Krassimir Balakow war der Anführer des Magischen Dreiecks und verzauberte die Bundesliga – dabei wäre er beinahe in Bulgarien versauert. Heute wird Stuttgarts ehemaliger Strippenzieher 55 Jahre alt. Die Geschichte eines besonderen Spielmachers.
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Die Geschichte des magischen Dreiecks beginnt mit wütenden bulgarischen Demonstranten. Mit Menschen, die ihre Autos quer auf die Straßen stellen, um den Verkehr lahmzulegen. Mit Fabrikarbeitern, die sich weigern, Hebel zu ziehen und Knöpfe zu drücken. Und mit Bahnangestellten, die sich nicht mehr darum scheren, ob Züge ankommen oder wegfahren oder einfach stehenbleiben. Im Herbst 1990 herrscht für eine knappe Stunde Chaos in Welinko Tarnowo, der Heimatstadt von Krassimir Balakow. Das hat nichts mit dem allgemeinen Chaos zu tun, welches nach dem politischen Umsturz und dem Ende des Sozialismus ohnehin längst in jede Nische des Landes gekrochen ist. Nein, es geht um viel mehr als das. Es geht um Fußball.
Die Menschen Tarnowos sind wütend, weil Krassimir Balakow vom bulgarischen Fußballverband gesperrt worden ist. Zwei Jahre lang soll er keinen Fußball mehr spielen dürfen. Weil er, kurz nach der politischen Öffnung Bulgariens, bei zwei Vereinen parallel Verträge unterschrieben hat. Bei Etar in Tarnowo und beim bulgarischen Spitzenklub ZSKA Sofia. Dass das Ärger geben würde? Nicht so wichtig.
„Der Fußballer Krassimir Balakow darf weiter für Etar spielen“
In diesen wirren Zeiten, denkt er, ist ohnehin alles egal. Doch als sich bei Sofia die Stars vom Acker machen, will Balakow lieber in Tarnowo bleiben. Also lässt der Verband die Muskeln spielen. Bis die Menschen in der Stadt kreuz und quer parken. Am nächsten Tag heben die Funktionäre die Sperre auf. Balakow erhält ein Schreiben: „Der Fußballer Krassimir Balakow darf weiter für Etar spielen. Allerdings ist es ihm verboten, in den kommenden drei Jahren zu einem anderen bulgarischen Verein zu wechseln.“
Drei Monate nach dem Schreiben wechselt Balakow trotzdem. Nicht zu einem anderen bulgarischen Klub, das ist ihm schließlich untersagt worden. Aber zu Sporting Lissabon, von wo aus er eine internationale Karriere startet, die ihn vom Südwesten Europas über die USA bis nach Baden-Württemberg führt. Zum VfB Stuttgart an die Seite von Fredi Bobic und Giovane Elber. Als Häuptling eines Trios, das als „Magisches Dreieck“ die gesamte Bundesliga verzaubern wird.
„Für die vom bulgarischen Verband war das ja auch alles neu“
Fast dreißig Jahre nach dem Chaos in Tarnowo sitzt Balakow in seiner Stuttgarter Wohnung an einem großen Tisch aus Holz und schüttelt den Kopf. „Für die vom bulgarischen Verband“, sagt er, „war das ja auch alles neu.“ Die Jalousien sind heruntergelassen, es ist angenehm kühl im Wohnzimmer, an den teilweise unverputzten Wänden hängen Gemälde, Öl auf Leinwand. Schon als Spieler sammelte er bulgarische Kunst, als junger Mann studierte er außerdem Geografie. Auch die erste Kontaktaufnahme für diesen Termin machte schnell klar: Balakow entspricht nicht dem Klischee eines ehemaligen Fußballstars. Auf die Interviewanfrage antwortete er nur Stunden später mit einer höflichen Mail, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen geht er ans Handy, wenn es klingelt. Er lädt zu sich nach Hause ein und nimmt sich Zeit, auch wenn sie bei ihm noch immer knapp ist.
Mittlerweile ist er 52 Jahre alt, aber er sieht jünger aus, das Gesicht ist faltenfrei, die Haut leicht gebräunt. Er steht regelmäßig auf dem Trainingsplatz, Balakow ist seit Januar 2018 wieder Trainer bei seinem Heimatverein Etar. Doch für ein paar Tage ist er zu Besuch in seiner anderen Heimat, seiner deutschen. In der Stadt, in der seine Freundin wohnt, in der seine Kinder leben und in der sein kleiner Enkel geboren wurde. Und wo er noch immer eine Wohnung besitzt, am Stadtrand von Stuttgart, in einer dieser hügeligen Straßen, wo es keine richtigen Bürgersteige gibt, weil sowieso jeder mit dem Auto fährt.