In unserer Serie zum neuen 11FREUNDE“Fan-Spezial„ berichten Redakteure über ihre schönste Auswärtsfahrt. Ron Ulrich fand sich einst in einem Wagen mit dem König der A3 wieder, floh durch ein Gebüsch und gewann Freifahrten für den örtlichen Autoscooter.
Was braucht man für eine richtige Auswärtsfahrt? Einen Wagen, fünf Insassen und etwas Wegverzehr. Unter den fünf Insassen, die das Auto tieferlegen, befindet sich meistens einer, der fährt oder zumindest fahrtüchtig ist (im Idealfall), einer, der schon an der ersten Raststätte überlegt, von Bier auf Schnaps umzusteigen, und einer, der im Stile eines Entertainers die buntesten Geschichten seines Lebens zum Besten gibt. Diese Rolle fiel bei unserer Auswärtstour im Jahr 2009 dem Beifahrer anheim, der sich an diesem Wochenende den Spitznamen „König der A3“ wahrhaftig verdiente.
Es fing damit an, dass er von seinem abenteuerlichen Leben als Marinetaucher erzählte. Dabei wussten zumindest zwei andere im Auto, mich eingeschlossen, dass er in Wirklichkeit gerade eben so sein Fach-Abi und den Zivildienst hinter sich gebracht hatte und nun – wie man so schön sagt – zwischen zwei Projekten stand, kurzum: er studierte, aber nur das Fernsehprogramm. Den anderen beiden, die ihn bis dato nicht kannten und damit ganz gut durchs Leben gekommen waren, konnte er diesen Bären aber aufbinden. Spätestens aber als „der König der A3“ davon anfing, wie er mit der Harpune auf die Jagd gegangen war, füllte die Skepsis auch ihre Blicke.
Der König der A3 und sein Werk
Zwei Stunden und eine Palette Dosenbier später war dann vier Fünftel der Autoinsassen bewusst, dass dieser Mann unter gar keinen Umständen Marinetaucher sein konnte – der Einzige, der weiter daran zu glauben schien, war er selbst. Zumindest ließ er nicht locker, erzählte von einer eigenen Fregatte und begrüßte ein als Pirat verkleidetes Kind in der Schlange eines Imbiss mit den Worten: „Arbeite an dir, dann wirst du mein erster Offizier!“
Verdient um die Optik der Raststätte machte sich der „König der A3“ dann noch, als er einem Mann, der auf einem riesigen Rasenmäher die Wiese abfuhr, Instruktionen geben wollte. Was dieser mit einer effenbergesken Geste goutierte. Doch es warteten neue Herausforderungen, denn spät am Abend kamen wir an unserem Zielort an, einen Tag vor dem Spiel, die Nacht lag wehrlos vor uns.
Joint an, Fenster auf kipp
Das Schöne an Auswärtsfahrten ist, dass man sich wie ein Rockstar benehmen kann. Das Schlechte, dass man nicht wie ein Rockstar behandelt wird und meistens die Zeche selbst zahlen muss. Im Hostel angekommen, öffneten wir eigenmächtig das Eingangstor zur Tiefgarage, um das in Mitleidenschaft gezogene Gefährt abzustellen. Plötzlich stürmte eine aufgebrachte Dame heran und fragte, wer uns das denn erlaubt hätte. „Die Dame am Empfang“, log der Fahrer unverfroren. „Das kann nicht sein, denn das bin ich“, gab die Frau zum Besten. Der Punkt ging an sie.
Im Hostel trafen wir dann auf Bekannte aus anderen Landstrichen der Republik, die mit ihrer ganz eigenen Definition des „Rauchen verboten“-Zeichens im Hostelzimmer aufwarteten. Auf dem Schild sah man schließlich nur eine durchgestrichene Zigarette – Micha* jedoch saugte an einem riesigen Joint. Immerhin: Er verwies darauf, dass die Fenster ja auf kipp ständen. Wir blieben bei Alkohol. Hinterher sollte sich herausstellen, dass wir uns von der Gleichgültigkeit etwas hätten abschauen sollen. Es hätte uns Ärger erspart.
Als wir nämlich in einer Kneipe mit sehr vielen anderen lautstark Hymnen auf unseren Verein vortrugen und die Fahnen schwenkten, machte sich ein Anhänger des Heimvereins bemerkbar. Nonchalant forderte einen von uns, nämlich Enno, zum Tänzchen heraus. Danach musste er sich die Frage gefallen lassen, wie es um seine mathematischen Fähigkeiten steht. „Du bist allein, wir sind zu 30, beruhig dich oder geh nach Hause“, hieß es. Der Typ ging, doch vor einer Kneipengasse am anderen Ende der Stadt trafen wir ihn wieder. Ihn und seine 25 Kollegen. „Kommt doch her, die ersten drei nehm ich volley“, tönte Tomek aus unseren Reihen. Doch nun musste er sich die Frage nach seinen mathematischen Fähigkeiten gefallen lassen, wir waren nur noch zu zehnt.
