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Über den Unter­schied zwi­schen Hol­län­dern und Deut­schen hat Huub Ste­vens mal gesagt: Wenn man einem Nie­der­länder einen Auf­trag erteilt, fragt er: Wieso?‘ Ein Deut­scher führt ihn aus und fragt hin­terher: Warum haben wir das eigent­lich gemacht?‘“ So gesehen ist es ein Trep­pen­witz der Geschichte, dass, Jahr­zehnte bevor Ste­vens sein Urteil sprach, aus­ge­rechnet Berti Vogts, der Inbe­griff des teu­to­ni­schen Voll­zugs­be­amten auf dem Rasen, diese Gesetz­mä­ßig­keit außer Kraft setzte und damit das ohnehin fra­gile Ver­hältnis der Nach­bar­länder nach­haltig ver­än­derte.

Bun­des­trainer Helmut Schön hatte ver­fügt, dass der Ter­rier“ Hol­lands Star Johan Cruyff im WM-Finale 1974 in Raum­de­ckung kon­trol­lieren und ihn erst ab 30 Metern vor dem deut­schen Tor stören solle. Doch Vogts ahnte, dass Cruyffs enormer Antritt ihm Pro­bleme bereiten würde. Kurz begehrte er auf: Herr Schön, so, wie Sie das vor­haben, geht das nicht.“ Wenn der Nie­der­länder Tempo auf­nahm, gab es keinen auf der Erde, der ihm folgen konnte. Doch der Coach beharrte auf seiner Taktik, um seinen Mus­ter­schüler Franz Becken­bauer nicht in Eins-zu-Eins-Situa­tionen zu ver­wi­ckeln. Vogts fügte sich – und das Finale war kaum ange­pfiffen, als er seine Nach­gie­big­keit schon bereute. Johan Cruyff hatte im Mit­tel­feld den Ball bekommen und sich im Voll­sprint auf die Reise in Rich­tung Sepp Maier begeben. Vogts sah noch den Staub an den Fersen des Hol­län­ders auf­wir­beln, dann wurde dieser bereits von Uli Hoeneß im Straf­raum gefällt.

Johan Nees­kens ver­wan­delte den Elf­meter. Das Oranje-Team, dessen Totaal­voetbal“ das Welt­tur­nier bis­lang wie eine Natur­ge­walt beherrscht hatte, ließ sich offenbar auch durch den Gast­geber nicht auf­halten. Bereits in der 3. Spiel­mi­nute war Cruyff Vogts erneut ent­wischt, so dass der Mön­chen­glad­ba­cher ihn nur mit einem Foul bremsen konnte. Als Vogts dafür die Gelbe Karte bekam, sah er keine andere Mög­lich­keit mehr: Wenn die DFB-Elf das Spiel irgendwie in den Griff bekommen wollte, musste er gegen den Befehl auf­be­gehren. Er lief zur Außen­linie und rief Helmut Schön zu: Es geht nicht anders, ich mache das jetzt, wie ich das will!“ Der har­mo­ni­e­süch­tige Bun­des­trainer winkte resi­gniert ab.

