Hinweis: Dieses Interview fand im Juni 2011 statt und erschien bereits in 11FREUNDE #115
Ilkay Gündogan, mit Ihrem Abgang von Nürnberg nach Dortmund haben Sie auch Ihren Kumpel Mehmet Ekici etwas aus den Augen verloren. Macht Sie das traurig?
Ilkay Gündogan: Dass Mehmet und ich nach der Saison getrennte Wege gegangen sind, ist nun mal Teil des Profigeschäfts. Ich will in Dortmund den nächsten Karriereschritt machen. Wir werden es schon verkraften.
Mehmet Ekici: Wir wussten lange genug, dass wir bald nicht mehr in einer Stadt leben werden, deswegen haben wir bis zuletzt auch jede Minute miteinander verbracht.
Sie spielten als Leihspieler beim Club. Denen wird oft mangelnde Identifikation mit ihrem neuen Verein vorgeworfen. Was entgegnen Sie den Nörglern?
Mehmet Ekici: Man gibt für den Verein, für den man spielt, alles. Ich will Erfolg haben, sonst hätte ich mir den falschen Beruf ausgesucht. Außerdem ist man während der Leihphase besonders motiviert, weil man seinem Heimatverein zeigen will, dass man eine Bereicherung sein kann. Davon hat auch der 1. FC Nürnberg in der letzten Saison profitiert.
Wie schwer fiel es Ihnen, sich in das neue Umfeld zu integrieren?
Mehmet Ekici: Ich war das erste Mal von meiner Familie weg, bin die ersten Tage in einem Hotel untergekommen und habe mich da überhaupt nicht wohlgefühlt. Also traf ich die Entscheidung, dass ich etwas ändern muss, bevor mir das Dach auf den Kopf fällt.
Sie zogen daraufhin zu Ihrem Mitspieler und Kumpel Ilkay Gündogan. Wie sah das WG-Casting aus?
Mehmet Ekici: Es gab keins. Ilkay hat mir angeboten, dass ich bei ihm einziehen kann.
Ilkay Gündogan: Das stimmt so nicht, du hast mich gefragt.
Und Sie konnten nicht nein sagen?
Ilkay Gündogan: Schauen Sie sich doch seinen Dackelblick an. Wer könnte da nein sagen?
Mehmet Ekici: Aha, jetzt kommt‘s raus.
Ilkay Gündogan: Nein, es war überhaupt kein Problem. Wir kannten uns schon von der Junioren-Nationalmannschaft und wussten, dass wir einen guten Draht zueinander haben.
Wenn man zusammenlebt, lernt man sich besser kennen als bei der Arbeit. Welche heimlichen Macken sind Ihnen denn am anderen aufgefallen?
Ilkay Gündogan: Mehmet hat sich als Mitbewohner gut gemacht. Er hat sogar manchmal die Spülmaschine ausgeräumt. Da gibt es nichts zu meckern.
Mehmet Ekici: Ich wäre ein schlechter Gast, wenn ich meinen Gastgeber in die Pfanne hauen würde. Wir hatten vier spaßige Wochen.
Kommen Sie schon. Es gab keine offenen Zahnpastatuben, verschimmelten Töpfe oder Streit um den Putzplan?
Ilkay Gündogan: Wir hatten zum Glück eine Putzfrau, das hat vieles einfacher gemacht.
Mehmet Ekici: Richtig gute Hausmänner sind wir beide nicht. Einmal wollte ich für uns beide Nudeln kochen …
Ilkay Gündogan: … dann hast du den Topf auf dem Herd vergessen. Alles war voller Rauch und wir sind doch essen gegangen. Man kann behaupten, dass wir beide unsere Talente eindeutig außerhalb des Haushalts haben.
Wie war die Bilanz nach einem Monat Leben in der Wohngemeinschaft?
Ilkay Gündogan: Wenn man sich vier Wochen lang jede Sekunde sieht und sich trotzdem nicht auf die Nerven geht, ist das ein gutes Zeichen. Vorher waren wir gute Bekannte, aber seitdem wir zusammengewohnt haben, sind wir echte Freunde.
