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Martin Stock­lasa, sind Sie ein biss­chen sauer?
Warum sollte ich sauer sein?

Sie spielen am Don­nerstag mit Liech­ten­steins Natio­nal­mann­schaft gegen Deutsch­land, und alles dreht sich um Hansi Flick. Für Liech­ten­stein inter­es­siert sich nie­mand.
(Lacht.)
Das wäre so oder nicht der Fall gewesen. Dafür sind wir in dem Busi­ness ein zu kleiner Faktor. Wir sind stolz und froh, dass wir uns mit Fuß­ball­groß­mächten wie Deutsch­land messen zu dürfen. Aber unsere sport­li­chen Ziel­set­zungen beziehen sich auf andere Mann­schaften, auf Gegner, die eher in unserer Reich­weite sind. Trotzdem ist es für uns natür­lich spe­ziell, das erste Spiel gegen den neuen Bun­des­trainer bestreiten zu dürfen. Das macht das Ganze noch inter­es­santer.

Ist es für Sie eher gut, dass die Deut­schen mit einem neuen Trainer kommen? Ist es schlecht? Oder ist es eigent­lich kom­plett egal?
Im Grunde ist es kom­plett egal, da bin ich ehr­lich. Aber wahr­schein­lich ist es für uns sogar eher noch ein biss­chen schlechter, weil die deut­schen Spieler unter ihrem neuen Trainer ver­su­chen werden, noch mal einen ganz anderen Drive in ihr Spiel bringen – vor allem nach der ersten Qua­li­runde im März, als es mit der Punk­te­aus­beute nicht optimal gelaufen ist.

Martin Stock­lasa trai­niert seit Dezember 2020 das Natio­nal­team seines Hei­mat­landes. In der besten Zeit des liech­ten­stei­ni­schen Fuß­balls war Stock­lasa selbst Natio­nal­spieler. Im Juni 2000 erzielte er in einem Test­spiel sogar ein Tor gegen die deut­sche Mann­schaft.

Hansi Flick hat zuvor die Bayern trai­niert. Hilft Ihnen das, um unge­fähr abzu­schätzen, wie die deut­sche Mann­schaft spielen wird?
Ich denke schon, dass der eine oder andere Rück­schluss mög­lich ist. Wobei Hansi Flick bei den Bayern Spieler zur Ver­fü­gung hatte, die er in der Natio­nal­mann­schaft nicht hat. Nament­lich Robert Lewan­dowski als Mit­tel­stürmer, den es im deut­schen Team so nicht gibt. Aber es wäre in meiner Posi­tion ver­messen zu sagen, dass wir auf irgend­welche Maß­nahmen der Deut­schen adäquat reagieren könnten. Wir wissen, dass im inter­na­tio­nalen Fuß­ball zu Deutsch­land der größt­mög­liche Unter­schied besteht. Wir pro­bieren ein­fach, den Gegner vor Pro­bleme zu stellen, aber wenn eine Fuß­ball­groß­macht wie Deutsch­land ernst macht, dann haben wir wenig bis nichts dage­gen­zu­setzen.

Gehen Sie mit einem kon­kreten Ziel in ein sol­ches Spiel, von dem Sie eigent­lich wissen, dass Sie es ver­lieren werden?
Kon­kretes Ziel nicht. Die Deut­schen werden den Takt vor­geben, sie werden ihr Spiel durch­ziehen. Für uns wird eher das Thema sein: Was können wir mit­nehmen? Wir haben auch unsere Inhalte, die auch mal gegen einen Gegner auf Top-Top-Niveau pro­biert werden sollten. Wenn wir es in ein­zelnen Phasen schaffen, dage­gen­zu­halten, viel­leicht sogar in eine Umschalt­phase kommen – das wären posi­tive Momente für uns.

In Ihrer aktiven Zeit als Spieler war Liech­ten­stein noch die Nummer 118 der Welt, inzwi­schen ist die Mann­schaft auf Rang 189 zurück­ge­fallen. Wie ist das zu erklären?
In unserer besten Zeit hatten wir 13, 14 Spieler, die pro­fes­sio­nell Fuß­ball gespielt haben. Das fehlt uns im Moment. Aktuell besteht unser Kader zu mehr als 90 Pro­zent aus Ama­teur­spie­lern. Darum sind wir jetzt noch ein biss­chen weiter weg als damals. Es kann wieder besser werden. Aber dafür müssten die jungen Spieler den nächsten Schritt machen Rich­tung Halb­profi- oder Pro­fitum. Davon bin ich als Natio­nal­trainer extrem abhängig.

