Der Umzug ins neue Stadion hat die Fans von West Ham United gespalten. Wegen eines Problems, das im alten Stadion noch unter der Hand geklärt wurde.
Diese Übereinkunft ist beim Umzug ins London Stadium verlorengegangen. Zwar hatte der Klub sich laut eigenen Aussagen bemüht, Besitzer von Dauerkarten auch im neuen Stadion mit Gleichgesinnten zu gruppieren, aber so recht geklappt hat das nicht. Im Unterrang des neuen Bobby Moore Stands gibt es nun beides: Fans, die stehen wollen, und solche, die es bevorzugen, zu sitzen. Zum Teil, weil sie älter sind oder weil sie Kinder dabei haben – einen echten Familienblock gibt es nicht mehr.
20 Beteiligten wurde nach dem Spiel die Dauerkarten entzogen
Auch an anderen Stellen im Stadion ist es zu dieser Ballung verschiedener Interessen auf zu engem Raum gekommen. Die Steher wollen sich das Stehen nicht verbieten lassen, die Sitzer ihr Recht zu sitzen verteidigen. Das Ergebnis: Die Stimmung ist oft schlecht und bei den meisten Heimspielen in dieser Saison gab es Rangeleien und Prügeleien unter West-Ham-Fans und mit Ordnern. Am schlimmsten war es bei der 2:4‑Niederlage gegen Watford am vierten Spieltag, als es zusätzlich zu Schlägereien mit gegnerischen Fans kam. 20 Beteiligten wurde nach dem Spiel die Dauerkarten entzogen; Kritik am scheinbar überforderten Sicherheitspersonal wurde laut.
Auch mit ihren Gesängen machen Teile der West-Ham-Fans ihrem Unbehagen Luft. „Stand up if you love West Ham“ gehört derzeit zu den am meisten gesungenen Liedern. „Steht auf, wenn ihr West Ham liebt“ – in der aktuell angespannten Lage ist das keine bloße Geste, sondern der Aufruf dazu, die alte Ordnung aus dem Upton Park wiederherzustellen. Und mit „Where were you at Upton Park?“ zielen sie auf die Tatsache, dass ins London Stadium nun rund 60.000 Fans kommen – das sind etwa 25.000 mehr als es die Kapazität des alten Stadions zugelassen hatte.
Fans verteidigen die Wurzeln ihres Vereins
Vermeintliche Modefans, eine schnieke Arena und eine sterile Umgebung: Es wirkt so, als fühlte sich der harte Kern der Hammers im London Stadium nicht länger willkommen. Als fühlten diese Fans sich dazu berufen, die Wurzeln ihres Vereins gegen seine Verwandlung zu verteidigen, um nicht selbst – wie der Upton Park – zurückgelassen und durch etwas Neues und Bequemeres ersetzt zu werden. Und welche Mittel haben sie schon, außer während der Spiele zu stehen und zu singen, ganz so, wie sie es vor dem Umzug taten?
Klub und Stadionbetreiber zeigten sich im Umgang mit den Problemen zunächst hölzern: Als Reaktion auf die Tumulte auf den Rängen wurde eine Senkung der Stadionkapazität auf 57.000 angeordnet, mit der Drohung, dass diese bestehen bleiben werde, sollte sich die Situation nicht beruhigen. Zudem schrieb Vizepräsidentin Karren Brady eine E‑Mail an die Fans, in der sie dazu ermahnte, während der Spiele unbedingt sitzen zu bleiben: „Fans, die durchgehend stehen, gehen das Risiko ein, ihre Dauerkarte entzogen zu bekommen.“
Aber zuletzt gab es auch Signale, dass man hinter den Kulissen an einer Verbesserung der Lage im Sinne der Fans arbeitet. So hat West Ham damit begonnen, Besitzer von Dauerkarten neue Plätze zuzuweisen, um Gruppen von Gleichgesinnten wieder zusammenzuführen. Die Ordner werden für den Einsatz beim Fußball besser geschult. Und David Gold, Miteigentümer und Vorsitzender des Vereins, befürwortet öffentlich die Einführung von Safe Standing, wie es Celtic Glasgow vor der laufenden Saison vorgemacht hat – sicherer und sinnvoller als das Stehen an den Sitzen wäre das allemal. Jedoch ist diese Lösung in England und Wales noch nicht erlaubt, obschon es in der Politik zarte Tendenzen gibt, das Verbot dahingehend zu lockern.
Das London Stadium ist „ein Sechser im Lotto“
West Ham United hat mit dem neuen Stadion einen Bombendeal gelandet: Jährlich zahlt der Verein gerade mal 2,5 Millionen Pfund Miete, an den Kosten für den Umbau in ein Fußballstadion musste er sich nur mit 15 Millionen Pfund beteiligen, die laufenden Kosten übernimmt der Stadionbetreiber. Arsenal-Coach Arsene Wenger verglich das mit einem Sechser im Lotto. Und vereinzelt konnte man schon beobachten, dass das London Stadium durchaus das Zeug dazu hat, eine gehörige Lautstärke zu entwickeln – die Fans hatten bislang einfach zu selten einen Grund, um richtig laut zu werden.
Vermutlich werden sich die Hammers mit ihrem neuen Stadion eines Tages anfreunden – der Mietvertrag gilt für 99 Jahre. Aber ihre Heimat, die liegt fünf Kilometer in Richtung Osten.