Mit einem Mal steckt viel Brisanz in einem Spiel, das eigentlich gepflegte Langeweile verströmen sollte. So viel Brisanz, dass der BVB vor der Reise nach Wolfsburg die überraschende Wiederkunft des Erlösers verkündet.
Ein ganz normaler, vermutlich grauer Novembertag, ein ganz normaler Bundesligaspieltag, ein ganz normaler, ebenfalls leicht mausgrauer Gegner. Man sollte nicht meinen, dass das heutige Auswärtsspiel von Borussia Dortmund beim VfL Wolfsburg angetan wäre, das Blut irgendeines Fußballfans in Wallung zu bringen. Und doch steht auf einmal einiges auf dem Spiel, zuvorderst für den BVB, aber auch für den Rest der Liga.
Die Älteren unter uns können sich vielleicht noch erinnern: Vor einer Woche durfte man kurz davon träumen, endlich mal wieder etwas Spannung an der Tabellenspitze zu haben und Anfang Dezember vielleicht sogar ein richtiges Topspiel zu erleben. Die Bayern taten und tun jedenfalls alles dafür: Impfdebatten, Trainer und Spieler in Quarantäne, eine Pleite beim FC Augsburg und nun noch dazu Selbstzerfleischungstendenzen auf der Jahreshauptversammlung. Aber auch die Borussia schien in einem Jahr, in dem der sächsische Vizemeister flügellahm ist, durchaus gewillt, ernsthaft am Rennen teilzunehmen. Jedenfalls holten die Schwarz-Gelben die meisten ihrer Ligapunkte dank all der nicht greifbaren Qualitäten, die einen Titelkandidaten ausmachen (und die man Dortmund in den letzten Jahren gerne absprach): Beharrlichkeit, Mentalität, Effizienz, Kampfkraft. Und natürlich: Glück.
Doch der Mittwoch hat einiges verändert. Das 1:3 in Lissabon – verbunden mit dem vorzeitigen Aus in einer auf dem Papier gemütlichen Gruppe der Champions League – war die bitterste und enttäuschendste Niederlage des BVB seit der Derbypleite vom April 2019, durch die Dortmund damals die Meisterschaft verspielte. „Es ist nicht nur finanziell, sondern auch sportlich und vom Image ein Rückschlag“, drückte es Manager Michael Zorc aus. Der hört übrigens im Sommer auf, nach dann 44 Jahren als Spieler und Funktionär im Klub. Er ist eine lebende Vereinslegende, und ganz sicher wird der BVB eines Tages eine Straße, einen Platz, eine Tribüne oder ein Gebäude nach ihm benennen. Aber ausgerechnet jetzt, auf seiner Abschiedstour, wächst die Kritik an der Dortmunder Transferpolitik, über die er sicher nicht alleine entschieden hat, die er aber kraft seines Amtes verantwortet.
Denn es ist kein Paradox, wenn man das Spiel in Portugal bitter und enttäuschend nennt und gleichzeitig dem jungen Kollegen recht gibt, der es vorgestern hier an selber Stelle als nicht wirklich überraschend bezeichnete. Schließlich fühlen sich viele Dortmunder Fans schon seit Jahren so, als würden sie zweimal pro Woche eine Serie einschalten, bei der die Schauspieler und die Regisseure ständig wechseln, die Handlung aber immer gleich bleibt.
Einer der Kritikpunkte am Manager ist daher, dass zu viele Komparsen im Cast sind. Aber war das Lissabon-Spiel wirklich ein Beleg dafür? Natürlich ist Marin Pongracic kein gleichwertiger Ersatz für Mats Hummels, sondern eben nur die Art von Ergänzungsspieler, die jeder Kader braucht. Und natürlich ist der Brasilianer Reinier keinesfalls auf dem Level wie die etwa gleichaltrigen Jude Bellingham oder Giovanni Reyna. Das ist ja genau der Grund, aus dem er bisher so selten spielen durfte. Ihn ausgerechnet in einem solchen Spiel ins kalte Wasser zu werfen, war ein Fehler des Trainers, nicht des Managers.