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Serse Cosmi hatte allen Grund, wütend zu sein. Am 7. März, in seinem zweiten Spiel auf der Trai­ner­bank des tief im Abstiegs­kampf ste­ckenden FC Cro­tone, hatte sein Team kurz vor dem Halb­zeit­pfiff den 1:1‑Ausgleich durch den FC Turin hin­nehmen müssen. Nun hätte Cosmi sich in Werner-Lorant-Manier an einer Wer­be­bande abre­agieren oder im Jürgen-Klins­mann-Stil eine Tonne atta­ckieren können. Tat er aber nicht. Statt­dessen ver­fluchte der Coach auf dem Weg in die Kabine den All­mäch­tigen. Was genau er gesagt hat, ist nicht über­mit­telt. Nicht ver­wun­der­lich, schließ­lich gelten derlei Aus­drücke in Ita­lien als schwere Schimpf­wörter, die in der Öffent­lich­keit nicht aus­ge­schrieben werden. Für den im leeren Sta­dion gut hör­baren Ausruf bekam Cosmi nach­träg­lich eine Sperre auf­ge­brummt.

Grund dafür ist das ita­lie­ni­sche Regel­werk. Dem­zu­folge ist eine espres­sione blas­fema“, ein got­tes­läs­ter­li­cher Aus­druck, mit einem Spiel Sperre zu ahnden. Das nächste Spiel von Cro­tone bei Lazio Rom erlebte Cosmi folg­lich von der Tri­büne aus. Und musste von dort mit ansehen, wie seine Mann­schaft trotz großem Kampf in der Schluss­phase den Treffer zum 2:3 kas­sierte. In der anschlie­ßenden Pres­se­kon­fe­renz schimpfte Cosmi, mit ihm an der Sei­ten­linie wäre das nicht pas­siert, durch die rich­tigen Wechsel hätte er das Spiel in den Schluss­mi­nuten über die Bühne gebracht. Er wolle keine Aus­reden vor­bringen, aber Schuld an der Nie­der­lage träfe auch die Sport­ge­richts­bar­keit. Denn die hatte ihn – und zwar nicht zum ersten Mal – für ein Ver­gehen ver­ur­teilt, das in seinen Augen keines war. Als lächer­lich“ bezeich­nete er seine Sperre, und ergänzte: Soweit ich weiß, leben wir in einem säku­laren Staat.“

Füll­wörter oder Blas­phemie?

Für einige, die finden, die Regel gehöre schon lange abge­schafft, ist Cosmi nun so eine Art Held. Aber er musste auch viel Kritik ein­ste­cken. Denn mit dem Flu­chen ist es in Ita­lien so eine Sache. Bestemmie, wie Ver­wün­schungen gegen Gott oder die Got­tes­mutter, meist durch einen Ver­gleich mit Schweinen oder Hunden, genannt werden, gelten in Ita­lien als beson­ders schwere Schimpf­wörter. Wer diese öffent­lich von sich gibt, wird als schlechtes Vor­bild ange­sehen, nicht nur von Gläu­bigen, son­dern von einem Groß­teil der Gesell­schaft. Selbst der stets mit einem Weih­was­ser­fläsch­chen in der Tasche am Spiel­feld­rand ste­hende Gio­vanni Tra­pat­toni stand 2016 im Kreuz­feuer der Kritik, nachdem er als Co-Kom­men­tator im ita­lie­ni­schen Staats­fern­sehen RAI den Herr­gott ver­un­glimpft hatte – auch wenn er dabei einen übli­chen Taschen­spie­ler­trick ange­wandt und Dio („Gott“) durch Zio („Onkel“) ersetzt hatte.

Obwohl in der Öffent­lich­keit ver­pönt, hört man bestemmie im ita­lie­ni­schen Alltag aber alles andere als selten. Welt­meister-Trainer Mar­cello Lippi ließ einst ver­lauten, sie seien in seiner Heimat, der Tos­kana, eher Füll­wörter und er würde gefühlt 3000 am Tag von sich geben. Und gerade auf dem Fuß­ball­platz wird wohl mehr geflucht als irgendwo anders, schließ­lich läuft dort bekannt­lich selten alles nach Plan. Zwar soll der streng gläu­bige Bra­si­lianer Kaka einst seine Mit­spieler beim AC Mai­land ermahnt haben, nicht Gott trage die Schuld daran, wenn sie einen Fehl­pass spielten oder das Tor nicht träfen, doch dem Ver­nehmen nach hielt sich sein Erfolg in Grenzen.

Die Geschichte der bestemmia

In der Theorie hat eine bestemmia auf dem Spiel­feld in Ita­lien einen indi­rekten Frei­stoß und einen Platz­ver­weis zur Folge. Nach Regel 12 des inter­na­tio­nalen Regel­werks (Fouls und unsport­li­ches Betragen) zählen zu den feld­ver­weis­wür­digen Ver­gehen auch anstö­ßige, belei­di­gende oder schmä­hende Äuße­rungen und/​oder Gesten“. Dazu werden in Ita­lien auch got­tes­läs­ter­liche Äuße­rungen“ gezählt. Zum Tragen kam die Regel aber lange Zeit nicht – bis zum 12. Oktober 1975. Am zweiten Spieltag der Serie-A-Saison lag Auf­steiger Calcio Como gegen den amtie­renden Meister Juventus Turin kurz vor Spie­lende sen­sa­tio­nell mit 2:1 in Füh­rung. Da rutschte Como-Kapitän Claudio Cor­renti, der sich selbst als gläubig bezeichnet, in der 88. Minute eine espres­sione blas­fema“ heraus. Zwar ver­zich­tete der Schieds­richter auf die laut Regel­werk ange­mes­sene Rote Karte, er gab jedoch einen indi­rekten Frei­stoß. Der führte prompt zum 2:2‑Ausgleich für Juve. 

Auf dem Platz flu­chen doch alle, das ist zwar nicht schön, aber es pas­siert ständig“, schimpfte Como-Trainer Benia­mino Can­cian hin­terher. Nun habe er allen Grund zu flu­chen, denn nur wegen eines über­eif­rigen Schieds­rich­ters habe man einen sicher geglaubten Sieg ver­spielt. Einige Fuß­baller pflich­teten ihm hin­terher bei, wenn es so wei­ter­ginge, würde keine Mann­schaft mehr ein Spiel zu elft beenden. Anschlie­ßend blieb es um das Thema lange Zeit ruhig. Ver­mut­lich nicht, weil die Spieler sich zurück­hielten, son­dern weil es die Schieds­richter mit der Anwen­dung der Regel nicht mehr ganz so genau nahmen.