Normalerweise geht es ruhig zu in den U‑Bahnen von Kiew. Als ihn jedoch mehrere Straßenhändler belagerten, bekam Andreas Bock, unser Mann in der Ukraine, spontan Lust zu shoppen. Sodenn kaufte er für 1,50 Euro ein Paket und ließ sich vom Inhalt überraschen.
Die meisten meiner Freunde hassen U‑Bahn-Fahrten. Sie sagen, in der U‑Bahn ist es stickig, dreckig und sie kommt immer dann zu spät, wenn man wichtige Verabredungen hat. Ich liebe die U‑Bahn. Besonders die Berliner U8, die zwischen Wedding und Neukölln, also von Nord nach Süd, verkehrt. Neulich erst wurde ich Zeuge eines der besten Theaterstücke des abgelaufenen Jahres: In einem einzigen Waggon versammelten sich zwischen den Stationen Kottbusser Tor und Hermannplatz: ein gut gelaunter „Straßenfeger“-Verkäufer („Ick bin Uwe…“), drei musizierende Sinti-Roma-Kinder („Hit the road, Jack!“), ein Funktionsjacken tragender Verschwörungstheoretiker („Sie beobachten uns alle! CIA, FBI, BND!“) und ein obdachloser Dichter („Die Eintagsfliege hat ein kurzes Leben…“). Zudem weitere 30 bis 40 Fahrgäste, darunter ein Klischee-Yuppie mit Pullunder und hochgestelltem Hemdkragen („Nun lass mich in Ruhe mit deiner CIA-Scheiße!“) und ein Klischee-Hippie mit Dreads und Tabakbeutel („Ey, fahr doch nicht U‑Bahn, wenn de keinen Bock auf andere Leute hast!“). Ein großes Hallo.
In Kiew sind die Leute in der Metro emotionsloser. Ich fahre hier täglich von der Station Pisnioky bis Palaz Sportu, von der Ostseite des Dnjeprs auf die Westseite. Acht lange Stationen, Fahrzeit etwa: 25 Minuten. Davon 20 Minuten unter der Erde. Immerhin laufen manchmal lustige Clips über die Bildschirme der Waggons. Vor ein paar Tagen etwa ein Video, in dem sich eine Katze in einem Vogelkäfig zwängte, um den Wellensittich zu verspeisen. Dieser flog aber prompt hinaus. Das Schloss fiel zu, die Katze war gefangen. Kiewer Metro-Dramen. Ansonsten ist es hier recht ereignislos.
Heute änderte sich das schlagartig. Ich war gerade erst eingestiegen, da sprang der erste fliegende Händler in mein Abteil. Er hielt einen zweiminütigen Monolog, dann holte er eine große Tüte aus seinem Rucksack und präsentierte: Handschuhe. Wohlgemerkt: Es sind momentan 30 Grad in Kiew. Das Absurde: Jemand kaufte zwei Paar. Ich nahm an, dass es in seinem Monolog um eine Kältefront ging, die sich auf Kiew zubewegt, und überlegte ebenfalls welche zu kaufen. Doch da war er schon verschwunden.
Zwei Haltestellen später stieg der nächste Händler ein. Ein ähnlicher Ablauf. Er redete und redete und redete. Er hatte einen kleinen Rollkoffer dabei, den er schließlich öffnete. Zum Vorschein kam ein Plastikhubschrauber. Er legte ihn behutsam auf seine Handfläche und zog an einem Seil. Der Hubschrauber hob ab, zehn Zentimeter hoch etwa. Dann segelte er nieder. Interessant, dachte ich, doch nichts für mich. Auch die anderen Fahrgäste interessierte die Flugshow nicht. Sie guckten geradeaus oder auf ihre Smartphones. Der Hubschrauber-Mann verließ das Abteil.
So viel Trubel und Kaufanreize hatte ich in meinen bisherigen zehn Tagen in keiner Metro und in keinem Bus gehabt, nicht in Lwiw, nicht in Charkiw, bis dato auch nicht in Kiew. Also beschloss ich, beim nächsten Händler etwas zu kaufen. Ganz gleich, was es sein würde.
Doch dann passierte erst einmal nichts. Es folgte die Station Pescherska, dann die Station Klovska. Noch eine Station bis zum Palaz Sportu. Ich wurde unruhig, denn ich war in Kaufstimmung, aber es gab mit einem Mal kein Angebot mehr. Doch dann, als die Türen schon schlossen, sprang ein Mann, vielleicht 45 Jahre alt und völlig außer Atem, in das Abteil. Er hatte eine riesige Tasche bei sich. Ein Camper, dachte ich, und wollte mich schon enttäuscht abdrehen. Doch ich hatte mich getäuscht. Auch er wollte präsentieren und verkaufen. Er redete und dann öffnete er seine Tasche. Nun gab es kein Zurück mehr. Er sah, wie ich mein Portemonnaie hervorholte und stellte sich vor mich. Dann berichtete er weiter. Ich sagte, ich verstehe ihn nicht. Doch er berichtete und berichtete. Ein anderer Mann stellte sich neben uns, er sagte, dass er ein Qualitätsprodukt verkaufe. Gerade jetzt, bei der Hitze, würde das, was dieser Mann verkaufe, viel Spaß machen. Es ging um „Water“ und „Sea“.
Er gab mir die Ware, verpackt in einem grauen Karton und mit allerhand Schnüren und Klebeband umwickelt. Dann zahlte ich den Preis, 15 Griwna, 1,50 Euro, und steckte den Karton in meinen Rucksack. Ich würde eine Schere benötigen, dachte ich, doch über den Tag vergaß ich den Karton wieder. Erst Zuhause in Kharkvskiy Massiv öffnete ich ihn mit einem Brotmesser. Zum Vorschein kam ein Schwimmring, gefaltet auf die Größe eines Brötchens. Ein guter Kauf, dachte ich, und pustete den Ring auf. Dann ging ich an den kleinen See hinter meiner Plattenbausiedlung. Dort darf man zwar nicht schwimmen, er ist zu dreckig. Doch das war nicht so wichtig, denn der Ring stand mir ausgesprochen gut.