte. Heute ist mir das nicht egal, aber ich verschwende keine Zeit mehr damit, ich versuche, mir meine Energie ausschließlich für positive Gedanken aufzusparen.
Wissen Sie schon, mit welchen Konsequenzen Sie im Alter zu rechnen haben?
Es könnte sein, dass ich später ein künstliches Kniegelenk brauchen werde. Das klingt vielleicht übel, aber ich hatte immer den Traum, Fußballprofi zu werden. Und mir war immer bewusst, dass ich dafür möglicherweise auch Opfer würde bringen müssen. Mein Knie ist eben eines davon.
In der breiten Öffentlichkeit geraten Fußballer nach schweren Verletzungen schnell aus dem Fokus. War es für Sie ein Problem, sich nicht mehr Woche für Woche 30.000 Menschen präsentieren zu können?
Ich habe mich sehr lange zurück kämpfen müssen. Und hinter jedem Schritt zur Normalität steckt sehr viel Arbeit. Die erste Trainingseinheit, das erste Pflichtspiel, das erste Mal Startelf, der erste Assist, das erste Tor. All das sehen viele Leute nicht und es ist auch okay. Ich brauche nicht den Applaus von 30.000 Leuten dafür. Ich selbst weiß, was ich geleistet habe. Und doch freut man sich darüber, wenn die Menschen einem ihre Anerkennung zollen. Was mir übrigens erst vor ein paar Tagen passiert ist.
Was genau ist Ihnen passiert?
Ich war mit meiner Verlobten in der Stadt und dann kam jemand auf mich zu, hat mir auf die Schulter geklopft und gesagt: „Weltklasse, wie du dich durchgebissen hast. Ich ziehe meinen Hut.“ Das sind schöne Begegnungen, die mir auch sehr gut tun.
Hatten Sie während der Verletzungspause das Bedürfnis, sich mitzuteilen?
Ich lebe generell eher zurückgezogen, die Verletzungen haben das eher noch verstärkt. Ich hatte zwischenzeitlich für etwa drei Monate kaum den Drang, überhaupt das Haus zu verlassen. Deshalb hatte ich auch nicht das Bedürfnis, mich in irgendeiner Form mitzuteilen. Ich habe aber während meiner gesamten Reha-Arbeit einige Videos gemacht und ich habe auch tatsächlich darüber nachgedacht, die mal zusammen zu schneiden und zu veröffentlichen.
Was hält Sie davon ab?
Was soll ich noch auf der alten Geschichte rumreiten? Ich habe mit meinem Comeback allen gezeigt, dass es sich lohnt wieder aufzustehen und sich zurückzukämpfen.
Hatten Sie Angst, in Vergessenheit zu geraten?
Ich hatte mein Ziel immer vor Augen und ich habe immer gewusst, dass ich wieder spielen und auf die Bildfläche zurückkehren würde, deshalb hatte ich keine Angst davor, nein. Wenn ich Angst hatte während der Reha-Phase von jemandem vergessen zu werden, dann von meinen Mannschaftskollegen. Aber auch das war nicht der Fall.
Stand Ihre Karriere auf dem Spiel?
Nein. Natürlich weiß man nie, wie man zurück kommt, aber dass ich zurück kommen würde, war eigentlich immer klar.
Denkt man darüber nach, dass die lange Pause einen eventuell auch den Arbeitsplatz kosten könnte?
Ich hatte nie konkrete Angst um meinen Job, aber ich habe mir natürlich auch Gedanken um meine Karriere gemacht und wusste zum Beispiel nach meinem zweiten Kreuzbandriss, dass mein Vertrag im darauffolgenden Sommer auslaufen würde.
„Am Anfang hat am Ball kaum etwas funktioniert“
Hannover 96 hat diesen Vertrag dann relativ schnell nach Ihrer erneuten Verletzung verlängert.
Der Verein hat mir unheimlich viel Vertrauen geschenkt, die Vertragsverlängerung hat mir sehr viel bedeutet. Ich bin mir bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, den Vertrag eines Spielers zu verlängern, der zweimal hintereinander eine schwere Knieverletzung hatte.
Hatten Sie Angst, ihr Ballgefühl zu verlieren?
(Lacht.) Super Frage. Denn als ich den Ball irgendwann, nach all den zähen Trockenübungen, tatsächlich wieder am Fuß hatte, hat plötzlich kaum noch etwas funktioniert. Es gibt diese Passübung, bei der man den Ball von etwa zehn Metern in die kleinen Tore spielen muss. Von zehn Versuchen mache ich da normalerweise locker acht bis neun rein. Beim ersten Mal nach der Verletzung habe ich alle zehn daneben geschossen. Ich dachte nur: Was ist denn jetzt los? Selbst mit meinem starken linken Fuß, der ja mit dem Kreuzbandriss gar nichts zu tun hatte, habe ich keinen einzigen Versuch getroffen.
