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Oliver Kahn, lässt sich fol­gender Kahn-Spruch auch auf Ihr Leben als TV-Experte anwenden: Weiter, immer weiter“?
Dieser Spruch lässt sich auf alles im Leben anwenden.

Wie ist es mit: Eier, wir brau­chen Eier“?
Habe ich nach dem Klopp-Vor­fall erst zu meinem ZDF-Kol­legen Jochen Breyer gesagt. Es klang nur etwas anders.

Wie haben Sie es gesagt?
Jochen, wenn du in der Cham­pions League spielen willst, musst du auch mal den Gegen­wind ertragen können.

Mode­rator Jochen Breyer wurde für seine Frage nach der BVB-Hin­spiel­nie­der­lage bei Real Madrid gescholten: Die Sache ist durch, oder, Jürgen Klopp?“ War das respektlos?
Fand ich nicht. War viel­leicht ein biss­chen flapsig, aber Klopp hätte unter nor­malen Vor­aus­set­zungen alle rhe­to­ri­schen Mittel gehabt, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen: Wenn Sie das meinen“ oder Warten wir es doch erst mal ab“. Aber Jürgen ist an dem Tag eben voll drauf ein­ge­gangen, weil er vom Spiel noch auf­ge­wühlt war.

Breyer hätten Sie sich früher auch zur Brust genommen.
Tja, wahr­schein­lich. Aber ich war als Spieler manchmal auch so … (Macht den Schei­ben­wi­scher.)

Gibt es eine Halb­wert­zeit für TV-Experten?
Auf jeden Fall. Das hat Günter Netzer vor­bild­lich gemacht. Er hat zu einer Zeit als Experte auf­ge­hört, als ihn die Leute auf dem Schirm noch mochten.

Wo werden Sie die bevor­ste­hende WM ver­bringen?
Vier Wochen lang an der Copa­ca­bana. Das ZDF teilt sich das Studio mit der ARD. Bedeutet für mich, dass das Schicksal meinen alten Kumpel Mehmet (Scholl, ARD-Experte, d. Red.) und mich – nachdem wir schon als Spieler lange Zim­mer­ge­nossen waren – wieder zusam­men­führt.

Froh, dass Sie nicht aus dem deut­schen Lager im Nie­mands­land von Campo de Bahia senden müssen?
Ich bin schon froh, dass ich nicht auf einer Platt­form in der Ostsee stehe, son­dern am warmen Strand von Rio. Aber ich danke dem ZDF auch dafür, dass es mich von Rei­se­stra­pazen ver­schont, die es laut Gio­vane Elber in Bra­si­lien auf­grund der man­gelnden Infra­struktur und großen Ent­fer­nungen geben soll.

War die Stim­mung bei der EM 2012 in Herings­dorf wirk­lich so schlecht?
Ich fand das Ambi­ente schön, bei Deutsch­land­spielen war die Stim­mung auch gut. Aller­dings waren die Lie­ge­stühle für die Zuschauer nicht das ideale Inventar für eine Fuß­ball­party.

Sie haben sich töd­lich gelang­weilt.
Nein, aber ich habe schon auf­re­gen­dere Loca­tions erlebt.

Als TV-Experte kriegen Sie doch Ihr WM-Eröff­nungs­spiel. Nervös?
Nein, da kann ja nicht mehr viel pas­sieren, was ich nicht kal­ku­lieren kann. Obwohl es mich schon ein biss­chen wun­dert, dass ich so gar keine Ner­vo­sität ver­spüre.

Zumal Sie bei der WM zur ganzen Nation spre­chen. Was, wenn Ihnen ein Fehler unter­läuft?
Das emp­finde ich nicht mehr wie als Spieler. Früher war ich vor jedem Match im Tunnel, es gab einen klar getak­teten Ablauf: Trai­ning-Flug-Hotel-Trai­ning-Hotel-Spiel-Hotel-Rück­flug. Heute ist es viel ent­spannter.

Ver­missen Sie den Geruch von Gras?
Wirk­lich nicht. Ich ver­misse nur in man­chen Situa­tionen das Zusam­men­sein mit der Mann­schaft, das Flachsen und das Gefühl, gemeinsam auf ein Ziel hin­zu­ar­beiten.

