In der Saison 2010/11 hatte Michael Preetz den schwierigsten Job im deutschen Fußball. Der Wiederaufstieg war Pflicht für den Sportdirektor von Hertha BSC, die Reformierung des ramponierten Klub-Images die Kür. Ein Jahr mit einem Manager unter Druck.
Als in der 87. Minute der Brasilianer Raffael mit einem herrlich herausgespielten Tor den 2:0‑Endstand markiert, löst er jedoch als Allererster auf der Hertha-Bank die Handbremse. Markus Babbel, die Ersatzspieler, keiner kann Preetz noch folgen, als der Ball im Netz einschlägt. Mit weit ausgebreiteten Armen, so wie heute kaum noch ein Stürmer jubelt, geht er durch. Auf der Tribüne steht ein sichtlich gerührter Werner Gegenbauer und sagt leise: „Det hamse richtig jut jemacht.“ Ein magischer Moment in dieser Hertha-Serie. Der Aufstieg?
Fast. Die Phrasen der Spieler in der Mixed Zone spiegeln kokettes Understatement wider: „Serie gebrochen.“ „Big Point.“ „Ein großer Schritt, aber wir haben noch nichts erreicht …“ Doch kein Wort, keine Geste, bringt das seelische Hochgefühl, in dem sich der gesamte Klub an diesem Montagabend in Bochum befindet, mehr auf den Punkt als der markerschütternde Schlag, den Michael Preetz im Vorbeigehen Andre Mijatovic auf die Schulter gibt, der gerade beim Interview steht. Dass der Kroate nicht postwendend mit einem Schleudertrauma in die Klinik gebracht werden muss, kann nur auf den hohen Endorphin-Ausstoß zurückgeführt werden.
Am nächsten Morgen klingelt das Handy des Managers: Reiner Calmund ist dran. Er schreibt die Kolumne in einer Boulevardzeitung und will plaudern. Er fragt: „Junge, soll ich deinem Präsidium ein bisschen Druck machen? Soll ich schreiben, dass du nach dem Aufstieg mindestens acht neue Spieler brauchst?“ Preetz sagt, was er seit Beginn der Saison sagt. Dass er gedenke, mit allen aktuellen Leistungsträgern auch in der Bundesliga zu spielen. Dass kein zentraler Spieler abgegeben werde. Nichts für ungut, einen Versuch sei es wert gewesen. „Bess demnächs, Jung.“ Calli legt auf.
Die rückwärtslaufende Uhr auf der Homepage von Hertha BSC steht bei 25 Tagen, 16 Stunden, 59 Minuten und 18 Sekunden, als Hertha BSC wieder erstklassig ist. Ein unprätentiöser 1:0‑Sieg beim MSV Duisburg im Wedaustadion reicht. Die Konkurrenz hat am Wochenende gepatzt. Hertha hätte sogar ein Unentschieden gereicht.
Als der Klub vor 14 Jahren in die Bundesliga aufstieg, feierten nach dem letzten Saisonspiel 22 000 Fans auf dem Berliner Maifeld den Aufstieg. Damals hatte der Klub ungefähr 2000 Mitglieder. Seit Anfang dieser Saison hat Hertha BSC fast 5000 neue Mitglieder hinzugewonnen, die neueste Zahl liegt nun bei insgesamt 23 070. Der Verein hat 344 offizielle Fanklubs, einen sogar in Andalusien. Der Saisonzuschauerschnitt liegt bei 46 131 Zuschauern – Weltrekord für einen Zweitligisten. Die Hoeneß-Ära ist endgültig Geschichte. „Der Aufstieg ist das Ende der Unerträglichkeit“, sagt einer aus dem zweiten Stock der Hertha-Geschäftsstelle. Wächst nun also zusammen, was zusammengehören sollte – ein Verein und seine Stadt?
Michael Preetz bekommt ein letztes Pils. Es ist inzwischen fast vier Uhr morgens in der Oberhausener Hotelbar „Schottes Kneipe“. Der Morgen nach Ostermontag. Die blaue Stunde. Whitney Houston schmachtet „One Moment In Time“, als habe sich der betrunkene Handelsreisende vorn am Tresen den Song extra für die Hertha-Offiziellen gewünscht. Wenn es nicht so furchtbar schmalzig wäre, könnte man fast sentimental werden.
Die Spieler liegen längst in ihren Betten. Preetz, sein alter Teamkollege aus Duisburger Zeiten, Torsten Wohlert, und Markus Babbel sind die Überbleibsel der Aufstiegsnacht. Der Trainer spricht von den Beschwerlichkeiten des Zweitligafußballs. Er redet sich den Stress der Monate von der Seele. Den Stress, zum Aufstieg verdammt zu sein.Babbel hat in seiner aktiven Karriere nie zweitklassig gespielt. Preetz hingegen war stets ein Grenzgänger zwischen den Ligen. 257 Spiele hat er in der Bundesliga absolviert, genau eins mehr als in der zweiten Liga. Er lächelt ein ironisches Lächeln und sagt: „Ganz ehrlich: Ich habe von Aufstiegen so was von die Nase voll.“ Heute ist er das fünfte Mal in seiner Laufbahn aufgestiegen, als Manager das erste Mal.
Der Tag bricht an. Zeit für Anekdoten. Markus Babbel erzählt nun von Otto Rehhagels rustikalen Kabinenansprachen in dessen Bayern-Ära und davon, wie sich die Profis über den Altmeister lustig machten. Preetz setzt einen drauf und erinnert an die politisch fragwürdigen Zoten seines Coachs Klaus Schlappner beim 1. FC Saarbrücken. Es geht vom Ästchen aufs Stöckchen.
Babbel drückt seine Zigarette in den überquellenden Aschenbecher und gibt seinem Kollegen einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
„Jetzt hammers packt.“
Ein kurzes Schweigen. Stille. Wohlige Zufriedenheit. Glück ist, wenn das Chaos Pause macht.