Die ganze Welt wartet auf das Bundesliga-Debüt von Youssoufa Moukoko. Doch dann kommt Erling Haaland und erinnert uns daran, wer aktuell das aufregendste Talent ist. Schließlich könnte er den Sport nachhaltig verändern.
Das Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. Wahrscheinlich, weil sich Youssoufa Moukoko einfach darauf freute, nun endlich Bundesliga spielen zu dürfen. Im Alter von 16 Jahren und einem Tag, als jüngster Spieler überhaupt. Kindliche Freude eben. Vielleicht grinste er auch, weil er daran denken musste, was alles über ihn geschrieben worden war in den vergangenen Tagen und dass all die Berichte, all die Lobpreisungen auf so einen simplen Moment wie eine Einwechslung hinausliefen. Vielleicht musste Youssoufa Moukoko aber auch ein bisschen lachen, weil er erleichtert war. Erleichtert, weil er wusste, dass die Schlagzeilen an diesem Abend jemand anderem gehören würden.
Denn für Moukoko verließ in der 85. Minute Erling Haaland den Platz. Und der hatte zuvor vier Tore erzielt, in einer Halbzeit wohlgemerkt, und seiner Mannschaft damit den Sieg über Hertha BSC beschert. Eine fantastische Leistung, die das Debüt von Moukoko, das doch alle so herbeigesehnt hatten, überstrahlte. Doch natürlich sollte der junge Norweger nach Spielschluss auch noch etwas zu seinem noch jüngeren Sturmkollegen sagen. Und also sprach Haaland: „Ich denke, dass er derzeit das größte Talent der Welt ist.“ Ein Satz, der gleichzeitig wahr und doch falsch ist.
Wahr, weil sich kaum jemand in den Jugendmannschaften älterer Jahrgänge so treffsicher präsentiert hat wie Youssoufa Moukoko (141 Tore in 88 Einsätzen). Weil selten zuvor jemand so sehr gehyped wurde und sogar schon millionenschwere Werbedeals unterzeichnet hat. Wahr jedoch auch nur, wenn man bereit ist, Erling Haaland selbst des Talentstatus schon wieder zu entheben. Tut man das nicht, kann es keinen Zweifel geben: Der aufregendste Jungspund im Weltfußball, das ist Erling Haaland!
Auch gerade einmal 20 Jahre alt, hat der Norweger bereits 123 Profi-Spiele auf dem Buckel. 80 Tore hat er dabei geschossen. Alleine für Borussia Dortmund waren es seit seinem Wechsel im vergangenen Winter 31 Treffer in 30 Spielen. Doch es sind nicht die Zahlen allein, die Haaland so faszinierend machen. Es ist das Auftreten des Stürmers auf dem Platz. Oder besser: sein Antreten.
Immer wieder schafft es Haaland, mit seinen Läufen in die Tiefe komplette Abwehrreihen auseinanderzureißen. So auch bei seinem zweiten Tor gegen Hertha, als er genau im richtigen Moment loszog, um anschließend perfekt bedient von Julian Brandt trocken ins rechte Eck abzuschließen. Bezeichnend auch die Szene, die sich unmittelbar danach abspielte: Da stand Haaland am Mittelkreis, flachste noch kurz mit dem Schiedsrichter, ob das leicht abseitsverdächtige Tor denn nun wirklich zählen würde, schlug sich zweimal auf die Brust und scharrte anschließend mit den Hufen. Sodann, als Hertha den Anstoß ausgeführt hatte, wetzte Haaland wieder los, spurtete in Richtung des Balles und legte dabei sogar einen kleinen Zwischenhopser ein, ganz so, als wüsste er gar nicht, wohin mit all seiner Energie.
