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Seite 9: Glück ist, wenn das Chaos Pause macht

Als in der 87. Minute der Bra­si­lianer Raf­fael mit einem herr­lich her­aus­ge­spielten Tor den 2:0‑Endstand mar­kiert, löst er jedoch als Aller­erster auf der Hertha-Bank die Hand­bremse. Markus Babbel, die Ersatz­spieler, keiner kann Preetz noch folgen, als der Ball im Netz ein­schlägt. Mit weit aus­ge­brei­teten Armen, so wie heute kaum noch ein Stürmer jubelt, geht er durch. Auf der Tri­büne steht ein sicht­lich gerührter Werner Gegen­bauer und sagt leise: Det hamse richtig jut jemacht.“ Ein magi­scher Moment in dieser Hertha-Serie. Der Auf­stieg?

Fast. Die Phrasen der Spieler in der Mixed Zone spie­geln kokettes Under­state­ment wider: Serie gebro­chen.“ Big Point.“ Ein großer Schritt, aber wir haben noch nichts erreicht …“ Doch kein Wort, keine Geste, bringt das see­li­sche Hoch­ge­fühl, in dem sich der gesamte Klub an diesem Mon­tag­abend in Bochum befindet, mehr auf den Punkt als der mark­erschüt­ternde Schlag, den Michael Preetz im Vor­bei­gehen Andre Mija­tovic auf die Schulter gibt, der gerade beim Inter­view steht. Dass der Kroate nicht post­wen­dend mit einem Schleu­der­trauma in die Klinik gebracht werden muss, kann nur auf den hohen Endor­phin-Aus­stoß zurück­ge­führt werden.

Am nächsten Morgen klin­gelt das Handy des Mana­gers: Reiner Cal­mund ist dran. Er schreibt die Kolumne in einer Bou­le­vard­zei­tung und will plau­dern. Er fragt: Junge, soll ich deinem Prä­si­dium ein biss­chen Druck machen? Soll ich schreiben, dass du nach dem Auf­stieg min­des­tens acht neue Spieler brauchst?“ Preetz sagt, was er seit Beginn der Saison sagt. Dass er gedenke, mit allen aktu­ellen Leis­tungs­trä­gern auch in der Bun­des­liga zu spielen. Dass kein zen­traler Spieler abge­geben werde. Nichts für ungut, einen Ver­such sei es wert gewesen. Bess dem­nächs, Jung.“ Calli legt auf.

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Ein Mann tut seine Pflicht: Michael Preetz löst die Hand­bremse nach dem ent­schei­denden 2:0 durch Raf­fael beim Rück­spiel­sieg in Bochum.

Pamela Spitz

Ziel­flagge

Die rück­wärts­lau­fende Uhr auf der Home­page von Hertha BSC steht bei 25 Tagen, 16 Stunden, 59 Minuten und 18 Sekunden, als Hertha BSC wieder erst­klassig ist. Ein unprä­ten­tiöser 1:0‑Sieg beim MSV Duis­burg im Wed­au­s­ta­dion reicht. Die Kon­kur­renz hat am Wochen­ende gepatzt. Hertha hätte sogar ein Unent­schieden gereicht.

Als der Klub vor 14 Jahren in die Bun­des­liga auf­stieg, fei­erten nach dem letzten Sai­son­spiel 22 000 Fans auf dem Ber­liner Mai­feld den Auf­stieg. Damals hatte der Klub unge­fähr 2000 Mit­glieder. Seit Anfang dieser Saison hat Hertha BSC fast 5000 neue Mit­glieder hin­zu­ge­wonnen, die neu­este Zahl liegt nun bei ins­ge­samt 23 070. Der Verein hat 344 offi­zi­elle Fan­klubs, einen sogar in Anda­lu­sien. Der Sai­son­zu­schau­er­schnitt liegt bei 46 131 Zuschauern – Welt­re­kord für einen Zweit­li­gisten. Die Hoeneß-Ära ist end­gültig Geschichte. Der Auf­stieg ist das Ende der Uner­träg­lich­keit“, sagt einer aus dem zweiten Stock der Hertha-Geschäfts­stelle. Wächst nun also zusammen, was zusam­men­ge­hören sollte – ein Verein und seine Stadt?

MG 6090
Pamela Spitz

Glück ist …

Michael Preetz bekommt ein letztes Pils. Es ist inzwi­schen fast vier Uhr mor­gens in der Ober­hau­sener Hotelbar Schottes Kneipe“. Der Morgen nach Oster­montag. Die blaue Stunde. Whitney Houston schmachtet One Moment In Time“, als habe sich der betrun­kene Han­dels­rei­sende vorn am Tresen den Song extra für die Hertha-Offi­zi­ellen gewünscht. Wenn es nicht so furchtbar schmalzig wäre, könnte man fast sen­ti­mental werden.

Die Spieler liegen längst in ihren Betten. Preetz, sein alter Team­kol­lege aus Duis­burger Zeiten, Torsten Woh­lert, und Markus Babbel sind die Über­bleibsel der Auf­stiegs­nacht. Der Trainer spricht von den Beschwer­lich­keiten des Zweit­li­ga­fuß­balls. Er redet sich den Stress der Monate von der Seele. Den Stress, zum Auf­stieg ver­dammt zu sein.Babbel hat in seiner aktiven Kar­riere nie zweit­klassig gespielt. Preetz hin­gegen war stets ein Grenz­gänger zwi­schen den Ligen. 257 Spiele hat er in der Bun­des­liga absol­viert, genau eins mehr als in der zweiten Liga. Er lächelt ein iro­ni­sches Lächeln und sagt: Ganz ehr­lich: Ich habe von Auf­stiegen so was von die Nase voll.“ Heute ist er das fünfte Mal in seiner Lauf­bahn auf­ge­stiegen, als Manager das erste Mal.

Der Tag bricht an. Zeit für Anek­doten. Markus Babbel erzählt nun von Otto Reh­ha­gels rus­ti­kalen Kabi­nen­an­spra­chen in dessen Bayern-Ära und davon, wie sich die Profis über den Alt­meister lustig machten. Preetz setzt einen drauf und erin­nert an die poli­tisch frag­wür­digen Zoten seines Coachs Klaus Schlappner beim 1. FC Saar­brü­cken. Es geht vom Äst­chen aufs Stöck­chen.

Babbel drückt seine Ziga­rette in den über­quel­lenden Aschen­be­cher und gibt seinem Kol­legen einen freund­schaft­li­chen Klaps auf die Schulter.

Jetzt ham­mers packt.“

Ein kurzes Schweigen. Stille. Woh­lige Zufrie­den­heit. Glück ist, wenn das Chaos Pause macht.