Mehmet Ekici: Wir sind sogar wie Brüder. Wenn unsere Familien nicht da sind, verbringen wir immer noch den ganzen Tag miteinander. Es kann schon mal vorkommen, dass wir abends zusammen Champions League schauen und ich dann bei Ilkay schlafe, weil es zu spät geworden ist.
Gibt es im Profifußball denn überhaupt echte Freundschaft?
Ilkay Gündogan: Manchmal wird man durch den Fußball zur Freundschaft gezwungen, weil Erfolg leichter wird, wenn man sich mit seinem Mitspieler gut versteht. Das hat die letzte Saison in Nürnberg gezeigt. Aber der Fußball ebnet auch den Weg für echte Freundschaften. Man lernt viele Leute kennen, die im gleichen Alter sind und meist die gleichen Interessen haben.
Fußball, Fußball, Fußball …
Ilkay Gündogan: In der Freizeit reden wir eigentlich kaum darüber. Wir haben genügend andere Interessen, die wir miteinander teilen: Musik, Filme, Mädchen.
Mehmet Ekici: Wir können zusammen abschalten, das ist entscheidend. Und oft reicht schon ein Blick, um zu erkennen, was beim anderen los ist. Das ist wichtig, weil man nicht zu viel über den Fußball nachdenken darf. Schon gar nicht über alles, was darum herum passiert. Nur so kann man das Optimum aus sich herausholen.
Für Ilkay Gündogan war das besonders schwer, denn neben der Profikarriere haben Sie ihr Abitur gemacht. Wie sahen die Ergebnisse?
Ilkay Gündogan: Ich habe bestanden, wenn auch nur mit einer durchschnittlichen Note. Aber mehr war nicht drin, weil der Fußball zu viel Zeit gekostet hat. Trotzdem bin ich stolz, dass ich es gepackt habe. Ohne die Unterstützung durch den Verein und meine Schule wäre das aber nicht möglich gewesen.
Hat Mehmet Ekici Sie auf Auswärtsfahrten auch mal abgefragt?
Ilkay Gündogan: Auf keinen Fall! Dann wäre es sicher noch schlechter ausgefallen.
Mehmet Ekici: Ich habe einmal in seine Mathe-Unterlagen geschaut und so gut wie nichts verstanden. Ich glaube, ich wäre keine große Hilfe gewesen.
Ilkay Gündogan: Ich war zweimal in der Woche ab acht Uhr in der Schule, danach bin ich zum Training gehetzt. Nachmittags habe ich mich oft mit einem Lehrer getroffen, der mich speziell auf meine Mathe-Prüfungen vorbereitet hat. Und nach dem zweiten Training habe ich abends immer noch ein bisschen gelernt.
Wie kann man sich unter dieser Doppelbelastung auf den Punkt konzentrieren?
Ilkay Gündogan: Man muss sich Auszeiten nehmen. Da hat mir Mehmet sehr geholfen. Außerdem war ich froh, dass die Mannschaft Verständnis für meine Situation gezeigt hat. Ebenso wie meine Trainer Dieter Hecking und vorletzte Saison Michael Oenning, die mich zu einhundert Prozent unterstützt haben. Das kann ja auch anders laufen.
Felix Magath empfahl als Trainer des FC Schalke seinem Nachwuchsspieler Julian Draxler, auf das Abitur zu verzichten, um sich besser auf seine anstehende Profikarriere konzentrieren zu können.
Ilkay Gündogan: Ich bin in Gelsenkirchen geboren und kenne die Situation vor Ort ein bisschen. Der Verein kooperiert sehr eng mit einer Schule, deswegen habe ich nicht verstanden, wie man eine solche Empfehlung aussprechen kann. Ich glaube, das war ein falsches Signal. Vielleicht nehmen sich einige junge Spieler ein Beispiel an mir und erkennen, dass man auch beides gleichzeitig schaffen kann.
Und Ihre Begleitung auf dem Abiball hieß Mehmet Ekici?
Ilkay Gündogan: Ich habe ihm vorgeschlagen: „Wenn du dich rasierst und ein schönes Kleid anziehst, dann darfst du mitkommen.“
Mehmet Ekici: Ich musste das Angebot leider ablehnen, weil wir an dem Tag im Trainingslager vor unserem letzten Saisonspiel waren. Ilkay hat ja extra freibekommen.