Johan, halt ein­fach deine Schnauze“

Die Folgen dieses Unge­hor­sams sind bekannt. Berti Vogts folgte seiner Bestim­mung und wich dem Nie­der­länder fortan nicht mehr von der Seite. Er neu­tra­li­sierte den Regis­seur derart kon­se­quent, dass dieser anfing, Schimpf­ka­no­naden auf den Teil­zeit­leib­wächter nie­der­pras­seln zu lassen. Vogts parierte Cruyffs Ein­las­sungen schroff: Johan, halt ein­fach deine Schnauze.“ Und seine Wider­bors­tig­keit zahlte sich aus. Zur Halb­zeit waren die Hol­länder – die zwi­schen­zeit­lich ver­sucht hatten, das DFB-Team mit Bein­schüssen vor­zu­führen – aus dem Rhythmus geraten. Zumal die west­deut­sche Mann­schaft das Spiel durch einen Elf­meter und ein Gerd-Müller-Tor gedreht hatte. Und im Ange­sicht der Wagen­burg, die Schöns Eleven nun um das Tor von Sepp Maier bauten, kam der Elftal nun die Läs­sig­keit beim Kom­bi­nieren abhanden, die sie bis­lang so unwi­der­steh­lich gemacht hatte. Als nach einer zer­mür­benden Abwehr­schlacht das Team der BRD den Welt­pokal in den Nach­mit­tags­himmel von Mün­chen reckte, waren sich alle einig: Der Fuß­ball­gott hatte einen miesen Tag gehabt. Nicht die beste Elf der Welt hatte den Titel geholt, nicht die, die den attrak­tivsten, revo­lu­tio­närsten Fuß­ball gespielt hatte, son­dern die­je­nige, die dem oran­ge­far­benen Furor, den stän­digen Posi­ti­ons­wech­seln und über­fall­ar­tigen Angriffen, mit kühlem Prag­ma­tismus und opfer­be­reiter Kamp­fes­lust ent­ge­gen­ge­treten war. Der Mythos war geboren: Deut­sche Funk­tio­na­lität tri­um­phiert über nie­der­län­di­sche Aben­teu­er­lust. Obwohl die DFB-Elf nur zwei Jahre zuvor mit hin­rei­ßendem Offen­siv­fuß­ball den EM-Titel geholt hatte, waren die Rollen in der Wahr­neh­mung dieses Duells fortan für lange Zeit zemen­tiert. Deutsch­land gegen Hol­land, das hieß nun nicht mehr Goliath gegen David, son­dern Abwehr gegen Angriff, Ergeb­nis­fuß­ball vs. Spiel­freude, Gehorsam contra Krea­ti­vität.

Die gesell­schaft­li­chen Par­al­lelen, um diese Riva­lität auf­zu­laden, lagen auf der Hand. Der Zweite Welt­krieg lag noch keine dreißig Jahre zurück. Die Repres­sa­lien durch Nazi-Deutsch­land waren den Nie­der­län­dern noch genau­es­tens in Erin­ne­rung. Die Zer­stö­rung von Rot­terdam im Mai 1940. Fünf Jahre Besat­zung durch eine Groß­macht, die mit uner­bitt­li­cher Härte gegen die Bevöl­ke­rung vor­ging. Die Vor­be­halte, die Hol­länder gegen­über Deut­schen hegten, waren zwangs­läufig sehr aus­ge­prägt. Doch die tiefe Abnei­gung war oft nur unter­schwellig zu spüren. Die alten Leute wollten das Grauen der Ver­gan­gen­heit ver­gessen. Und so gab es im Fuß­ball vor 1974 zahl­reiche Grenz­gänger, die positiv beim Nach­barn auf­ge­nommen wurden. Helmut Rahn, ein Held von Bern, spielte ab 1960 in Enschede und war vor­über­ge­hend sogar Mann­schafts­ka­pitän. Horst Blan­ken­burg gewann an der Seite von Johan Cruyff mit Ajax Ams­terdam dreimal den Lan­des­meis­tercup. In der Ams­ter­damer Woh­nung des Hei­den­hei­mers küm­merte sich ein älteres Ehe­paar um den Haus­halt. Obwohl der Mann im KZ gewesen war, kam man bes­tens mit­ein­ander aus. Für Blan­ken­burgs Kinder waren die Haus­hälter Oma“ und Opa“. Mit Georg Kessler war ein deut­scher Übungs­leiter mit­ver­ant­wort­lich, dass der nie­der­län­di­sche Fuß­ball­ver­band (KNVB) seine Nach­wuchs­ar­beit Ende der sech­ziger Jahre refor­mierte. Die ver­bes­serte Talent­sich­tung („Leer­plan Neder­land“) unter Kess­lers Lei­tung wurde ein wich­tiger Bau­stein für die Erfolge von Feye­noord und Ajax in den Sieb­zi­gern.