Und die Zahlen stimmen, normalerweise verhält es sich mit Schilderungen von jenen kritischen Situationen bei Auswärtsfahrten immer so wie die Angabe von Männern über die Anzahl ihrer Sexualpartner – es wird hemmungslos übertrieben. „Wir zu zweit gegen fünfzehn“ oder „Ich gegen zehn“, diese Sätze hat man alle schon einmal gehört. Wir waren friedlich und nicht auf Kieferbrüche aus, vor allem nicht auf welche, die wir selbst erlitten, und danach sah es aus. Auf der Gegenseite zog man sich mit betörendem Gestus Handschuhe an und legte den Mundschutz ein. Uns war klar: Der Typ hatte seine Kollegen nicht für eine harmlose Schubserei zusammengetrommelt.
Exzess bis zum Wettbüro
Wir machten also das, was echte Männer nun einmal tun müssen, egal, was passiert: Wir türmten durchs Gebüsch. Ganz im Stil von Stan Libuda, links antäuschen, rechts vorbei, schlugen wir Haken. Bis auf einen Schlag an den Rücken blieb ich verschont, doch Enno war nicht aufzutreiben. Schnell machte die Besorgnis die Runde, er wäre in den Fängen des Feindes. Ich suchte ihn überall, doch er war nicht aufzufinden. Als er endlich an sein Handy ging, verstand ich ihn kaum. Lag er mit Kabelbindern gefesselt in einem Kellerverlies?
Nein, er stand am Tresen der gegenüberliegenden Bar. Als ich hereinkam, sagte er nur: „Hast du gedacht, dass du drum herum kommst, ein paar Runden zu schmeißen? Alles Gute zum Geburtstag.“ Mittlerweile war es 24 Uhr durch und mir wurde klar, dass der erste Glückwunsch, den ich erhalten hatte, jener Schlag auf den Rücken gewesen war. Nach und nach trudelten die anderen ein, wir konnten unser Glück, so glimpflich aus der Nummer heraus gekommen zu sein, kaum fassen. Was blieb uns anderes übrig, als uns in die Besinnungslosigkeit zu trinken?!
Wie heftig der Exzess war, zeigte sich am nächsten Morgen, als wir immer noch stark alkoholisiert und mit zwei Stunden Schlaf in den Knochen in einem Wettbüro standen. „Ich kann nicht glauben, dass wir das wirklich machen“, sagte Sascha. Damals konnte man beim Wettanbieter noch auf einzelne Spiele setzen, wir setzten 50 Euro auf unser Team, bei einer Quote von 4,0. Tomek wirkte wie Hilmi Sözer in „Bang Boom Bang“ („Alles auf Horst“), als er der Kassiererin das Geld überreichte.
Es war ein sonniger Tag und wir gingen auf den Rummelplatz in der Stadt. Mit Fahnen und Gesängen stürmten wir das Geisterhaus, die Wasserbahn und den Autoscooter. Auswärts sind wir alle Kinder. Der Typ vom Autoscooter zeigte sich sehr angetan von unserer Performance und stellte bei einem Sieg unserer Elf mehrere Freirunden in Aussicht. Man merkte: Keiner rechnete damit, dass wir an diesem Tag irgendetwas holen würden.
Drei Stunden später sah man verschwitzte und dehydrierende Typen mit freiem Oberkörper auf den Rängen wippen, oben türmte Tomek, den wir hochstemmten und der den Wettschein wie einen Pokal in die Höhe hielt. Drei Punkte, 200 Euro, Autoscooter-Freifahrten, Sonnenschein – war das hier das gelobte Land? Müßig zu erwähnen, dass Tomek den Wettschein noch kurzzeitig verlor und wir ihn in großem Tohuwabohu wiederfinden mussten. Auch wenn wir das Geld faktisch noch gar nicht hatten, hauten wir es schon an diesem Abend auf den Kopf.
Das Zitat des Jahres
Zu nächtlicher Stunde traf ich den „König der A3“ vor der Tür einer Kneipe, der sich im Übrigen mittlerweile mit diesem Namen auch bei den Frauen vorstellte. Er hatte noch einen Rest eines Döners in der Hand. Als er fertig war, sagte er den einen Satz zu mir, der mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist und den ich wohl auch so schnell nicht vergessen werde:
„Der Döner hat so scheiße geschmeckt, den wollte ich ihm erst aufs Dach pfeffern. Aber dann habe ich mich doch zu sozialer Einstellung hinreißen lassen.“
Ich habe noch nie gehört, dass jemand sich zu sozialer Einstellung hat „HINREISSEN“ lassen. Manche Storys und Zitate können einfach nur auf Auswärtsfahrten passieren. Und man erlebt 30 schlimme Abende und Spiele, um dann diesen einen perfekten richtig auskosten zu können. Damals war es so weit. Wir kamen ziemlich k.o. nach Hause, wo schon einige anderen warteten – es galt, meinen Geburtstag nachzufeiern.
Nachtrag: An dem Abend fragte mich jemand: „Warum fahrt ihr denn so weit dahin, das Spiel lief doch auch im Fernsehen.“ Manche werden es eben nie verstehen.