Für ein Land wie uns, das keinen Voll­pro­fi­be­trieb hat, geht die Schere wieder weiter aus­ein­ander.“

Unter wel­chen Bedin­gungen arbeiten Sie?
Die Infra­struktur ist top. Aber die Spieler, die sich auf Ama­teur­ni­veau bewegen, konnten in den ver­gan­genen andert­halb Jahren nur indi­vi­duell trai­nieren. Erst seit Juni trai­nieren sie wieder normal mit ihren Mann­schaften. Die fünf Län­der­spiele in diesem Jahr waren für meine Spieler die ein­zigen Pflicht­spiele in den ver­gangen 16 Monaten. Das birgt natür­lich einige Gefahren, und man weiß, dass das nicht gut gehen kann. Selbst als wir im Juni gegen die Färöer gespielt haben, war das zu sehen.

Sie haben 1:5 ver­loren.
Ja, dabei sind die Färöer jetzt auch nicht unbe­dingt eine Groß­macht. Aber sie haben eine eigene Liga, und vor allem haben sie gespielt. Der Unter­schied war frap­pant. Für ein Land wie uns, das keinen Voll­pro­fi­be­trieb hat, geht die Schere wieder weiter aus­ein­ander. Die ersten 20 Minuten gegen die Färöer waren top, danach war es teil­weise gut. Aber nach 50 Minuten ist uns die Luft aus­ge­gangen.

Haben Sie den Leuten in Liech­ten­stein erklären können, wie es zu einer sol­chen Pleite kommen konnte?
Erklären kann ich es auf jeden Fall. Aber der Enthu­si­asmus für den Sport und die Fan­kultur sind bei uns jetzt auch nicht so aus­ge­prägt. Es wird wahr­ge­nommen, teil­weise auch belä­chelt. Wir sind ein wirt­schaft­lich gesundes, wohl­ha­bendes Land, haben aber was Leis­tungen im Spit­zen­sport angeht, wenig Erfah­rung. Des­wegen war die Nie­der­lage im Land nicht so ein großes Pro­blem. Anders als für mich als Trainer.

Wie viele Profis haben Sie in Ihrem Kader?
Eine Hand­voll, und davon ist einer – Dennis Sala­novic, der in Finn­land in der höchsten Liga spielt – leider ver­letzt. Alle anderen sind Halb­profis. Wobei: Halb­profi ist eigent­lich auch schon zu viel gesagt.

Was machen Ihre Spieler beruf­lich?
Haupt­säch­lich sind es Stu­denten. Aber es gibt auch welche, die klas­sisch bei einer Bank oder einer Ver­si­che­rung arbeiten und einen nor­malen Büro­alltag haben. Das ist auch ein Faktor: Jemand, der bei uns einen nor­malen Job hat, ver­dient gutes Geld. Da wird es schon schwierig, als Halb­profi an diese Gehalts­stufe her­an­zu­kommen. Selbst als Profi.

Haben Sie wenigs­tens den Vor­teil, dass Sie abseits der offi­zi­ellen Abstel­lungs­phasen mit Ihrem Kader trai­nieren können?
Bisher war es nicht so. Aber jetzt gehe ich genau diesen Weg. Ich habe pro­biert, einmal wöchent­lich ein Trai­ning anzu­bieten. Das ist auch ange­nommen worden, auch wenn der eine oder andere aus beruf­li­chen Gründen mal nicht konnte. Aber zwi­schen Januar und April habe ich etwa 40 Ein­heiten mit den Jungs abge­halten, weil wir mit der Natio­nal­mann­schaft keine pan­de­mie­be­dingten Beschrän­kungen hatten. Wir konnten so viele Trai­nings machen wie in den letzten zehn Jahren nicht. Und trotzdem kannst du nicht den Wider­stand simu­lieren, den du brauchst, um dich gegen die ganzen Sanés, Süles oder wen auch immer behaupten zu können.

