In der Saison 2010/11 hatte Michael Preetz den schwierigsten Job im deutschen Fußball. Der Wiederaufstieg war Pflicht für den Sportdirektor von Hertha BSC, die Reformierung des ramponierten Klub-Images die Kür. Ein Jahr mit einem Manager unter Druck.
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Außerdem präsentieren wir euch an dieser Stelle in den kommenden Wochen weitere spektakuläre Reportagen, Interviews und Bilderserien. Heute: Ein Jahr zweite Liga mit Michael Preetz und Hertha BSC.
Als das Ziel erreicht ist, schmeckt der Erfolg fassfrisch und herb. Michael Preetz sitzt in einer dunkelgrünen Ledergarnitur mit englischer Knopfpolsterung und lässt sich noch ein Pils servieren. Zigarettenrauch umhüllt den Manager von Hertha BSC wie ein hauchfeiner Vorhang. Die Leuchtreklame an den holzgetäfelten Schrägen der Bar fleht: „Bitte ein Bit“. Neben ihm ruft Markus Babbel dem Wirt noch eine Bestellung zu. Aus den Boxen dröhnt „Sommersprossen“, der größte Hit von UKW, einer Gruppe der Neuen Deutschen Welle aus Westberlin. Dem Westberlin, das viele Jahre auch der Fußballverein Hertha BSC repräsentierte. Der Klub, für den Michael Preetz seit 15 Jahren arbeitet, dessen Rekordtorschütze und Geschäftsführer Sport er ist.
Fußball ist ein Geschäft, das niemals stillsteht. Im Augenblick des Triumphs bleibt selten Zeit, sich einen geeigneten Ort zum Glücklichsein zu suchen. Das gute Gefühl, es geschafft zu haben, ist einfach da. Manchmal sogar in einer patinaschweren Pils-Bar wie „Schottes Kneipe“ an einer Ortsausgangsstraße von Oberhausen. Eine Gaststube, die aussieht wie der verrauchte Partykeller-Traum eines alternden Playboys.
An der Wand hängt ein Autogrammfoto von David Copperfield, dem Magier. Auch Rex Gildo und Uli Stielike haben hier in der Hotelbar schon gefeiert, wie gerahmte Schnappschüsse beweisen. Der Hertha-Manager blickt auf das Display seines Mobiltelefons: 88 SMS, die Glückwunschtelegramme der Postmoderne. Andreas Rettig, der Manager des FC Augsburg, schreibt: „Es fällt mir zwar schwer, es zuzugeben, aber ihr seid die Besten.“
„Wir haben nur eine Patrone“
Es ist die Nacht nach Ostermontag 2011. Hertha BSC hat mit einem 1:0‑Auswärtssieg beim MSV Duisburg den Wiederaufstieg in die Bundesliga geschafft. Ein Ziel, zu dessen Erreichen es von Anfang an keine Alternative gab. Der Wiederaufstieg war ein Versprechen des Vereins – an seine Mitglieder, an Fans, Sponsoren, das Umfeld. An Berlin. „Wir haben nur eine Patrone“, hieß die offizielle Sprachregelung der Männer von der Hertha-Geschäftsstelle, und die muss sitzen. Drei Spieltage vor Ende der Spielzeit hat der Klub das Versprechen nun eingelöst und damit nicht nur sein Überleben in den wirtschaftlichen und sportlichen Dimensionen eines Bundesligisten gesichert, sondern auch seine Integrität bewiesen. Um drei Uhr morgens in der Ledergarnitur von „Schottes Kneipe“ wird es auch Michael Preetz zur Gewissheit.
Die Anspannung fällt ab, wenn auch nur für Stunden, denn das nächste Spiel ist schon am Freitag.
