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Die meisten meiner Freunde hassen U‑Bahn-Fahrten. Sie sagen, in der U‑Bahn ist es sti­ckig, dre­ckig und sie kommt immer dann zu spät, wenn man wich­tige Ver­ab­re­dungen hat. Ich liebe die U‑Bahn. Beson­ders die Ber­liner U8, die zwi­schen Wed­ding und Neu­kölln, also von Nord nach Süd, ver­kehrt. Neu­lich erst wurde ich Zeuge eines der besten Thea­ter­stücke des abge­lau­fenen Jahres: In einem ein­zigen Waggon ver­sam­melten sich zwi­schen den Sta­tionen Kott­busser Tor und Her­mann­platz: ein gut gelaunter Straßenfeger“-Verkäufer („Ick bin Uwe…“), drei musi­zie­rende Sinti-Roma-Kinder („Hit the road, Jack!“), ein Funk­ti­ons­ja­cken tra­gender Ver­schwö­rungs­theo­re­tiker („Sie beob­achten uns alle! CIA, FBI, BND!“) und ein obdach­loser Dichter („Die Ein­tags­fliege hat ein kurzes Leben…“). Zudem wei­tere 30 bis 40 Fahr­gäste, dar­unter ein Kli­schee-Yuppie mit Pul­lunder und hoch­ge­stelltem Hemd­kragen („Nun lass mich in Ruhe mit deiner CIA-Scheiße!“) und ein Kli­schee-Hippie mit Dreads und Tabak­beutel („Ey, fahr doch nicht U‑Bahn, wenn de keinen Bock auf andere Leute hast!“). Ein großes Hallo.

In Kiew sind die Leute in der Metro emo­ti­ons­loser. Ich fahre hier täg­lich von der Sta­tion Pis­nioky bis Palaz Sportu, von der Ost­seite des Dnjeprs auf die West­seite. Acht lange Sta­tionen, Fahr­zeit etwa: 25 Minuten. Davon 20 Minuten unter der Erde. Immerhin laufen manchmal lus­tige Clips über die Bild­schirme der Wag­gons. Vor ein paar Tagen etwa ein Video, in dem sich eine Katze in einem Vogel­käfig zwängte, um den Wel­len­sit­tich zu ver­speisen. Dieser flog aber prompt hinaus. Das Schloss fiel zu, die Katze war gefangen. Kiewer Metro-Dramen. Ansonsten ist es hier recht ereig­nislos.

Heute änderte sich das schlag­artig. Ich war gerade erst ein­ge­stiegen, da sprang der erste flie­gende Händler in mein Abteil. Er hielt einen zwei­mi­nü­tigen Monolog, dann holte er eine große Tüte aus seinem Ruck­sack und prä­sen­tierte: Hand­schuhe. Wohl­ge­merkt: Es sind momentan 30 Grad in Kiew. Das Absurde: Jemand kaufte zwei Paar. Ich nahm an, dass es in seinem Monolog um eine Käl­te­front ging, die sich auf Kiew zube­wegt, und über­legte eben­falls welche zu kaufen. Doch da war er schon ver­schwunden.

Zwei Hal­te­stellen später stieg der nächste Händler ein. Ein ähn­li­cher Ablauf. Er redete und redete und redete. Er hatte einen kleinen Roll­koffer dabei, den er schließ­lich öff­nete. Zum Vor­schein kam ein Plas­tik­hub­schrauber. Er legte ihn behutsam auf seine Hand­fläche und zog an einem Seil. Der Hub­schrauber hob ab, zehn Zen­ti­meter hoch etwa. Dann segelte er nieder. Inter­es­sant, dachte ich, doch nichts für mich. Auch die anderen Fahr­gäste inter­es­sierte die Flug­show nicht. Sie guckten gera­deaus oder auf ihre Smart­phones. Der Hub­schrauber-Mann ver­ließ das Abteil.

So viel Trubel und Kauf­an­reize hatte ich in meinen bis­he­rigen zehn Tagen in keiner Metro und in keinem Bus gehabt, nicht in Lwiw, nicht in Charkiw, bis dato auch nicht in Kiew. Also beschloss ich, beim nächsten Händler etwas zu kaufen. Ganz gleich, was es sein würde.

Doch dann pas­sierte erst einmal nichts. Es folgte die Sta­tion Pescherska, dann die Sta­tion Klovska. Noch eine Sta­tion bis zum Palaz Sportu. Ich wurde unruhig, denn ich war in Kauf­stim­mung, aber es gab mit einem Mal kein Angebot mehr. Doch dann, als die Türen schon schlossen, sprang ein Mann, viel­leicht 45 Jahre alt und völlig außer Atem, in das Abteil. Er hatte eine rie­sige Tasche bei sich. Ein Camper, dachte ich, und wollte mich schon ent­täuscht abdrehen. Doch ich hatte mich getäuscht. Auch er wollte prä­sen­tieren und ver­kaufen. Er redete und dann öff­nete er seine Tasche. Nun gab es kein Zurück mehr. Er sah, wie ich mein Porte­mon­naie her­vor­holte und stellte sich vor mich. Dann berich­tete er weiter. Ich sagte, ich ver­stehe ihn nicht. Doch er berich­tete und berich­tete. Ein anderer Mann stellte sich neben uns, er sagte, dass er ein Qua­li­täts­pro­dukt ver­kaufe. Gerade jetzt, bei der Hitze, würde das, was dieser Mann ver­kaufe, viel Spaß machen. Es ging um Water“ und Sea“.

Er gab mir die Ware, ver­packt in einem grauen Karton und mit aller­hand Schnüren und Kle­be­band umwi­ckelt. Dann zahlte ich den Preis, 15 Griwna, 1,50 Euro, und steckte den Karton in meinen Ruck­sack. Ich würde eine Schere benö­tigen, dachte ich, doch über den Tag vergaß ich den Karton wieder. Erst Zuhause in Kharkvskiy Massiv öff­nete ich ihn mit einem Brot­messer. Zum Vor­schein kam ein Schwimm­ring, gefaltet auf die Größe eines Bröt­chens. Ein guter Kauf, dachte ich, und pus­tete den Ring auf. Dann ging ich an den kleinen See hinter meiner Plat­ten­bau­sied­lung. Dort darf man zwar nicht schwimmen, er ist zu dre­ckig. Doch das war nicht so wichtig, denn der Ring stand mir aus­ge­spro­chen gut.