Sie stehen kurz vor der Über­tra­gung im Studio, das rote Licht geht an. Was macht Ihr Puls?
Gar nichts. Ich denke nur: Frag mich was, Oliver (Welke, d. Red.), ich ant­worte dir.

Gar keine Angst, sich um Kopf und Kragen zu reden?
Ich nehme mich da nicht so wichtig. Wenn ich etwas bei­tragen kann, ist das schön, wenn nicht, auch nicht so schlimm. Des­wegen spüre ich diese Ängste nicht.

Mehmet Scholl musste ein­ste­cken, als er behaup­tete, Mario Gomez habe sich aus Lauf­faul­heit bei der Euro 2012 fast wund­ge­legen“. Hätte Ihnen das auch pas­sieren können?
Das kann immer pas­sieren, aber das darf man nicht so eng sehen. Was meinen Sie, was für Kom­men­tare unter meinem Blog erscheinen? Da steht schon mal, vor­sichtig aus­ge­drückt: Halts Maul und ver­schwinde!“

Wetter, Unruhen, das Dengue-Fieber – wovor fürchten Sie sich am meisten auf Ihrer Reise nach Bra­si­lien?
Vor gar nichts. Die Bra­si­lianer lieben mich ja, seit ich 2002 dazu bei­getragen habe, dass sie Welt­meister geworden sind. Ich erwarte also, wie ein Staats­mann am Flug­hafen emp­fangen zu werden. (Lacht.)

Wer ist besser orga­ni­siert: der DFB oder das ZDF?
Der DFB ist schon ex­trem gut orga­ni­siert. Mir ist es nach der Kar­riere öfter pas­siert, dass ich in Hotels auf­wachte und mich fragte, wo der weiße Zettel ist.

Der Zettel?
Den findet jeder Natio­nal­spieler beim Auf­wa­chen unter seiner Zim­mertür. Darauf steht der gesamte Tages­ab­lauf: 9 Uhr Früh­stück, 10 Uhr Trai­ning, 13 Uhr Auto­gramm­stunde, 15 Uhr zweites Trai­ning, 18 Uhr Abend­essen, 19 Uhr Mas­sage, 23 Uhr Bett­ruhe. Das ist regel­recht irri­tie­rend, wenn es den Zettel nach 15 Jahren plötz­lich nicht mehr gibt.

Wer kann besser feiern: Fuß­baller oder Jour­na­listen?
Ich habe beim ZDF noch keine Party mit­ge­macht. Ich schlafe sehr schlecht in Hotels, wes­halb ich nach Cham­pions-League-Spielen immer früh abreise. Außerdem: Was gibt es schon groß zu feiern unter Jour­na­listen?

Die finden doch immer einen Grund. Vor allem, wenn sie vier Wochen an der Copa­ca­bana rum­hängen.
Unter­schätzen Sie nicht, was Oliver Welke, Katrin Müller-Hohen­stein oder Jochen Breyer mit zwei oder drei Spielen am Tag zu leisten haben. Wenn sie damit durch sind, haben sie keine Lust mehr zu feiern.

Michael Bal­lack sagt, seine schönste Erin­ne­rung als Natio­nal­spieler sei die Party bei der WM 2002 gewesen.
Welche Party?

Auf Jeju-Island nach dem gewon­nenen Halb­fi­nale gegen Süd­korea.
Da war ich nicht dabei, da saß ich auf dem Zimmer und habe mich aufs Finale kon­zen­triert.

Wie sahen die Kol­legen am nächsten Morgen aus?
Keine Ahnung, ich wusste bis jetzt nichts von dieser Party. So viele Jahre später kommt es heraus: Ich war also gar nicht schuld am ver­lo­renen WM-Finale. Schuld waren die, die Party gemacht haben. (Lacht.)

Als Spieler haben Sie laut eigener Aus­sage stets im Adre­nalin gebadet“. Nimmt auch der TV-Experte gern ein Bad?
Gar nicht, diese Anstren­gung, diesen Druck emp­finde ich nicht mehr. Dar­über bin auch froh, weil dieses stän­dige Adre­nalin extrem unge­sund ist. Beim Fern­sehen ist das ganz anders, da ver­suche ich über Fuß­ball zu reden und, wenn mög­lich, dem Zuschauer einen Mehr­wert zu lie­fern.

