Zlatan Ibrahimovic wird trotz eines furiosen Comebacks seinen Vertrag beim AC Mailand wohl nicht verlängern. Sollte er nach Schweden zurückkehren, dürfte er einerseits Euphorie entfachen – und anderseits an seinem eigenen Denkmal kratzen.
Da stand er dann doch wieder auf dem Platz. Und brachte die Wende. Irgendwie. Knapp einen Monat ist es her, da wurde noch das abrupte und endgültige Karriereende befürchtet. Verdacht auf Achillessehnenriss, nicht der erste in der Laufbahn. Doch so verabschiedet sich einer wie er nicht von der großen Bühne. Einer wie er kann es sich erlauben, wenig sprintend über den Platz zu traben. Einer wie er spielt trotzdem, obwohl er vermeintlich keine große Hilfe mehr zu sein scheint. Eigentlich. Denn Zlatan ist anders.
Gestern lag der AC Mailand gegen Tabellenführer und Rekordmeister Juventus Turin 0:2 zurück. Eigentlich eine klare Sache. Eigentlich. Dann gab es Elfmeter. Der bis dahin kaum sichtbare Ibrahimovic übernahm die Verantwortung. Natürlich. Torwart Wojciech Szczesny sprang nach rechts, Ibrahimovic schoss platziert ins linke Eck. Anschlusstreffer, 16. Serie-A-Elfmeter in Folge verwandelt. Keine vier Minuten später: Kurzer Kontakt Ibrahimovic, Tor Kessie, Ausgleich Milan. Für 90 Minuten reicht es nicht mehr, das Tages-Soll ist dennoch erfüllt, Auswechslung Ibrahimovic. Milan erzielte noch zwei weitere Tore und gewann. Innerhalb von fünf Minuten hatte Zlatan die Wende herbeigeführt.
Schon eine Woche zuvor, im ersten Spiel nach seiner Zwangspause, hatte Zlatan gegen das abstiegsbedrohte SPAL Ferrara gezeigt, dass er anders ist. Dass seine Aura ausreicht, um eine verunsicherte Abwehr noch nervöser zu machen. In der vierten Minuten der Nachspielzeit kam Milan noch einmal über die rechte Seite, flankte einfach mal auf Verdacht nach innen. SPALs Verteidiger Vicari bugsierte den Ball übermotiviert und völlig unnötig ins eigene Tor. Hinter ihm hatte Ibrahimovic gelauert. Oder zumindest spekuliert. Fünf Meter entfernt. Ein Nackenschlag für die Gastgeber zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Noch zwei Minuten hätten sie überstehen müssen, dann wäre der wichtige Heimsieg eingetütet worden. So aber endete die Partie trotz 2:0‑Führung nur unentschieden.
Zweimal lag der AC Mailand scheinbar aussichtslos zurück, zweimal brachte Zlatan die Wende. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Zwischen beiden Spielen begrub er zudem noch im Vorbeigehen die Meisterschaftsträume von Lazio Rom mit einem lässig-schlampigen Elfmeter, den sich der Torwart selbst reinlegte, und brachte Milan endgültig zurück auf Europa-Cup-Kurs. Ibrahimovic´ Meinung nach, wäre sogar der Scudetto möglich gewesen, wenn er „vom ersten Tag der Saison in Mailand gewesen wäre“.
Den Meistertitel wird Ibrahimovic in dieser Saison nicht mehr gewinnen. Trotzdem hat er es mit seinem Comeback mal wieder allen bewiesen: Prognosen über die Länge von Ausfallzeiten gelten bei ihm nicht. Zlatan ist anders. Er hat im Gegensatz zu anderen Profifußballern kein biologisches Ablaufdatum. Kein Naturgesetz, kein Verein und erst recht kein Trainer kann entscheiden, wann er aufhört. Das macht Zlatan. Nur Zlatan!
Laut verschiedenen italienischen Medien wie Sky Italia und Corriere della Sera hört Ibrahimovic nun aber zumindest in Italien auf. Nach sechs italienischen Meistertiteln mit drei verschiedenen Vereinen (Juventus, Inter, Milan) könnte sich der 38-jährige schwedische Tausendsassa somit eine neue Freizeitbeschäftigung suchen: „Ich habe in der Serie A alles gewonnen. Soll ich mir als Hobby italienische Meisterpokale aufstellen?“, hatte Ibrahimovic schon 2012 bei seinem ersten Abschied vom AC Mailand in seiner ganz klassischen Art zu Protokoll gegeben.
