Hallenfußball ist tot? Stimmt nicht! Zur Dortmunder Stadtmeisterschaft kommen jährlich über 25 000 Zuschauer. Es riecht nach Axe-Deospray und Rewas Arweladse. Kurzum: Es ist ganz wunderbar.
Wie auch immer: Das Turnier ist bei den Spielern in Westdeutschland so beliebt, dass einige extra vor der Winterpause zu einer Dortmunder Mannschaft wechseln. So wie Dimitrios Kalpakidis, der im Herbst zum TuS Bövinghausen ging, wo kurz zuvor Thorsten Legat entlassen worden war. „Ich gebe zu: Die Stadtmeisterschaft war auch ein Grund für den Wechsel. Ich hatte einfach richtig Bock auf das Turnier. Mehr Dortmund geht nicht!“, sagt er. Eines seiner schönsten Erlebnisse war auch eines der bittersten. Vor drei Jahren – Kalpakidis war noch Spieler des BSV Schüren – wurden die Teams aus Lünen und Schwerte erstmals zu dem Turnier zugelassen, obwohl es sich um eigene Kreisstädte handelt. Kalpakidis, ganz Dortmunder Lokalpatriot, sagte in einem Interview: „Wenn die beiden im Finale gegeneinander spielen, dann gehe ich zum Bierstand.“ Lünen schaffte es dann wirklich ins Finale, und der Gegner war: der BSV Schüren. Die Zuschauer waren natürlich auf Kalpakidis’ Seite. Tausende sangen: „Wir sind alle Dortmunder Jungs!“ Kalpakidis bekam Gänsehaut, schoss ein Tor, das aberkannt wurde, und Lünen gewann 1:0. Football, bloody hell.
Die Turniere unterm Dach sind auch eine Bühne für jene, die draußen immer etwas im Schatten der großen Vereine stehen. Es ist ihre ganz spezielle Hall of Fame. Klar, es ist beeindruckend, wenn bei einem C‑Jugend-Turnier 1000 Magdeburger Fans singen, als wären sie wieder auf dem Weg zum Europapokalfinale 1974. Aber ebenso irre sind doch Gruppen aus Reutlingen, Saarbrücken oder Lippstadt, die unter Basketballkörben und Weichbodenmatten ihre überdimensionierten Fahnen ausrollen. Oder die vier Ultras der SG Gittersee, die 2019 bei einem Turnier mit Choreos und Wechselgesängen ihr Team unterstützten. Wohlgemerkt: Auf dem Feld kickte nicht mal ihre erste Mannschaft, sondern die Alten Herren.
Dieses Jahr geht die Tifo-Meisterschaft der Herzen an die Anhänger von Türkspor, Ay Yildiz Derne und der SG Gahmen, die sich beim Dortmunder Cup zu einer Gruppe zusammentaten. Selbst Fans vom SC Osmanlispor, die gar nicht dabei waren, schlossen sich an. Alle unter einem Dach. So laut, da waren sich danach alle einig, muss es das letzte Mal in Galatasarays altem Stadion gewesen sein.
Also, geht zum Hallenfußball, bevor euch irgendjemand einen Futsal-Floh ins Ohr setzt. Denn Hallenfußball ist die große Freiheit! Der Geruch von Neunziger-Jahre-Axe-Deospray hängt immer noch in den Ritzen und Fugen, die Spieler tragen stolz Sponsorennamen von lokalen Versicherern oder Autohäusern auf Hemdkragen und Trainingsjacken. Man nickt Thorsten Legat jovial zu oder führt mit Lothar Huber Fachgespräche über das Leben auf der rechten Außenbahn. Es gibt keine Wichtigtuer in Ordnerwesten und sinnlose Absperrungen. Klar, die Camp-David-Jacken-Dichte ist höher als sonst und die Musik ist oft noch schlechter als in den großen Arenen, dafür sind Bier und Wurst günstiger. Außerdem kann man sich großartig amüsieren. Womit wir wieder bei Großkreutz wären.
Genauer gesagt bei seinem Cousin Marcel Großkreutz, der im Januar 2016 Protagonist der vielleicht besten Szene der Hallenfußballgeschichte war. Großkreutz, damals Spieler des VfL Kemminghausen, wurde von einem Gegenspieler gegen eine Notausgangstür in der Außenwand (bzw. der Bande) gedrückt, die nach außen aufsprang. Erbost trat daraufhin ein Mann (in Winterjacke und Mütze) durch die nun geöffnete Tür aufs Feld und drohte Großkreutz Prügel an. Das Publikum und auch Großkreutz selbst dachten an eine Versteckte-Kamera-Show, aber der Mann, der offenbar die Tür an den Kopf bekommen hatte, meinte es ernst. Mit vereinten Kräften musste der Aggressor zurück nach draußen gebracht werden. Der dazugehörige Videoclip ging im Internet viral. Wäre diese Szene 1995 bei „ran“ gelaufen, hätte Jörg Dahlmann kommentiert: „Solche Geschichten schreibt nur der Hallenfußball.“ Und er hätte ja Recht gehabt.