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Seite 2: Warum blieb die Kritik in vergleichbaren Fällen aus?

In der Wahr­neh­mung vieler in Deutsch­land lebender Türken und vieler Deut­scher mit tür­ki­schen Wur­zeln ist Erdogan nicht der repres­sive Despot, den die meisten der hier lebenden Men­schen in ihm sehen. Statt­dessen ist er für sie noch immer der legi­time tür­ki­sche Prä­si­dent, in ver­meint­lich freien Wahlen mehr­fach bestä­tigt.

Weil viele kri­ti­sche Stimmen im Knast ver­sauern, wird das Bild, das in den meisten großen tür­kisch­spra­chigen Medien von Erdogan gezeichnet wird, mit der Zeit eher noch posi­tiver. Das ist nicht gut, doch es erklärt, warum Men­schen wie Özil und Gün­dogan – oder deren engere Umfelder – ein Foto mit Erdogan nicht zwin­gend als Affront betrachten.

Warum blieb die Kritik in ver­gleich­baren Fällen aus?

Dazu darf man die Erklä­rung, die Gün­dogan der deut­schen Öffent­lich­keit für das Foto zu lie­fern ver­suchte, nicht als Floskel abtun. Wenn er sagt, für ihn sei Höf­lich­keit ein aus­schlag­ge­bendes Argu­ment gewesen, zu dem Treffen zu erscheinen, dann kann das durchaus der Wahr­heit ent­spre­chen. Denn wer weiß, wie das Umfeld der Spieler denkt? Wie die Familie? Wie die Freunde? Welche pri­vaten Gräben sich für Gün­dogan oder Özil auf­getan hätten? Zumal es ja auch im Bereich des Mög­li­chen liegt, dass sie die Politik von Erdogan schlicht in Ord­nung finden.

Wes­halb es auch in Ord­nung ist, die beiden Fuß­baller, beide erwachsen und beide Per­sonen des öffent­li­chen Lebens, zu kri­ti­sieren. Es ist sogar not­wendig, es regt zu Dis­kus­sionen an, es ver­langt auch den Spie­lern ab, sich ernst­haft mit dem Thema zu beschäf­tigen und im Ide­al­fall das eigene Han­deln zu reflek­tieren. Bes­ten­falls öffent­lich. Bes­ten­falls so, dass auch der DFB Spie­lern wie Kri­ti­kern den nötigen Raum dazu lässt. Die Frage ist nur, warum vor allem die Kritik der Fans in ver­gleich­baren Fällen aus­blieb.

Den Test mit Bra­vour bestanden“

Will heißen: Warum stellen die deut­schen Fans erst an Gün­dogan und Özil der­ar­tige mora­li­sche Ansprüche? Als Julian Draxler vor einem Jahr in seiner Rolle als Inte­rims-Kapitän der Confed-Cup-Natio­nal­mann­schaft einen offenen Brief an die rus­si­schen Fans schrieb, in dem er dem Land dazu gra­tu­lierte den Test mit Bra­vour bestanden“ zu haben, blieben genau wie bei Podolski Pfiffe aus. Dabei hätte Putin selbst den Brief nicht besser for­mu­lieren können.

Und allein die Tat­sache, dass am Freitag ein ein­zelner Fuß­baller von Zuschauern dafür aus­ge­pfiffen wurde, sich mit Erdogan auf einem Foto zu zeigen, wäh­rend die glei­chen Zuschauer dafür Ein­tritt gezahlt haben, die Natio­nal­mann­schaft von Saudi-Ara­bien spielen zu sehen, ist eigent­lich absurd. In Saudi-Ara­bien dürfen Frauen erst seit ein paar Tagen Auto­fahren, die Scharia ist Grund­lage des Rechts­sys­tems, kri­ti­sche Jour­na­listen werden noch immer zu Peit­schen­hieben ver­ur­teilt.

Für mich gab es keinen Grund, über einen Ver­bands­wechsel nach­zu­denken“

Das alles zeigt: Bei Natio­nal­spie­lern mit tür­ki­schen Wur­zeln wird mit zwei­erlei Maß gemessen. Das war schon so, als Mesut Özil die Natio­nal­hymne vor dem Spiel nicht mit­sang. Bei Oliver Kahn oder Torsten Frings waren die wäh­rend der Hymne zusam­men­ge­knif­fenen Lippen nie zum Pro­blem geworden.

Als 11FREUNDE vor sieben Jahren mit Ilkay Gün­dogan sprach und ihn fragte, warum er sich für den deut­schen und nicht für den tür­ki­schen Ver­band ent­schieden habe, sagte er übri­gens fol­gendes: Ich bin in diesem Land geboren, hier auf­ge­wachsen, habe eine deut­sche Schule besucht und spiele bei einem deut­schen Verein. Für mich gab es keinen Grund, über einen Ver­bands­wechsel nach­zu­denken.“