Ilkay Gündogan: Aber ich war auch nicht lange da. Vielleicht hat mir ein sehr guter Tanzpartner gefehlt. Dass du das draufhast, haben wir ja im Trainingslager vor der Saison gesehen.
Sie schlichen sich heimlich in die Disco, um für den großen Tag zu üben?
Mehmet Ekici: Nein, nein. Jeder neue Spieler musste in Kaprun vor der gesamten Mannschaft etwas vorführen. Mit Verkleidung und allem, was dazugehört. Ich habe mit ein paar anderen zusammen eine Choreografie eingeübt und vorgetanzt.
Ilkay Gündogan: Wir wollten dich eigentlich bei „Deutschland sucht den Superstar“ anmelden, so professionell sah das aus.
Mehmet Ekici: Das kannst du nicht wissen, du hast doch vor Lachen unter dem Tisch gelegen.
Ilkay Gündogan: Solche Aktionen stärken eine Mannschaft unbewusst. Plötzlich hat man etwas, worüber man mit jedem reden und lachen kann. Und glaub mir, Mehmet, über dein Taktgefühl lachen wir noch heute.
Trotz Ihrer engen Freundschaft haben Sie sich beim Thema Nationalmannschaft unterschiedlich entschieden. Während Ilkay Gündogan in Zukunft für den DFB spielt, tragen Sie das Trikot der türkischen Mannschaft. Wie kam diese Entscheidung zustande?
Mehmet Ekici: Natürlich habe ich mit meiner Familie lange darüber geredet, auch Nationaltrainer Guus Hiddink hat mich angerufen und zu einem Treffen in München eingeladen. Da hat er mir dann gezeigt, welche Perspektiven ich habe. Aber nach den ganzen Gesprächen habe ich Ruhe zum Nachdenken gebraucht. Meine Entscheidung für die Türkei war letztlich eine Sache des Herzens, weil in diesem Land die Wurzeln meiner Familie liegen.
Und für Sie hat ein Gespräch mit Nationaltrainer Joachim Löw den Ausschlag für den DFB gegeben?
Ilkay Gündogan: Ich bin in diesem Land geboren, hier aufgewachsen, habe eine deutsche Schule besucht und spiele bei einem deutschen Verein. Für mich gab es keinen Grund, über einen Verbandswechsel nachzudenken. Mein Ziel ist es, bald in der deutschen Nationalmannschaft zu spielen, und ich denke, das ist nicht ganz unrealistisch.
Wie gingen Sie damit um, dass Sie für Ihre Entscheidung angefeindet wurden?
Ilkay Gündogan: Das ist ein sehr emotionales Thema gewesen. In den Wochen danach bin ich auf offener Straße und im Internet von einigen wenigen angepöbelt worden. Diese Beleidigungen taten uns allen deshalb sehr weh, weil sie ausgerechnet von Deutschtürken kamen, die sich eigentlich viel eher mit meiner Entscheidung hätten identifizieren können als andere.
Sie fiel in eine Zeit, in der in Deutschland sehr viel über die Integration von türkischen Mitbürgern debattiert wurde. Redet man auch unter Fußballern über dieses Thema?
Mehmet Ekici: Natürlich. Wir haben durch den Fußball gelernt, dass es in Deutschland gewisse Regeln gibt, an denen man sich orientieren kann. Dadurch bekommt das Leben eine ganz neue Qualität. Die Offenheit dafür wünsche ich vielen jungen Deutschtürken. Denn gerade sie können helfen, dass Deutschland ein noch besseres Land wird.
Ilkay Gündogan: Die Realität sieht doch so aus: Viele Türken leben nach wie vor in ihrer eigenen kleinen Welt. Aber man merkt, dass beide Seiten offener werden und gegenseitig voneinander lernen wollen.
Ein Beleg dafür ist, dass sich immer mehr deutschtürkische Talente in den Klubs durchsetzen. Warum hat sich das in den letzten Jahren verändert?
Ilkay Gündogan: Ich glaube, unter Spielern mit deutschtürkischen Wurzeln hat es in den letzten Jahren einen Mentalitätswechsel gegeben. An uns haftete immer das Klischee des ballverliebten Straßenfußballers. Das wird man auch nie ganz aus uns raus kriegen, aber in den letzten Jahren sind viele vom Kopf her viel klarer geworden. Das haben wir von unseren Eltern gelernt.