Diese Energie, diese Dynamik, waren dann auch die Grundlagen für seine nachfolgenden Treffer. Beim 3:1 erkannte er frühzeitig, dass Herthas Marvin Plattenhardt den Ball hintenrum spielen würden, lief sofort los und nahm damit dem verdutzten Omar Alderete die entscheidenden Meter ab. Anschließend umkurvte er noch abgezockt Hertha-Torwart Alexander Schwolow und schob zum 4:1 ein. Auch Haalands viertes Tor war Ausdruck seiner außergewöhnlichen Physis. Unmittelbar nach dem Elfmeter-Gegentor von Matheus Cunha behauptete der Stürmer auf der rechten Außenbahn den Ball gegen zwei Gegenspieler, legte ihn daraufhin in die Mitte, nur um sogleich wieder tief zu gehen. Nach einem feinen Zuspiel von Jude Bellingham vollendete er dann zum finalen 5:2.
Mit all dieser beeindruckenden Körperlichkeit, seinen hünenhaften 1,94 Metern Körpergröße, den explosiven Antritten kommt Haalands Spiel erfrischend unkonventionell daher. Er ist kein Edeltechniker, kein Ballstreichler. Erling Haaland ist eine Naturgewalt – unkoordiniert und chaotisch. Manchmal wirkt es, als sei sein beeindruckender Körperbau zugleich ein Hindernis. Als seien seine Beine etwas zu lang, um den Ball vernünftig zu kontrollieren. So wie kurz vor der Halbzeit, als er nach toller Vorarbeit von Raphael Guerreiro aus kürzester Distanz den Ball vor dem Tor verstolperte. Und doch erlaubt ihm dieser Körper perfekte Ballannahmen, knallharte, aber auch gefühlvolle Abschlüsse. Es ist die Kombination all dieser Attribute, die Haaland so faszinierend macht.
Und vielleicht wird Haaland damit das Spiel sogar nachhaltig verändern. Denn nach jedem seiner Gala-Auftritte ist davon zu lesen, dass gegen diesen Spieler „kein Kraut gewachsen“ sei. Fans unterlegener Mannschaften fragen sich resigniert, was man gegen diesen Kerl denn machen könne. Dies herauszufinden, dürfte in der nächsten Zeit eine der spannendsten Herausforderungen für die Trainer der anderen Mannschaften werden.
Es waren immer Typen, die mit Konventionen gebrochen haben, die für nachhaltige Veränderungen im Sport gesorgt haben. Dick Fosbury revolutionierte mit seiner Technik den Hochsprung. Der Skispringer Jan Boklöv hatte die grandiose Idee, die Bretter V‑förmig zu spreizen. Und Erling Haaland bringt es mit seinen unvorhersehbaren Laufwegen fertig, Löcher dort zu reißen, wo keine sein dürfen.
„Ich habe schon viel von ihm gelernt“
Am Wochenende erhielt dieser Haaland übrigens auch die offizielle Bestätigung, dass es unter den jungen Fußballern in Europa derzeit keinen aufregenderen gibt: Eine 40-köpfige Jury kürte den Norweger zum „Golden Boy“, zum vielversprechendsten Talent Europas. Dabei ist Haaland schon längst soviel mehr als ein Versprechen. Er hat es längst eingelöst. Fand auch Sandro Wagner. Der ehemalige Stürmer, der Zeit seiner aktiven Karriere von seiner Körperlichkeit profitierte, sagte am Freitagabend in seiner neuen Funktion als Fernsehexperte bei DAZN: „Erling Haaland ist kein Talent, das vielleicht irgendwann mal Weltklasse wird. Er ist bereits jetzt absolute Weltklasse.“
Vor diesem Hintergrund muss das, was Youssoufa Moukoko im Matchday-Feature von DAZN über seinen Sturmpartner sagte, als Drohung aufgefasst werden: „Ich habe schon viel von ihm gelernt. Wie explosiv er in seine Tiefenläufe geht, das habe ich mir abgeschaut.“ Und vielleicht war ja auch dies der Grund für Moukoko Grinsen.