Gibt es jemanden, auf den Sie sich bei der deut­schen Natio­nal­mann­schaft ganz beson­ders freuen?
Ich per­sön­lich sym­pa­thi­siere seit meiner Jugend mit dem FC Bayern. Thomas Müller und Manuel Neuer sind jetzt leider nicht dabei, aber wenn man Niklas Süle oder Leroy Sané sozu­sagen mal live erleben kann, ist das schon spe­ziell. Das ist ein­fach pure Vor­freude. Es wird extrem schwierig, und wir werden auch leiden müssen. Aber diese Erfah­rung würden Mil­lionen von Fuß­bal­lern gerne machen. Wir haben jetzt die Mög­lich­keit.

Für uns ist jedes Erfolgs­er­lebnis dop­pelt und drei­fach schön“

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Lang ist’s her: Martin Stock­lasa im Zwei­kampf mit Lukas Podolski.

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Als beide Teams 2009 in Leipzig zuletzt auf­ein­an­der­ge­troffen sind, standen Sie noch als Spieler auf dem Platz. Welche Erin­ne­rungen haben Sie an dieses Spiel?
Natür­lich hatte Deutsch­land mehr Ball­be­sitz, natür­lich hatte Deutsch­land mehr Chancen. Aber das Spiel ging 4:0 aus, und wenn man sich die Grö­ßen­ver­hält­nisse anschaut – 38.000 Ein­wohner gegen 83 Mil­lionen –, muss man sagen: ein Rie­sen­re­sultat aus unserer Sicht.

Dabei ging es alles andere als gut los.
Das stimmt. Nach nicht mal zehn Minuten lagen wir 0:2 zurück. Eigent­lich sagt man immer: Je länger das Spiel geht, desto besser kommt man rein. Aber wir haben uns wirk­lich gut rein­ge­kämpft, hatten auch Spiel­glück. Ich habe auch mal in Frei­burg gegen Deutsch­land gespielt.

Das war im Jahr 2000, unmit­telbar vor der Euro­pa­meis­ter­schaft.
Da hat Oliver Bier­hoff schon nach zehn Sekunden das 1:0 geschossen. Nach 50 Minuten ist uns der Aus­gleich zum 2:2 gelungen – und trotzdem hieß es am Schluss 8:2. Das geht dann schnell. Wenn eine Fuß­ball­na­tion wie Deutsch­land im fünften Gang spielt oder heut­zu­tage im siebten Gang, dann wird’s bitter. Dafür ist jedes Erfolgs­er­lebnis für uns dop­pelt und drei­fach schön. Nerv den Gegner, und ich bin mir sicher, dass in Zeiten wie diesen auch Top-Mann­schaften sagen: Okay, wir wollen zwar nach­legen, aber wir wollen uns nicht unbe­dingt weh tun. Fuß­ball ist ein Spiel, in dem es darum geht, sich auch auf Männ­er­ni­veau zu messen. Meine Spieler haben die Chance. Sie werden es machen. Wie lange es reicht, das wird man dann sehen.

Wie aus­ge­lassen haben Sie denn 2009 das 0:4 gegen die Deut­schen gefeiert?
(Lacht.)
Es war nicht so, dass wir völlig von der Rolle waren. Aber gefühlt war das für uns, wenn man das so sagen kann, tat­säch­lich ein Erfolg. Wir konnten das gut ein­schätzen. Aber man muss sich immer anschauen, wie ein sol­ches Ergebnis zustande kommt.

Wie meinen Sie das?
Unser erstes Spiel in der WM-Qua­li­fi­ka­tion war im März gegen Arme­nien. Da ver­lieren wir 0:1, durch ein Eigentor in der 85. Minute. Jeder sagt: Top. Aber ich sage: Es war nicht gut.

Warum nicht?
Weil die Tor­schuss­bi­lanz 0:20 war. Gegen Arme­nien. Aber wenn es am Don­nerstag gegen die Deut­schen ein 0:4 wird wie 2009, dann müsste man es eigent­lich sofort unter­schreiben.

Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Koope­ra­tionen mit dem Tages­spiegel.