Vereine und Politiker in NRW gründen eine Allianz. Sie sprechen von Gewaltexzessen im Stadion. Die Polizei bekommt mehr Einfluss, die Fans bleiben außen vor.
Im Deutschen Fußball-Museum herrschte am Montag traute Eintracht. Der NRW-Innenminister posierte im maßvollen Abstand neben den Vereinsvertretern der hiesigen Erst- und Zweitligisten vor einem Banner. Darauf stand zu lesen: „Gemeinsam gegen Gewalt – Stadionallianzen NRW“. Zuvor hatte das Ministerium mit den Klubs eine Vereinbarung unterzeichnet, um die Sicherheit im Stadion zu verbessern.
Ein derartiges Ansinnen klingt per se löblich und wenig kontrovers. Allerdings veröffentlichten mehrere Fan-Bündnisse rund um das Treffen in Dortmund ausführliche Stellungnahmen, in denen sie die geschmiedeten „Stadionallianzen“ heftig kritisierten (hier oder hier nachzulesen). Denn wesentliche Akteure des Stadionbesuchs waren gar nicht eingebunden worden: nämlich die Fans und ihre Vertreter.
„Wenn man Fakten schafft ohne Dialog, kann man auf die salbungsvollen Worte getrost verzichten.“
Immerhin kündigte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke an, die Gespräche mit den Anhängern nachzuholen. Für Stefan Witte, Anwalt in Dortmund und Sprecher für die Fan-Anwälte in NRW, kam dieses Vorhaben allerdings zu spät. Er sagt auf Nachfrage: „Die Vereine haben die Fans in keiner Weise eingebunden, das ist ein herber Vertrauensverlust. Wenn man Fakten schafft ohne Dialog, kann man auf die salbungsvollen Worte danach auch getrost verzichten.“
Nun mag es das Recht der Kluboffiziellen sein, sich auch ohne Fans mit Politikern auszutauschen. Beim Blick in das elfseitige Papier fällt aber auf, dass die Allianz bestehende Rechte und Übereinkünfte eben mit den Fans betrifft. Beim Thema „Stadionverbote“ ist die Rede von „gemeinsamen Vorbesprechungen zu Stadionverbotsverfahren“ zwischen Ordnungshütern und Klubs.
Bislang aber sprachen die Vereine hauptverantwortlich Stadionverbote aus – oder eben nicht (wenn beispielsweise andere präventive Maßnahmen bei Jugendlichen aus ihrer Sicht erfolgsversprechender waren). In den vergangenen Jahren etablierten fast alle Klubs ein zuständiges Gremium mit einem sozialpädagogischen Ansatz, das den Beschuldigten die Möglichkeit einer Anhörung bot. Patrick Arnold von der LAG Fanprojekte in NRW sagt: „Die Polizei will wieder mehr Einfluss auf die Stadionverbote nehmen. Dieser Punkt konterkariert aber die übliche Praxis. Es besteht die Annahme, dass Betroffene diese Gremien in der Zukunft nicht mehr in der Form aufsuchen werden.“ Heißt beispielhaft: Fanbetreuer oder Fanprojekte könnten auch mit Jugendlichen oder Ersttätern nicht mehr pädagogisch arbeiten, weil diese die Weitergabe von vertraulichen Gesprächen an die Polizei befürchten.
Ein weiterer strittiger Punkt der neuen „Stadionallianz“ dreht sich um die Meinungsäußerungen im Stadion, Spruchbänder im Speziellen. Behörden und Vereine wollen sich demnach zusammen öffentlich distanzieren, wenn „unerwünschte Verhaltensweisen“ vorliegen – auch wenn eine „strafrechtliche Relevanz noch nicht abschließend feststeht“. Fananwalt Witte sagt zum neuen Schulterschluss von Ministerium und Klubs: „Es wirkt, als wollen Polizei und Vereine vorgeben, was unerwünschtes Verhalten ist und was nicht. Sie sitzen in einem Boot und die Fans in einem anderen.“
In der Vereinbarung bleiben die großen Fragen offen, die sich bereits bei den Schmähungen gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp stellten: Was ist unerwünscht? Welche Kritik ist erlaubt? Was ist von der Meinungsfreiheit gedeckt? Diese Fragen stellten sich nicht bei Bannern, in denen Hopp ins Fadenkreuz genommen wurde. Doch beispielsweise beim Spiel zwischen Meppen und Duisburg im März unterbrach der Schiedsrichter nach kritischen Plakaten gegen Hopp das Spiel – zum Unverständnis der Spieler und Verantwortlichen, die die harmlose Kritik eindeutig von der Meinungsfreiheit gedeckt sahen. Die damalige Kontroverse um den Hoffenheimer Mäzen soll auch dazu geführt haben, dass die eigentlich für das Frühjahr geplanten „Stadionallianzen“ verschoben wurden.
„Auch vor den Stadien kommt es häufig zu Ausschreitungen und Gewaltexzessen.“
Generell überrascht der Zeitpunkt der Kooperation. Aufgrund der Corona-Pandemie waren die Stadien lange leer, nun sind sie nur zu 20 Prozent gefüllt. Organisierte Fanszenen haben ihr Fernbleiben angekündigt, hingegen ihrerseits Denkanstöße für Reformen im Fußball entwickelt. Gewalt in Fußballstadien ist derzeit nicht das drängendste Problem in NRW. Innenminister Herbert Reul erklärte die „Stadionallianzen“ in einer Mitteilung so: „Wir gehen damit ein seit Jahrzehnten bestehendes Problem an.“ Weiter heißt es in der Mitteilung: „Auch vor den Stadien kommt es häufig zu Ausschreitungen und Gewaltexzessen.“
Die Aussagen werden belegt mit einem Verweis auf den ZIS-Bericht 2018/19. Eben jener Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze steht häufiger in der Kritik, weil er die Sicht der Polizei widerspiegelt und beispielsweise auch Verletzungen, die von der Polizei verursacht wurden, in die Verletztenstatistiken einberechnet werden.
Doch selbst der genannte Bericht spricht in fast allen Punkten mitnichten von „Gewaltexzessen“, sondern von einem Rückgang der Stadionverbote (ca. 31 %), Strafverfahren (ca. 25 %) oder Verletztenzahlen (ca. 7 %). Verletzt wurden demnach 1127 Personen – bei 22 Millionen Stadionbesuchern im Untersuchungszeitraum.
Und so bleibt nach der Durchsicht des oft vage gehaltenen Papiers und der Mitteilung unklar, warum die „Stadionallianzen“ genau jetzt geschmiedet wurden? Diese und weitere Fragen an das Ministerium blieben bei Redaktionsschluss dieses Textes noch unbeantwortet. Hans-Joachim Watzke sprach gegenüber Pressevertretern für die Klubs: „Wir wollen ein gewaltfreies Spiel und wichtig ist, dass wir das gemeinsam angehen.“
Beobachter vermuten hingegen eine Art „Kuhhandel“: keine Kostenumlage für Polizeieinsätze an die Klubs wie in Bremen – dafür mehr Kompetenzen für die Polizei. Auffällig ist, dass sich Innenminister Reul im Fußball-Museum „in diesem Zusammenhang“ dagegen aussprach, den Vereinen Polizeieinsätze in Rechnung zu stellen. Was er nicht sagte: Eine solche Rechnung würde auch den Frieden der Allianz erheblich gefährden.