Mit 22 Jahren ist Marko Grujic auf direktem Weg zum kompletten Mittelfeldspieler. Wie wichtig er jetzt schon sein kann, zeigt sich in Berlin: Ohne den Serben geht bei Hertha gar nichts. Warum?
Herthas Trainer Pal Dardai ist nicht unbedingt für sein überbordendes Temperament bekannt. Doch manchmal kann auch der größte Stoiker nicht anders, als mit Superlativen um sich zu werfen. Das heißt in der Regel nur, dass er es auch wirklich ernst meint.
Den zwischenzeitlichen 1:1‑Ausgleich am letzten Spieltag gegen Schalke bezeichnete Dardai dementsprechend als „Herthas Tor des Jahrzehnts.“ 12,9 Sekunden, 13 Ballkontakte und drei Stationen vom Einwurf auf Höhe des eigenen Strafraums bis ins Schalker Tor sorgten tatsächlich für einen hervorragenden Konter, den Marko Grujic mit seinem zweiten Saisontor abschloss.
Überhaupt scheint Dardai immer dann in die obersten Regale des Lobes zu greifen, wenn es um den 22-jährigen Serben geht. Nach dessen Debüt-Tor für Hertha Anfang Dezember gegen Frankfurt sagte sein Trainer: „Ich bin jetzt 22 Jahre hier und will niemanden beleidigen, aber ich glaube, so einen Mittelfeldspieler hat Hertha BSC noch nie gehabt.“
„Er steht immer richtig“
Ein bittersüßes Urteil, schließlich ist Grujic nur für ein Jahr vom FC Liverpool ausgeliehen. Der wiederum verpflichtete ihn nach nicht mal 50 Profi-Einsätzen von Roter Stern Belgrad. Dafür war Grujic 2015 als Teil einer womöglich goldenen Generation mit der serbischen U20 Weltmeister geworden, an der Seite von Mijat Gacinovic und Milos Veljkovic.
Nicht nur die Scouts der Reds, auch Pal Dardai erkannte früh das Potential des Mittelfeldspielers, der mit 17 für die Profis in Belgrad debütierte. Am ersten Spieltag der Saison noch in der 88. Spielminute eingewechselt, stand er am zweiten, auch damals gegen Schalke, schon in der Startelf.
Im Gegensatz zur natürlichen Autorität Sergej Milinkovic-Savics, ebenfalls Teil des Weltmeister-Teams von 2015 und gesegnet mit dem Körperbau eines aufrechtgehenden Gorillas sowie einem Gesicht, gemischt aus Dorfdisco-Türsteher und Personenschützer, sieht Grujic mit seinen 1,91 Metern und der schlaksigen Statur immer ein bisschen fehl am Platz aus. Doch wie so oft täuscht der erste Eindruck. Herthas Manager Michael Preetz sagt: „Er hat eine natürliche Begabung. Er steht immer richtig.“ Aber er bewegt sich eben auch richtig.
Grujic steht im zentralen Mittelfeld für ein hochintelligentes Zweikampfverhalten. Gäbe es einen Tackling-IQ-Test, müsste die Skala für ihn nach oben erweitert werden. Wegen seiner etwas staksigen Bewegungen würde man es nicht erwarten, aber Grujic kann ebenfalls hervorragend dribbeln. Scheinbar instinktiv dreht er sich immer in die richtige Richtung. Die anschließende Ballverteilung, wenn er sich seiner Gegenspieler entledigt hat, die Seitenverlagerungen und Steckpässe erinnern an Toni Kroos.
Als wäre das noch nicht genug, gibt es noch mehr, was Herthas Chefcoach an Grujic schätzt. Der Serbe steht auch für Dardai-eske Qualitäten: „Er ist präsent in der Mitte, kopfballstark, sowohl defensiv wie offensiv. Er hat einen guten Schuss, ist zweikampfstark und begeht im richtigen Moment taktische Fouls“, befindet der Mann, für den der Begriff „ehrliche Arbeit“ erfunden wurde. Grujic strahle Ruhe aus, er sei immer anspielbar – „und dass Arne Maier an seiner Seite anders spielt, weil er durch Marko Sicherheit bekommt und mehr Akzente nach vorn setzen kann, hat man auch deutlich gesehen.“
Großes Manko: Effizienz
Der 22-jährige Leihspieler, der für Liverpool nur 14-mal zum Einsatz kam, trägt die 20-jährige Berliner Nachwuchshoffnung: Grujic, in jungen Jahren schon auf dem besten Weg zum kompletten Mittelfeldspieler, ist zum Herzstück von Herthas Spiel geworden. Im bislang wechselhaftem Saisonverlauf der Berliner lässt sich ein Muster erkennen: Nach wie vor hat Dardais Mannschaft noch nicht verloren, wenn Grujic auf dem Platz stand, 21 Punkte aus neun Spielen geholt. Wenn Grujic allerdings fehlte, gab es umgekehrt nur einen Sieg und insgesamt sieben Punkte aus den zehn Spielen ohne ihn.
Was Grujic bislang noch abgeht, ist die Effizienz. Der Abschluss des perfekten Konters gegen Schalke war erst seine zweite Torbeteiligung, für einen Mitspieler aufgelegt hat er bei Hertha noch gar nicht. Dennoch würden die Berliner womöglich noch besser dastehen, hätte der Serbe nicht so ein empfindliches Sprunggelenk, das ihn bereits zwei Mal diese Saison stoppte.
Immerhin kam er nach seinen verletzungsbedingten Pausen jeweils stark zurück – wie eben gegen Schalke. Im Vereinsinterview betont Grujic selbst, er sei „noch nicht wieder ganz bei hundert Prozent“. Gut möglich also, dass Dardai bald einen neuen Superlativ auspacken muss.