Die Jubelbilder wirkten nach dem Abpfiff im MSV-Stadion fast etwas einstudiert. Als hätte die Herthaner nach Wochen des Abwiegelns der Marschbefehl zur guten Laune fast ein wenig überrascht. Trainer Babbel und Manager Preetz werden vor dem Block der Gästefans auf Händen getragen – und Letzterer dabei am Ende so abrupt zu Boden gelassen, dass er sich fast das Steißbein prellt. Präsident Werner Gegenbauer gerät in der Kabine in eine Sektdusche und berlinert fröhlich, niemand solle sich beschweren, wenn er bis zur Rückkunft in Berlin ein wenig müffele, schließlich habe er nur eine Garnitur dabei.
Doch davon bekommt keiner mehr etwas mit, denn in einer Ecke von „Schottes Kneipe“ hat sich der freundliche Hertha-Patriarch nun eine Cohiba angesteckt. Markus Babbel, dem daheim in München die Gattin das Rauchen untersagt hat, tut sich an den Benson & Hedges von Vereinssprecher Peter Bohmbach gütlich. Ein Kellner trägt Tabletts mit Pils und Weißbier heran.
Am Ende der Saison 2009/10 stieg Hertha BSC überraschend aus der ersten Liga ab. Manager Michael Preetz hatte sein Amt erst kurz zuvor von Dieter Hoeneß übernommen. Nun stand er vor der größten Herausforderung seiner noch jungen Laufbahn: Es galt, den Stamm der Erstligamannschaft für Spiele gegen Greuther Fürth und den SC Paderborn zu begeistern, die Sponsoren zu halten und nebenbei noch das gefrustete Berliner Publikum mit der Hertha zu versöhnen. Sollte Preetz scheitern, das war klar, würde es verheerende Folgen für den Klub haben. Für 11FREUNDE schien es höchst reizvoll, in dieses Spannungsfeld einzutauchen. Wir wollten hautnah miterleben, wie Preetz mit dieser Aufgabe und dem damit verbundenen Druck umgehen würde. Also begleiteten Fotografin Pamela Spitz und Autor Tim Jürgens den Hertha-Manager durch eine denkwürdige Spielzeit. Sie erlebten, wie Per während einer Minikrise im Spätherbst 2010 an die Ehre der Hertha-Profis appellierte, saßen mit ihm auf der Sonnenterasse im Trainingslagerhotel an der Algarve und klatschten mit ihm am Mannschaftsbus ab, als Hertha nach einem Sieg beim VfL Bochum den direkten Wiederaufstieg fast perfekt gemacht hatte. Ein Jahr lang hefteten sie sich an seine Fersen – und sie waren auch dabei als der Manager und Trainer Markus Babbel die letzten Gäste bei der inoffiziellen Meisterfeier in einer düsteren Oberhausener Hotelbar waren, wo Preetz in den Morgenstunden bei einem letzten Pils mit einem ironischen Lächeln preisgab:„Ganz ehrlich: Ich habe von Aufstiegen so was von die Nase voll.“
Manager Preetz schlendert die Tische seiner Spieler entlang wie ein Landmann über seinen blühenden Acker. Pierre-Michel Lasogga, der 19-jährige Stürmerstar, den sie in der Führungsetage wegen seiner Unwiderstehlichkeit beim Torschuss fast zärtlich „den Wahnsinnigen“ nennen, sitzt neben seiner Mutter und schaut sich im Fernseher die Bilder der Kabinenfeier an. Peter Niemeyer, bei Werder Bremen für zu sensibel befunden, trinkt Fanta am Tresen und tippt eine SMS nach der anderen. Gegenüber diskutieren Torwart Maikel Aerts und Kapitän Andre Mijatovic, ob die Mannschaft am Saisonende auf dem Balkon des Roten Rathauses offiziell mit den Fans feiern solle. Die beiden fragen sich, ob ein Aufstieg dafür Anlass sei. Im Vorbeigehen klopft Preetz den beiden Spielern onkelhaft auf die Schultern und beendet die Debatte: „Da wird gerade renoviert.“ Der Zwang zum Erfolg hat die Bande im Team eng werden lassen, die Profis aus 13 Nationen zu einer Schicksalsgemeinschaft verschmolzen.