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Edgar Lud­wigs, es ist der 9. Juli 1990. Die frisch­ge­ba­ckenen Welt­meister steigen in die Kanz­ler­ma­schine, um mit Ihnen von Rom zurück nach Frank­furt zu fliegen. Sie stehen am Ein­gang des Flug­zeugs und begrüßen die Spieler. Woran erin­nern Sie sich?
Einer der ersten, die ins Flug­zeug kamen, war Sepp Maier.

Der Welt­meister von 1974 war inzwi­schen Bun­des­tor­wart­trainer.
Er war all­ge­mein als humor­voller Typ bekannt, also fasste ich mir ein Herz und fragte, ob er mir auf dem Poster der Natio­nalelf, das ich mit­ge­bracht hatte, ein Auto­gramm geben könne. Maier nahm mich gleich bei­seite und sagte: Junge, Du kannst hier beim Ein­steigen aber nicht jeden nach seiner Unter­schrift fragen. Das wird nichts. Gib mal her!“ Und nahm das Poster mit.

Warum das denn?
Er ver­sprach, wäh­rend des Flugs rum­zu­gehen und nach und nach alle Spieler nach ihrem Auto­gramm zu fragen.

Sie haben das Poster ver­mut­lich nie wie­der­ge­sehen?
Zuge­geben, man konnte den meisten ansehen, dass sie nicht viel geschlafen hatten. Aber Sepp Maier war sehr hilfs­be­reit. Als er aus­stieg, drückte er mir das Bild in die Hand, und fast alle Spieler hatten unter­schrieben. Ich habe es bis heute auf­ge­hoben.

Wie kamen Sie dazu, mit dem WM-Team zu fliegen?
Ins­ge­samt war ich elf Jahre lang Kanzler-Ste­ward bei der Bun­des­wehr. Damals stand ich noch ganz am Anfang einer Lauf­bahn, ich war knapp zwanzig und schloss gerade meinen Unter­of­fi­ziers­lehr­gang in Ham­burg ab. Ende Juni 1990 rief mein Chef aus Köln/​Bonn an und sagte, ich solle mich bereit­halten, es könne pas­sieren, dass Helmut Kohl eine Maschine nach Rom schickt, für den Fall, dass die deut­sche Mann­schaft das Finale erreicht.

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Edgar Lud­wigs

Wann bestä­tigte sich der Flug?
Am Mitt­woch vor dem End­spiel traf die Mann­schaft im Halb­fi­nale in Turin auf Eng­land. Da wusste ich bereits, dass ich im Falle eines Sieges am Sonntag zum Finale in Rom sein würde. Ich weiß jeden­falls noch gut, wie sehr ich beim Elf­me­ter­schießen zit­terte – und hin­terher total selig war.

Flogen Sie mit dem VIP-Flieger des Kanz­lers?
Nein. Es gab damals ins­ge­samt vier Maschinen für staat­liche Anlässe. Wenn wir mit Helmut Kohl flogen, ließen sich zwei davon auch für VIP-Zwecke umbauen. Die August Euler“, mit der wir die Welt­meister unter dem Befehl von Ober­leut­nant Hoyer abholten, aber war ein klas­si­scher Pas­sa­gier­flieger, eine Boeing 707 mit 169 Sitz­plätzen.

Und damit ging es für Sie nun als frisch­ge­ba­ckener Unter­of­fi­zier zum Finale nach Rom.
Ich flog noch als Ober­ge­freiter nach Ita­lien und wurde direkt nach Rück­kunft zum Unter­of­fi­zier beför­dert. Hätten die sich auch vorher mal über­legen können. (Lacht.)

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Haben Sie das End­spiel gegen Argen­ti­nien im Sta­dion gesehen?
Anfangs war nicht klar, ob wir dahin dürfen. Aber es klappte. Viel­leicht lag es daran, dass wir auf dem Hin­flug Innen­mi­nister Wolf­gang Schäuble mit an Bord hatten, mit dem wir vor dem Spiel noch in der deut­schen Bot­schaft in Rom zum Essen ein­ge­laden waren. Keine Ahnung. Jeden­falls hatte ich das Glück, in der Kurve zu stehen, vor der Andreas Brehme den ent­schei­denden Elf­meter ver­senkte. Sie müssen sich vor­stellen, dass wir noch in prä-digi­talen Zeiten lebten. Ich foto­gra­fierte mühsam mit meiner Canon AE1 und ohne Blitz und hoffte, dass auf den Fotos über­haupt etwas zu erkennen sein würde. Damals musste man ja noch die Ent­wick­lung abwarten. Aber auch das klappte.