Nun verdichten sich die Anzeichen, dass der in Malmö geborene Stürmer in sein Heimatland zurückkehrt. Vielleicht genießt er dort das Leben und angelt richtig dicke Fische. Vielleicht fährt er auch mit dem Motorrad durch die ewigen Weiten des Landes. Vielleicht bleibt er im Sommer mal die ganze Nacht auf, weil es nicht dunkel wird. Vielleicht spielt er aber auch einfach weiter Fußball. Erstliga-Fußball.
Beim Stockholmer Verein Hammarby IF hoffen sie auf letzteres Szenario. Ihre Hoffnung ist, dass Ibrahimovic nicht nur weiterspielt, sondern für Hammarby IF in der Allsvenskan, in der ersten schwedischen Liga, aufläuft. Dieser Gedanke erscheint zunächst abwegig. Zlatan in der maximal zweitklassigen schwedischen Liga? Möglicherweise. Ibrahimovic das Kind der Stadt Malmö, der es aus der Jugendakademie des Rekordmeisters Malmö IF an die Weltspitze geschafft hat, zu Hammarby in Stockholm? Es käme einen Hochverrat gleich.
Jedoch hält der Stürmerstar seit Ende 2019 ca. 25 % der Anteile an Hammarby IF. Schon damals kochten die Gemüter in Malmö so sehr hoch, dass sogar Ibrahimovic´ Statue vor dem Stadion von Malmö demoliert wurde. Zwar schloss Ibrahimovic beim Kauf gegenüber der schwedischen Zeitung Aftonbladet aus, selbst für den Klub aufzulaufen: „Das wird nicht passieren.“ Seine gleichzeitige Zielsetzung Hammarby zum besten Verein in Schweden zu entwickeln war für einige Anhänger des Rekordmeisters aus der drittengrößten Stadt des Landes aber nicht hinzunehmen.
Doch Zlatan ist anders. Ein Ibrahimovic ist niemanden außer sich selbst Rechenschaft schuldig. Getreu nach dem Motto, was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, könnte er nicht nur die Geschicke von Hammarby übernehmen, sondern auch noch die Mannschaft aufs Feld führen. Ein spielender Klubverantwortlicher? Sicherlich nicht die schlechteste Position für ein Alpha-Tier, für einen der gerne alles unter Kontrolle hat.
Ob es wirklich soweit kommt und der Familienvater zu Frau und Kindern nach Stockholm zurückkehrt um für Hammarby zu spielen, weiß nur Ibrahimovic selbst. Während der Corona-bedingten Unterbrechung der Serie A hat sich der Mittelstürmer schon einmal die Trainingsbedingungen hautnah angeschaut und mit der Mannschaft trainiert. Verantwortliche und Spieler waren begeistert. „Am Anfang war ich geschockt. Er ist ein Idol für viele Spieler“, beschreibt Mittelfeldspieler Abdul Khalili die Emotionen, die Ibrahimovic während seines Aufenthalts auslöste.
Ein Ibrahimovic-Wechsel zu Hammarby würde aber nicht nur Euphorie entfachen, sondern auch die Attraktivität des Vereins steigern. Andere Spieler könnten dem größten schwedischen Fußballer aller Zeiten folgen und Hammarby direkt zu einem Titelanwärter machen. Und auch für Ibrahimovic wäre die sportliche Herausforderung attraktiver als sie im ersten Moment scheint. Obwohl Ibrahimovic in seiner 20-jährigen Karriere insgesamt 13 nationale Meistertitel mit sechs verschiedenen Vereinen feiern konnte, fehlt dem Schweden ein ganz entscheidender Titel. Der in seinem Heimatland.
Ob er anders als andere große Stars seine internationale Karriere ausgerechnet bei der Konkurrenz seines Jugendklubs ausklingen lassen will, entscheidet Ibrahimovic selbst. Und niemand sonst. Denn Zlatan ist anders. Er macht, was er will.