Was macht das Adre­na­linbad so un­gesund?
Man kann nicht ständig diese Stress­hor­mone im Körper haben, son­dern muss einen Aus­gleich zwi­schen An- und Ent­span­nung finden, sonst schafft man es irgend­wann nicht mehr run­ter­zu­kommen.

Und kriegt einen Herz­kasper?
Bei mir war’s eher eine psy­chi­sche Kom­po­nente.

Depres­sionen?
Es gab schon eine Zeit des Aus­ge­brannt­seins, aber ich habe das gut in den Griff bekommen.

Als Spieler war für Sie Vor­be­rei­tung alles. Und als TV-Experte?
Da kommt mir meine Dis­zi­plin, die ich als Tor­wart hatte, zugute. Ohne Vor­be­rei­tung würde ich mich im Studio unwohl fühlen. Aber ich habe in den Jahren beim ZDF gelernt, dass es wichtig ist, den Blick auf das Wesent­liche zu richten. Heute weiß ich, was ich an Infor­ma­tionen brauche, um das Spiel ein­zu­ordnen – und was nicht.

Das heißt?
Ich schaue nicht mehr nach, ob der Links­ver­tei­diger ein inverser Abwehr­spieler ist, der im letzten Spiel zwei Mal mit links und vier Mal mit rechts aufs geg­ne­ri­sche Tor geschossen hat.

So was kann einen auch erschlagen.
Am Anfang habe ich es öfter erlebt, dass mich Katrin (Müller-Hohen­stein, d. Red.) irgendwas fragte und ich vor lauter Detail­in­for­ma­tionen fast einen Blackout hatte. Heute kommt es vor, dass ich mich auf ein Spiel wie FC Bayern gegen Real Madrid kaum vor­be­reiten muss, weil ich beide Teams in der Saison schon so oft gesehen habe, und weiß, wie ich die Gescheh­nisse zu bewerten habe.

Ihr Lieb­lings­gast im Studio?
Jürgen Klopp. Er sagt Dinge, die man so nicht erwartet. Und er ist oft der­artig auf­ge­laden, dass ich mich frage, wer emo­tio­naler ist: er oder ich zu meinen aktiven Zeiten.

Im Studio schon mal kurz davor gewesen, los­zu­schreien?
Noch nie.

Die deut­sche Elf ver­liert im Finale unglück­lich den Titel. Jogi Löw kommt ins Studio. Wie sollte man ihm als TV-Ana­lyst ent­ge­gen­treten?
Mit Empa­thie und Respekt. Der Jour­na­list muss sich in die Situa­tion ver­setzen, dass Löw in diesem Moment das Größte ver­loren hat, was es im Fuß­ball gibt. Das ist ein schmaler Grat. Schließ­lich muss der Jour­na­list auch hin­ter­fragen, woran es gelegen hat. Die Frage, ob die Nie­der­lage ein Grund sein könnte, zurück­zu­treten, sollte man sich besser ver­kneifen.

Würden Sie Löw in den Arm nehmen?
Auch wenn Sie es mir nicht zutrauen würden, warum nicht?

Ihr größter Fauxpas als TV-Experte?
Ich habe bei einem Cham­pions-League-Spiel des BVB mal einen Spieler erwähnt, der gar nicht im Kader stand.

Gibt es Ver­hal­tens­formen vor der Kamera, die Sie sich drin­gend abge­wöhnen wollen?
Eigent­lich nicht.

Haben Sie einen Rhe­to­rik­kurs gemacht?
Ich habe nur für ein paar Stunden einen Fach­mann auf­ge­sucht, der mir einige Tipps gegeben hat.

Wie sehr nervt Sie Ihr Ein­saugen der Luft durch die Zähne?
Das mache ich doch gar nicht mehr so oft, das war ein Relikt aus der Spie­ler­zeit, weil ich da ständig in Gefahr war, in Fett­näpf­chen zu treten. Da half mir diese Geste, Zeit zu gewinnen.

