Beim Spitzenspiel in Leverkusen könnte Emre Can erstmals für Borussia Dortmund in der Bundesliga auflaufen. Er bringt nicht nur viel Körperlichkeit und Robustheit mit, sondern noch eine weitere Qualität, an der beim BVB Nachholbedarf besteht.
Nachdem Borussia Dortmund in dieser Woche bei Werder Bremen aus dem DFB-Pokal ausgeschieden war, klang Michael Zorc wie eine Schallplatte mit einem Sprung. „Wir sind dafür bestraft worden, dass wir in der ersten Halbzeit lahmarschig, bequem und langsam Fußball gespielt haben“, sagte Dortmunds Manager. Im Grunde war er damit wieder mal an der gleichen Stelle, wie in der Anfangsphase der Saison, als Mannschaftskapitän Marco Reus den Sky-Reporter Ecki Heuser angeraunzt hatte, er gehe ihm „so auf die Eier“ mit dieser „Mentalitätsscheiße“. Am fünften Spieltag war das, nach dem durch ein spätes Gegentor verlorenen Sieg beim 2:2 gegen Eintracht Frankfurt. Heuser fragte damals: „Nach der Blamage bei Union Berlin war von fehlender Mentalität die Rede. Fehlt’s da immer noch?“
Viel wurde anschließend darüber das M‑Wort und den BVB debattiert, und immer wieder gab es Spiele bei denen man den Eindruck haben konnte, dass es die Dortmunder Profis mal etwas schleifen lassen würden. Gerne wurde Trainer Lucien Favre dafür verantwortlich gemacht, dass er seiner Mannschaft die Neigung zu partieller Gemütlichkeit nicht austreiben konnte. Aber so etwas kann ein Trainer alleine nicht leisten, er braucht auch die Hilfe seiner Spieler.
„Ich bin laut, ich gehe hart ran, laufe vorweg – so war ich immer, das wird sich nicht ändern“
Dabei hatten bereits Axel Witsel und Thomas Delaney sowie in diesem Sommer Mats Hummels als die Neuzugänge gegolten, die als verlängerte Arme von Lucien Favre helfen und mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Doch als kurz vor Ende der Winter-Transferperiode Emre Can verpflichtet wurde, war klar, dass den Verantwortlichen beim BVB das nicht reichte. Rein sportlich brauchte es nicht unbedingt einen Spieler, der am besten in der Innenverteidigung oder im defensiven Mittelfeld spielt. Aber es ging um etwas anderes, als Can von Juventus Turin geholt wurde.
Schon vor vier Jahren sagte Emre Can in einem Interview mit 11FREUNDE: „Ganz ehrlich: Ich bin von meinem Typ her auch einfach ein Führungsspieler. Ich bin laut, ich gehe hart ran, laufe vorweg – so war ich immer, das wird sich nicht ändern.“ Er war damals erst 21 Jahre alt und gerade von Bayer Leverkusen zum FC Liverpool gewechselt, wo er auf Anhieb Stammspieler wurde. 2018 zog er weiter zu Juventus Turin, und weil seine Karriere beim FC Bayern begann, kann er mit nun 26 Jahren sagen, dass er bereits in drei großen Fußballnationen in den absoluten Spitzenklubs gespielt hat.
Horst Hrubesch, der sein Trainer in der U21-Nationalmannschaft war, hat über ihn mal gesagt: „Emre ist ein Anführer.“ Das ist es vermutlich auch, was sich die Dortmunder von ihm erhoffen. Mit der Verpflichtung von Haaland haben sie den längst eingestandenen Fehler korrigiert, keinen dynamischen Stoßstürmer verpflichtet zu haben. Can hingegen soll mit seinem humorlos fanatischen Erfolgshunger das Dortmunder Spiel physischer machen.
„Er bringt uns Dynamik, Körperlichkeit und Robustheit, aber auch Flexibilität in verschiedenen Systemen“, sagte Sebastian Kehl, Leiter Lizenzspielerabteilung beim BVB, über Can. Dabei darf man den Begriff „Robustheit“ durchaus auch als Beschreibung einer psychischen Disposition verstehen. In der Dortmunder Mannschaft spielen viele wunderbare Ballkünstler, ob Jadon Sancho, Marco Reus und neuerdings Gio Reyna, das nächste schwarz-gelbe Wunderkind. Sie sind auch durchaus in der Lage, sich gegen Niederlagen zu stemmen, wie die zweite Halbzeit in Bremen zeigte, in der Werder kaum noch Ansätze eigenen Spiels gelangen. Aber so richtig verlassen kann man sich darauf so wenig, wie auf eine knochentrocken stabile Abwehr.
Emre Can hat in dieser Saison bislang erst 280 Minuten in Pflichtspielen auf dem Platz gestanden, nachdem ihn Maurizio Sarri bei Juventus Turin weitgehend aussortiert hatte. Es fehlt ihm also Spielpraxis, um ein sicherer Kandidat fürs Spiel der Borussia in Leverkusen zu sein. Vielleicht wird Favre es trotzdem mit ihm versuchen, denn in der Defensive hungert die Mannschaft nach so nach einem wie ihm, wie in der Offensive schon nach Haaland.