Wie ist es mittlerweile?
Heute treffe ich die Dinger wieder. Es ist völlig normal, dass das Ballgefühl ein Stück weit verloren geht und es braucht eine gewisse Zeit, bis sich das alles wieder normalisiert..
Jetzt ist alles wie früher?
Vielleicht sieht es manchmal nicht so aus, aber es fühlt sich so an, als ob nie was gewesen wäre.
Im Wintertrainingslager 2019 stiegen Sie wieder ins Mannschaftstraining ein. Wie waren Ihre Gefühle im Vorfeld der ersten Einheit?
Ich habe versucht, das Training mit gesunder Vorsicht anzugehen und mich sehr gut darauf vorzubereiten.
Wie trainiert man als Profi vorsichtig?
Natürlich bin ich nicht sofort voll ins Mannschaftstraining eingestiegen, sondern habe am Anfang nur das Aufwärmprogramm ohne Ball mitgemacht. Irgendwann bin ich dann als neutraler Mann in kleineren Spielformen eingestiegen, bis ich später auch Teil einer Mannschaft war. Dann sagt der Trainer den Jungs vor der Einheit, dass sie mich nicht attackieren sollen. Nach drei, vier Wochen wird man auf einer Position eingesetzte, auf der weniger Zweikämpfe geführt werden. So tastet man sich langsam an die Normalität heran.
Wann realisierten Sie, dass Sie den Weg zurück auf den Platz geschafft hatten?
Als ich mein erstes Spiel in der zweiten Mannschaft gemacht habe, wusste ich, dass es nicht mehr lang dauern würde. Nur wenige Tage später hat mich unser damaliger Trainer Thomas Doll gefragt, ob ich bereit wäre, gegen Mainz zu spielen. Ich habe ihm geantwortet: „Zu 100 Prozent“. Die Woche vor dem Spiel war eine ganz besondere, weil ich so trainierte, als würde ich von Anfang an spielen. Ich habe richtig Gas gegeben – und habe es dann auch geschafft, mein Comeback zu geben.
Sie haben direkt 45 Minuten gespielt und waren an einer entscheidenden Kontersituation beteiligt, die schließlich zum Siegtreffer führte. Wie war Ihre Gefühlslage in den Minuten vor Ihrer Einwechslung?
Ich war ähnlich nervös wie bei meinem Profidebüt zehn Jahre zuvor. Ich war so lange raus, dass ich das alles nicht mehr gewohnt war. Die Atmosphäre, die Stimmung. Ich musste erstmal wieder lernen, mit diesem ganzen Druck, dem Adrenalin umzugehen. Aber es war ein unglaublicher Moment. Ich war der glücklichste Mensch der Welt.
Haben Sie durch die Verletzung neue Erkenntnisse gewonnen, von denen Sie heute profitieren?
Die Verletzung hat mir gezeigt, wie privilegiert ich als Fußballer bin. Meine Arbeit besteht darin, dass ich spiele und mich auf Spiele vorbereite, andere gehen acht Stunden am Tag arbeiten, jeden Tag, ihr ganzes Leben lang. Wenn ich mir das Kreuzband reiße, werde ich über mehrere Monate medizinisch intensivst betreut, habe stundenlange Behandlungen beim Physio, täglich. Wenn du dir als Bandarbeiter das Kreuzband reißt, bis du nach sechs Wochen wieder mit der Schiene und Schmerzen auf der Arbeit. Ich habe gemerkt, dass Fußball nicht alles ist, auch wenn es mir viel bedeutet. Der vorübergehende Abstand zum aktiven Spielbetrieb hat mich innerlich ruhiger gemacht, viel ruhiger.
Hat sich Ihr Spiel aufgrund der langen Verletzungspause geändert?
Ja. Insofern, als dass ich mich in bestimmten Spielsituationen einfach cleverer verhalte als noch vor meiner Verletzung. Ich habe mich während meiner Verletzungspause sehr viel mit Fußball beschäftigt. Ich habe wahnsinnig viele Spiele geschaut, wozu ich während des normalen Spielbetriebs eigentlich nicht komme, weil ich vielmehr damit beschäftigt bin, meine eigenen Leistungen zu reflektieren.
Was haben Sie konkret davon mitgenommen?
Ich habe mir viel von der Spielintelligenz anderer Spieler abgeschaut. Wann geht man in den Zweikampf? Wie verhält man sich im Zweikampf? Gerade bei den Zweikämpfen war ich früher wahnsinnig wild und teilweise auch etwas kopflos.
Wie präsent ist die Verletzung in Ihrem Kopf heute?
Ich kümmere mich besser um meine Knie, als ich das zuvor getan habe. Und ich bereite mich noch intensiver auf Spiele und Trainingseinheiten vor. Aber über die Verletzung als solche denke ich heute nicht mehr nach.