Das WM-Finale 1974 machte aus der sportlichen Rivalität zwischen Holland und Deutschland einen endlosen Konflikt von gesellschaftlicher Tragweite.
Auch auf Vereinsebene war das Duell von holländischen und deutschen Spitzenfußballern Ende der Achtziger von besonderer Brisanz. Während die Achse Gullit, Van Basten und Frank Rijkaard die Geschicke des AC Milan prägte, schrieb beim Ortsrivalen Inter nun das Trio Brehme, Matthäus und Klinsmann eine Erfolgsgeschichte. Im April 1989 trafen die Länderteams in der WM-Quali erneut aufeinander. Um die Emotionen herunterzukochen, riefen die Verbände das Match offiziell zum „Fan-Freundschaftsspiel“ aus. Allerdings ohne sich über entsprechende Maßnahmen einig zu sein. Die Konsequenz: verheerende Straßenschlachten zwischen verfeindeten Hooligans in der Rotterdamer Innenstadt und ein Transparent im Stadion, das Lothar Matthäus mit Adolf Hitler verglich.
Grenzen verschwimmen
Als hätte es noch eines Beweises bedurft, dass der Konflikt längst aus dem Ruder gelaufen war, kam es bei der WM 1990 im Achtelfinale zum Showdown. Allein Zeit und Ort waren drehbuchreif. Nach dem Mauerfall fürchteten viele in Europa, Deutschland könne in alte Muster verfallen und strebe danach, als Großmacht wieder den Kontinent zu beherrschen. In Sichtweite zur Wiedervereinigung trafen die Widersacher nun ausgerechnet im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion aufeinander, der Heimstätte von Inter und Milan, und die Feindschaft eskalierte. Auf der Tribüne explodierten Feuerwerkskörper, während sich auf dem Rasen die Akteure in der Manier von hyperaktiven Grundschülern piesackten. Das Ganze gipfelte in der Attacke von Frank Rijkaard, der Rudi Völler gleich zweimal den angegrauten Minipli benetzte. Das Bild des Niederländers, der dem DFB-Stürmer von hinten in die Haare spuckt, machte die historische Feindschaft endgültig zu einer Groteske, in der ein schnauzbärtiger Deutscher das Opfer einer Intrige wird, hinter der ausgerechnet der intellektuelle Taktgeber des Oranje-Teams steckt. Nun war selbst für Eingeweihte nicht mehr erkennbar, wer in diesem Duell eigentlich auf der richtigen Seite stand. Die auf Jahre festgelegten Rollen von Gut und Böse hatten sich in Luft aufgelöst.
Der unrühmliche Schlusspunkt in dieser Ära des Hasses ereignete sich bei der EM 1992. Als die Teams einander bereits in der Vorrunde zugelost wurden, sagte Ronald Koeman, das könne sich nur der Teufel ausgedacht haben. Allerdings hatten die Holländer kaum Probleme, den amtierenden Weltmeister in die Schranken zu weisen. Oranje gewann mit 3:1, ansonsten keine besonderen Vorkommnisse. Nach dem Spiel jedoch kam es an der deutsch-niederländischen Grenze zu mehreren Handgemengen. Zwei Deutsche zündeten in einem Kerkrader Nachtclub eine Splitterbombe, wie durch ein Wunder gab es keine Toten. Die jahrelangen Sticheleien hatten offenbar Spuren in der Gesellschaft hinterlassen.
„Du bist wohl vergessen worden vom Adolf“
Als beide Mannschaften das Halbfinale erreicht hatten, erschien ein erneutes Aufeinandertreffen im Endspiel unausweichlich. Vor dem Spiel seiner Mannschaft gegen Dänemark sagte Rinus Michels: „Ich habe immer gesagt, dass wir die Deutschen in diesem Turnier zweimal treffen werden.“ Es sollte die letzte Pressekonferenz des großen Feldherrn sein, der nach dem Turnier seine Laufbahn beendete. Die Elftal unterlag den Partyfußballern aus Dänemark, auf die im Endspiel nun das deutsche Team wartete. Hans van Breukelen sagte, ihm graue bei der Vorstellung, dass ausgerechnet Deutschland die Niederlande als amtierenden Europameister beerben würde. Wie tief verwurzelt die Abneigung zwischen den Spielern in dieser Generation gewesen sein muss, bewies letztlich auch Lothar Matthäus, der beim Oktoberfest 1993 einem Mann, der ihn per Videokamera filmte, wie von Sinnen entgegenplärrte: „Ach, auch noch Holländer, das sind sowieso alles Arschlöcher, du bist wohl vergessen worden vom Adolf.“ Diese bleierne Zeit ist lange vorbei. Am 7. Juli 1995 schlossen KNVB und DFB eine Kooperationsvereinbarung mit dem Ziel, ein positives Klima zwischen den beiden Ländern zu schaffen, „in dem ungeachtet der sportlichen Rivalität kein Platz ist für Aggressionen oder gar Gewalt“. Erleichternd kam hinzu, dass die Leistungen speziell der deutschen Mannschaft in den Folgejahren kaum noch Anlass gaben, die Rivalität anzuheizen. Zehn Jahre lang konnte der DFB nach 1996 nicht gegen Holland gewinnen.
Vogts Worte
Die Globalisierung lässt keinen Platz mehr für tumbe Rivalität zwischen Nationen, insbesondere, wenn es so viele Gemeinsamkeiten gibt. Die Deutschen verehren Louis van Gaal oder Huub Stevens als augenzwinkernde Autoritäten und lieben Rafael van der Vaart oder Arjen Robben für ihren Esprit und die Chuzpe des Abenteurers. Die Überzeugung der Holländer, die besser ausgebildeten Fußballer hervorzubringen und den Deutschen fußballerisch überlegen zu sein, hat sich relativiert, weil auch sie eingesehen haben, dass es ohne Spielertypen wie Mark van Bommel oder Nigel de Jong nicht geht. Fußballer, die längst mehr den preußischen Kickertypus repräsentieren, als es Thomas Müller und Mario Götze tun.
Und so oblag es dem Bundestrainer Berti Vogts, bei der EM 1992 gewissermaßen unfreiwillig die Schlusspointe in dieser Fehde zu setzen. Nach dem Ausscheiden der Holländer konnte er sich den sarkastischen Kommentar nicht verkneifen: „Wir haben unser Versprechen gehalten und stehen im Finale. Wer nicht kommt, sind die Holländer …“ Anschließend ging seine Elf sang- und klanglos mit 0:2 unter. Gegen ein dänisches Team, das holländische Lässigkeit und deutschen Pragmatismus auf geniale Weise zu verbinden vermochte.