War da was? Als hätte es die Corona-Krise nicht gegeben, macht der internationale Fußball weiter wie bisher. Das wird nicht gut gehen.
Der Text erschien erstmals in 11FREUNDE #227 im Oktober 2020. Das Heft gibt es bei uns im Shop.
Es war der lukrativste Deal, den die englische Premier League je im Ausland zu vermelden hatte. 202 Millionen Euro würde die chinesische Suning Holding ab der Saison 2019/20 für die Übertragungsrechte der englischen Eliteklasse für China und Macau zahlen, pro Jahr wohlgemerkt. Der Vertrag war Teil eines ausufernden Kaufrausches chinesischer Konzerne, die Anteile an europäischen Klubs und den Einkauf von Übertragungsrechten als lukrative Investitionen entdeckt hatten. Und er war ein finanzieller Quantensprung für die Premier League, dementsprechend strahlend unterzeichnete Liga-Boss Richard Scudamore 2018 die Papiere.
Seinem Nachfolger Richard Masters ist das Lachen inzwischen vergangen. Ende August 2020 kündigte die Premier League den vor zwei Jahren noch hymnisch gefeierten Vertrag mit der Holding fristlos. Die Chinesen hatten sich im März angesichts des wegen Corona pausierenden Spielbetriebs geweigert, die erste Rate des Jahres in Höhe von 166 Millionen Euro zu bezahlen. Und sie waren den britischen Unterhändlern, die das Geschäft hatten retten wollen, nicht einen Zentimeter entgegengekommen. „Die Premier League bestätigt, dass sie heute ihre Vereinbarungen zur Abdeckung der Premier League in China mit ihrem Lizenznehmer in diesem Gebiet gekündigt hat“ – mit diesen dürren Worten beschrieb die Spielklasse eine für sie erschreckend neue Situation. Erstmals in ihrer Geschichte ging es nämlich wirtschaftlich bergab für Europas erfolgreichste Sportliga, die seit ihrer Gründung 1992 von einem ökonomischen Rekord zum nächsten geeilt war. Jetzt, nach all den Jahren größter Kundenzufriedenheit, mussten erstmals zahlreichen Broadcastern in Übersee wegen ausgefallener Spiele TV-Gelder zurückgezahlt werden.
Nun sollte man vermuten, die Klubs der englischen Eliteklasse würden angesichts der immer noch bizarr üppig anmutenden Summe von 9,8 Milliarden erlöster Euro für die Rechteperiode 2019 – 2022 trotz der einen oder anderen wegbrechenden TV-Million nicht gleich in bitterer Armut versinken. Doch man muss nur einen flüchtigen Blick auf West Ham United werfen, den Traditionsklub aus dem Londoner Osten, um zu begreifen, dass diese Gelder nichts zur wirtschaftlichen Stabilität beigetragen haben, sondern dass auch in der Premier League all das von TV-Sendern, Firmen und Zuschauern eingetriebene Geld sofort wieder in einen toxischen und dysfunktionalen Kreislauf eingespeist wird, der unzählige Geschäftemacher, Berater, Spieler, Funktionäre reich macht und an dessen Ende bei einem Klub wie West Ham die nackte Panik ausbricht, weil die Bilanz tiefrote Zahlen ausweist und im Falle eines Abstiegs sogar der Kollaps droht.
So klamm waren die Hammers, dass sogar die Frankfurter Eintracht auf eine Tranche von 26 Millionen Euro aus dem Phantasietransfer von Sébastian Haller warten musste. Nun mag bei West Ham in den letzten Jahren besonders viel schiefgelaufen sein, vom missratenen Umzug ins aseptische Olympiastadion bis hin zu den halbseidenen Eignern, die den Verein in ihre undurchsichtigen Finanzgeschäfte integriert haben. Aber auch andere gerieten umgehend in große Not.
Tottenham Hotspur, auch ein großer Londoner Klub, nahm umgehend einen Kredit über 194,5 Millionen Euro auf, angesichts zu erwartender Verluste von knapp 200 Millionen Euro ein nachvollziehbarer Schritt und für Tottenham der simpelste Weg aus dem Liquiditätsengpass. Und trotzdem bleibt die bange Frage: Wenn die größte und reichste Liga der Welt schon nach drei Monaten in so arge finanzielle Nöte gerät, wie sieht es dann erst in den anderen, wirtschaftlich deutlich schlechter situierten Spielklassen aus?
Nicht minder dramatisch, lautet die Antwort. Die Kombination aus fehlenden Zuschauereinnahmen, reduzierten TV-Erlösen und sinkenden Marketingeinnahmen hat europaweit finanzielle Verwüstungen angerichtet. Ob in Spanien, Italien oder Frankreich, überall sind viele Klubs in größten Schwierigkeiten, mussten staatliche oder private Kredite in Anspruch nehmen oder um die Stundung von Darlehen und Zahlungsverpflichtungen bitten. In Frankreich nahm der Verband notgedrungen einen staatlich garantierten Kredit auf, um die Vereine wenigstens halbwegs für die abgebrochene Saison zu entschädigen. Die italienischen Teams ächzen ohnehin unter einer Schuldenlast von über zwei Milliarden Euro. Die ausbleibenden TV-Gelder sorgten insbesondere in der zweiten Liga für nackte Panik, zumal es in der Serie B nicht solch kreative Möglichkeiten wie in Spanien gibt.
Dort stellte der FC Malaga, vor ein paar Jahren noch Gegner von Borussia Dortmund in der Champions League, einen Sanierungsplan vor, dessen Kernelement der Rauswurf des halben Kaders war. Zusammengefasst: Was bisher schon eine existentielle Bedrohung war, gefährdet inzwischen die Statik des kompletten europäischen Klubfußballs. Die Bewältigung der Corona-Krise ist für viele Vereine ein heikler Marsch am Abgrund, noch dazu bei extrem schlechter Sicht.