Weil zurzeit so viel über Wunderkinder gesprochen wird: Chelseas Billy Gilmour ist 18, ein PC- und Mathe-Ass, kickt sensationell, kann Chinesisch und modelte für Burberry.
Auf den ersten Blick ist dieser Billy Gilmour ein ganz normaler Junge von der britischen Insel: ein paar freche Sommersprossen um die blasse Nase, leicht abstehende Ohren, breites Grinsen, forscher Blick. Die dunkelblonden Haare trägt er seitlich anrasiert, oben zum akkuraten Seitenscheitel modelliert. Würden wir Billy Gilmour, sagen wir: in der Londoner U‑Bahn, über den Weg laufen – wir würden ihn vermutlich nicht weiter registrieren.
Dabei lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen, denn der 1,70 Meter kleine Schotte aus dem Nachwuchs des FC Chelsea ist ein wahres Wunderkind. Schon als 18-Jähriger hat Billy Gilmour mehr erlebt und geleistet als andere Menschen in drei Leben: Im zarten Alter von acht Jahren wurde der Dreikäsehoch aus Ardrossan bei Glasgow von den Rangers entdeckt und verpflichtet, mit 15 rückte er in die klubinterne U 20 auf und bekam eine eigene Trikotnummer für die Profi-Elf. Doch da war es längst zu spät, um den hochbegabten Mittelfeldkünstler in Schottland zu halten.
„Der Junge herrschte über dieses Spiel“
Wenige Tage nach seinem 16. Geburtstag zog Billy Gilmour, der damals aussah wie ein Zwölfjähriger, allein ins über 600 Kilometer von daheim entfernte London: Der FC Chelsea, für den „Little Billy“ bereits als Fünfjähriger geschwärmt hatte, sicherte sich seine Dienste – für eine „erhebliche Ablöse“, wie die Rangers damals trotzig bekannt gaben. Zusätzlich vereinbarten beide Klubs erfolgsbasierte Bonuszahlungen, die sehr, sehr bald fällig werden dürften.
Spätestens seit dem zurückliegenden Dienstag gilt Billy Gilmour auf der britischen Insel als Star: Bei Chelseas 2:0‑Sieg im FA-Cup über den FC Liverpool filetierte der kleine Spielmacher mit der Rückennummer 47 nämlich keinen Geringeren als den amtierenden Champions-League-Sieger und kommenden englischen Meister. „Diese Performance drückte aus: Ich gehöre in dieses Team“, huldigt Englands Stürmerlegende Alan Shearer nach der 90-minütigen Gilmour-Gala: „Der Junge herrschte über dieses Spiel.“ Chelsea-Chefcoach Frank Lampard versucht erst gar nicht zu relativieren: „Ich freue mich total für Billy. Er verdient all die Lobeshymnen.“
Gilmour selbst hat einen einfachen Wahlspruch, wie er vor kürzlich in einem Interview mit dem Online-Magazin „Versus“ offenbarte: „Ich will in allem, was ich mache, der Beste sein. Ob das jetzt im Fußball ist, in der Schule, in Mathe … einfach in allem!“ Und das sind offenbar keine leeren Worte: Gilmour gilt im Chelsea-Nachwuchs als absoluter Computer-Wizard, er spielt mehrere Instrumente, und seine Zeugnisse sind die eines Superstrebers – obwohl er in der Schule stets den schwierigsten Weg wählte: „Alles, was mit Naturwissenschaften zu tun hatte, begeisterte ihn“, verriet Gilmours frühere Physiklehrerin Michaela Hagan dem Boulevardblatt „Sun“.
Und während Gilmours Klassenkameraden sich bei der Fremdsprachenwahl für Spanisch, Deutsch oder Französisch entschieden, wählte das Wunderkind einfach mal Mandarin-Chinesisch. Warum? Weil er es kann. Auch sonst ist diesem Billy Gilmour scheinbar keine Challenge zu groß, wie diese etwa zwei Jahre alte Anekdote belegt: „Mein Berater rief mich eines Tages aus heiterem Himmel an und fragte: ‚Hast du Lust, als Model zu arbeiten?‘ Ich so: ‚Was?‘ Er sagte: ‚Es ist nur für ein Jahr, ein paar Shootings, mehr nicht.‘ Ich fragte: ‚Für wen?‘ Er entgegnete: ‚Für Burberry.‘ An diesem Punkt der Unterhaltung entfuhr mir ein ‚Aye!‘ (schottisches Slangwort für: Yes!; d. Red.).“
Während der 16-jährige Billy Gilmour im Nebenjob Hooligan-Mode in Szene setzte, blieb er im übrigen Leben ein braver Nerd – in der Schule und auf dem Fußballplatz: Bereits als 17-Jähriger durfte er für die schottische U21-Nationalmannschaft auflaufen, inzwischen stehen für den Rechtsfuß mit dem mehr als brauchbaren Linken zwölf Einsätze und ein Treffer zu Buche. Gilmours erste Berufung in den Kader der A‑Nationalmannschaft ist nur noch eine Frage der Zeit.
Trotz des gewaltigen Hypes um seine zarte Person droht der Musterschüler keineswegs vom Kurs abzukommen, denn Billy Gilmour hat noch einen weiteren wichtigen Wahlspruch: Blicke nie zurück auf das Erreichte, sondern schaue immer nach vorn – auf deine Ziele! Entsprechend fleißig büffelt er sein absolutes Hauptfach: Fußball. Im Londoner Hightech-Trainingszentrum der „Blues“ ist Gilmour stets der Erste, der auf dem Platz erscheint und anschließend der Letzte, der wieder in der Kabine eintrudelt.
„Ich habe unzählige ‚Art of Passing‘-Highlightvideos bei Youtube geguckt“
Nach dem Training duscht das Ausnahmetalent, springt in seine Klamotten, isst etwas (natürlich gesund) und widmet sich dem obligatorischen Theorie-Unterricht – autodidaktisch, am eigenen Laptop: „Ich habe bereits unzählige ‚Art of Passing‘-Highlightvideos von Mittelfeldspielern auf meiner Position bei Youtube geguckt. Ich sehe mir eigentlich nichts anderes an.“
Wem er dabei am liebsten auf die Füße schaut? „Cesc (Fabregas; die Redaktion) ist definitiv einer, mit dem ich meine Spielweise in den letzten Jahren oft abgeglichen habe“, so Gilmour. „Er war ein Topspieler, ist es immer noch, folglich ist er einer, an dem ich mein Spiel ausrichte. Modric … Iniesta auch und Frenkie de Jong – ich liebe es, ihn spielen zu sehen.“
Fabregas, Modric, Iniesta, De Jong – in diese Liga will Chelseas Eigengewächs eines Tages aufsteigen. Nicht wenige Experten behaupten: Er gehört schon jetzt dazu. Worauf man erstaunt zurückfragen könnte: Wie gut soll dieser Billy Gilmour dann noch werden?