Wie meinen Sie das?
Ilkay Gündogan: Wir sind bodenständiger geworden und schätzen Dinge anders ein. Früher hat sich ein türkischer Fußballer schon beim kleinsten Erfolg für den Größten gehalten und dachte, er kann machen, was er will. Wir haben gelernt, dass man hart an sich arbeiten muss, um aus der breiten Masse herauszustechen.
Gab es einen bestimmten Punkt, an dem Sie merkten, dass Sie gelernt haben, deutsch Fußball zu spielen?
Ilkay Gündogan: Mit meinen technischen Fähigkeiten konnte ich immer jeden ausspielen, aber das hat irgendwann nicht mehr gereicht. Es war eine wichtige Erkenntnis für mich, dass man als Einzelkämpfer im Fußball nicht weit kommt.
Mehmet Ekici: Früher hat jeder von uns davon geträumt, der große Star zu sein. Das ist für mich heute nicht mehr entscheidend. Viel wichtiger ist doch, dass man seine besonderen Qualitäten richtig in eine Mannschaft einbringt. Diese Kombination kann am Ende eine viel größere Waffe sein als zehn tolle Einzelaktionen.
Wie wichtig war der Wechsel von Mesut Özil zu Real Madrid für die öffentliche Wahrnehmung von deutschtürkischen Fußballtalenten?
Ilkay Gündogan: Das war für viele ein wichtiges Signal. In gewisser Weise hat es einen Trend vorangetrieben, von dem auch Mehmet und ich profitieren. Deutschtürkische Fußballer sind zu einer Marke geworden, auf die heutzutage Verlass ist.
Mehmet Ekici: Man kann es ganz einfach ablesen. Nicht umsonst spielte Nuri Sahin beim Deutschen Meister eine entscheidende Rolle. Jetzt ist er bei Real Madrid. Mesut Özil ist bereits eine zentrale Figur bei einem der wichtigsten Vereine der Welt, und auch Ilkay oder ich erfahren plötzlich eine Wertschätzung, die vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre.
In Nürnberg, Dortmund, Mainz und Leverkusen haben viele junge Spieler Verantwortung übernommen. Ein weiterer Trend?
Ilkay Gündogan: Ich glaube, wir jungen Spieler sehen den Fußball nicht so verbissen, sondern wollen in erster Linie Spaß haben. Ich habe jeden Tag Freude am Fußball. Die Verantwortung, die jeder Bundesligaspieler automatisch trägt, bemerkt man dann nicht.
Im Erfolgsfall sagt sich das leicht, doch Sie standen in der vorletzten Saison im Alter von 19 Jahren in der Relegation gegen den Abstieg. Das kann doch keinen Spaß machen.
Ilkay Gündogan: Es ist aber nicht so, dass jemand zu dir kommt und sagt: „Übernimm jetzt mal die Verantwortung!“ Das entscheidet jeder Spieler individuell für sich, und längst nicht alle sind dafür gemacht. Die Situation in der vorletzten Saison war unglaublich hart, da fiel selbst der Weg zum Training manchmal schwer. Plötzlich spürt man den Druck der Medien und die Erwartungen der Fans. Aber auch die eigene Erwartungshaltung steigt in dieser Situation. Ein Trainer muss erkennen, was er seinen Spielern zumuten kann, und dich entsprechend einstellen. Wir hatten zum Glück jemanden, der das konnte: Dieter Hecking.
Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Zeit?
Mehmet Ekici: Ilkay hat mir anfangs viel von diesen Wochen erzählt. Ich kannte das vom FC Bayern nicht, weil es dort in jedem Jahr nur um Titel geht. Und als ich in Nürnberg ankam, war die erste Ansage: Wir wollen nicht absteigen. Ich musste erst einmal lernen, das richtig einzuordnen. Zum Glück hat die Saison einen anderen Verlauf genommen.
Ilkay Gündogan: Ich bin aufmerksamer für kleine Signale geworden. Ich versuche alles, um nicht wieder in so einen negativen Strudel zu geraten. Selbst nach Siegen haben wir in der Mannschaft konsequent über unsere Fehler gesprochen. Das tat gut, weil sich im Fußball nach einer Woche schon wieder alles ändern kann.