Der Kahn­sche Blick ins Unend­liche.
Zeigen Sie mir einen Spieler, der vom Rasen kommt und seinem Gesprächs­partner direkt in die Augen schaut. Bei Sky gibt es inzwi­schen die Ten­denz der Mode­ra­toren, bei Erklä­rungen direkt in die Kamera zu schauen. Beim ZDF machen wir das anders, da reden wir bewusst mit­ein­ander.

Welche Rituale pflegen Sie als TV-Experte?
Bis jetzt keine. Aber wenn Mehmet und ich uns vier Wochen bei der WM sehen, könnten wir die alten Rituale reak­ti­vieren.

Wie sahen die aus?
Wir saßen jah­re­lang neben­ein­ander in der Kabine, auch schon zu Karls­ruher Zeiten. Da hat sich ein spe­zi­eller Humor her­aus­ge­bildet.

Näm­lich?
Wenn es auf den Platz ging, fingen wir an, uns zu foppen: Mehmet, du hast in dieser Saison noch kein gutes Spiel gemacht. Wär’ schön, wenn es heute anders wäre.“ Und er: Ich hab’s beim Warm­ma­chen schon gesehen: Du hast heut so Flutsch­finger, du bist nervös.“
Was fällt Ihnen zu fol­genden Kom­men­ta­toren-Duos ein …
Oha.

Kalle Rum­me­nigge und Heri­bert Faß­bender.
(Lange Pause. Iro­ni­sches Kahn-Lächeln.) Da war ich noch zu jung.

Die beiden haben Deutsch­land bei der WM 1990 begleitet, da waren Sie 20, 21.
(Extremes Kahn-Lächeln.) Trotzdem, da war ich noch zu jung, um es richtig ein­schätzen zu können …

Günter Netzer und Ger­hard Del­ling.
Günter, mein großes Vor­bild.

Ehr­lich?
Ja, seine Serio­sität, seine Art, auch ein biss­chen über den Dingen zu stehen, hat mir immer sehr gefallen.

Mehmet Scholl und Mat­thias Opden­hövel.
Passen super in die Zeit. Opden­hövel ergänzt sich per­fekt mit Mehmet und seinen Sprü­chen.

Was kann Mehmet Scholl besser als Sie?
Er ist ein völlig anderer Mensch als ich. Schon als Spieler war ich der Dis­zi­pli­nierte, der Grad­li­nige, und Mehmet der Lockere, der immer einen coolen Spruch auf den Lippen hat. Das setzt sich ein Stück weit heute fort.

Was konnte Jürgen Klopp in seiner Zeit als ZDF-Experte besser als Sie?
Ich bin kein Trainer. Er kann tak­ti­sche Zusam­men­hänge viel­leicht inten­siver erklären. Ich ope­riere eher aus meinen Erfah­rungen als Spieler heraus.

Ein Wort noch zum deut­schen Fuß­ball­ex­perten mit der längsten Halt­bar­keits­dauer: Franz Becken­bauer.
Der Kaiser. Punkt.

Sie sind so ent­spannt.
Leute haben sich schon beschwert, ich hätte mich so ver­än­dert und wäre seit dem Kar­rie­re­ende zahm geworden. Da frage ich mich, was sie erwarten? Dass ich mit gestrecktem Bein über den Mode­ra­ti­ons­tisch fliege oder Katrin Müller-Hohen­stein in den Hals beiße?

Oliver Kahn, abschlie­ßend noch zwei legen­däre Kahn-Sätze: Ich will kein Titan mehr sein, son­dern ein mensch­li­ches Wesen.“
Ich bin heute als TV-Experte viel mehr bei mir und ent­spannter, als ich es als Tor­wart je war. Da habe ich in einer anderen Welt gelebt, ich war ständig unter Span­nung und auf das nächste Spiel kon­zen­triert.

Wenn du glaubst, ganz oben zu sein, musst du Fähig­keiten ent­wi­ckeln, dich auf deine eigenen Schul­tern zu stellen.“
Das frage ich mich ständig. Ganz davon abge­sehen, dass es schwer messbar ist, ob man als TV-Experte oben ange­kommen ist. Aber wie kriege ich es hin, mich nicht ständig zu wie­der­holen? Denn diese Auf­gabe lässt mir nur wenig Spiel­raum, weil ich immer wieder in anderem Zusam­men­hang die­selben Fragen beant­worten muss.