Haben Sie das Final­ti­cket noch? Memo­ra­bilia-Sammler zahlen für sowas viel Geld.
Habe ich. Die Ein­tritts­karte habe ich mir auf dem Rück­flug von Franz Becken­bauer signieren lassen.

Damals DFB-Team­chef.
Da gehörte aus meiner Sicht nur die Unter­schrift vom Kaiser“ drauf.

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Die Spieler sahen Sie dann erst am nächsten Morgen beim Abflug wieder.
Ja. Alle bis auf Pierre Litt­barski trugen ihr offi­zi­elles DFB-Outfit und ein hell­blaues Som­mer­hemd mit Kra­watte. Nur Litti“ war offenbar noch etwas ver­ka­tert, hatte ein WM-Tou­risten-Shirt an und die Kra­watte lässig um den Hals. Auch Lothar Mat­thäus war noch ziem­lich auf­ge­dreht. Als ich ihn foto­gra­fieren wollte, streckte er mir neckisch die Zunge raus. Loddar halt. Er war noch ordent­lich in Fahrt.

Haben die Spieler beim Rück­flug gesungen? Als die Euro­pa­meister 1980 von Rom zurück­kamen, sollen Sie durch­ge­hend Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehen“ geg­röhlt haben.
Die Welt­meister 1990 waren da eher ruhig. Die meisten nahmen im Flieger nach dem Finale wohl ihre erste Mütze Schlaf. Es war ein kurzer Flug, wenn ich mich recht erin­nere, haben wir noch einen kleinen Imbiss ser­viert. Der Flieger war auch nicht ganz voll, es waren etwa 100 Pas­sa­giere.

Wer war noch mit an Bord?
Neben der DFB-Entou­rage, zu der damals auch Ex-Schiri Walter Esch­weiler, Co-Trainer Berti Vogts und der spä­tere DFB-Prä­si­dent Wolf­gang Niers­bach gehörten, der Pres­se­spre­cher der Mann­schaft war, flogen auch Jour­na­listen wie Harry Vale­rién und Pro­mi­nente wie Udo Jür­gens mit.

Ein his­to­ri­scher Moment.
Auf jeden Fall. Und ich freute mich sehr, als kleiner Ost­friese dabei zu sein. Ich war ja noch Frisch­ling, hatte gerade meinen Unter­of­fi­zier in der Tasche und nun flogen wir die Welt­meister nach Hause. Viele in meiner Ein­heit haben nei­disch drauf­ge­schaut, das aus­ge­rechnet ich nach Rom durfte. Aber die Piloten und das Per­sonal waren gewöhnt, ständig Staats­männer und hohe Poli­tiker durch die Welt zu fliegen. So lebens­ent­schei­dend war der Flug für die dann auch nicht.

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Und Fotos machen war kein Pro­blem? 
Ganz ehr­lich, ich habe es ein­fach gemacht. Natür­lich war mir bewusst, dass es sehr strenge Richt­li­nien gab. Ich war schließ­lich Soldat und befand mich bei der Arbeit. Aber irgendwie wollte ich mir die Chance nicht ent­gehen lassen.

Sie durften sogar den WM-Pokal in die Hand nehmen. 
Sieg­tor­schütze Andreas Brehme lief ständig mit dem Cup durch den Kabi­nen­gang. Ich musste mehr­fach mit den Getränken an ihm vorbei und irgend­wann meinte ich: Sagen Sie, darf ich den auch mal anfassen?“

Und?
Es soll ja ein unge­schrie­benes Gesetz sein, dass nur Welt­meister und Staats­männer Hand an den Pott legen dürfen. Selbst ein Model wie Naomi Camp­bell, die das Ding mal irgendwo prä­sen­tierte, musste Hand­schuhe tragen. Andy Brehme war wohl auch etwas unschlüssig als er ant­wor­tete: Eigent­lich nicht…“ Aber als wir uns dann am Ende des Ganges wie­der­trafen, drückte er mir das Ding mit den Worten in die Hand: Komm her, Junge, hier kriegt’s ja keiner mit.“

Naja, es gibt ein Foto davon…
Tja, ich hatte einen Kol­legen vorher recht­zeitig in Stel­lung gebracht.

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Edgar Lud­wigs