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Seite 3: Wie sich Holland für das WM-Finale revanchierte

Und je länger das Trauma von Mün­chen zurücklag, desto mehr Legenden wurden um die cha­rak­ter­liche Ver­an­la­gung der Rivalen gestrickt. Als es vier Jahre später bei der WM in Argen­ti­nien eine Neu­auf­lage des Spiels gab, beschwerte sich Karl-Heinz Rum­me­nigge bereits öffent­lich dar­über, wie Medien die Partie über­frach­teten: Es ist eine wirk­liche Schande und traurig“, sagte der Bayern-Stürmer, dass sie den Fuß­ball als Ventil für ihren Hass wegen des Zweiten Welt­kriegs benutzen.“

Mehr als ein Spiel

Doch die Akteure ließen sich von der hit­zigen Atmo­sphäre anste­cken: Zwi­schen Dick Nan­ninga und Bernd Höl­zen­bein kam es zu einem Hand­ge­menge, weil der Veen­damer dem Frank­furter in die Magen­grube geschlagen und dieser sich per Nasen­s­tuber revan­chiert hatte. Als die Rivalen bei der EM 1980 wieder auf­ein­an­der­trafen, offen­barte selbst der sonst eher kalt­blü­tige DFB-Vor­stopper Karl-Heinz Förster einen Hang zu düs­terem Pathos: Ich wusste, dass es schlimm werden würde“, so Förster. Wir hatten uns geschworen zu siegen, weil dieser Sieg so wichtig für unseren Stolz war. Für sie wäre es das Größte, uns zu schlagen. Die hassen uns so viel mehr, als wir sie hassen.“ Zwei­fels­ohne ging es da bereits für beide Teams um mehr als nur um die sieg­reiche Gestal­tung eines Fuß­ball­spiels.

Jan Wou­ters hatte als 14-Jäh­riger das Finale von Mün­chen im Fern­sehen ver­folgt. Wie so viele Profis seines Alters wuchs er in dem Glauben auf, zwi­schen deut­schen und hol­län­di­schen Teams sei noch eine Rech­nung offen. Auf beiden Seiten der Grenze arbei­teten die Nach­kommen der Kriegs­ge­nera­tion inzwi­schen auf, was die Deut­schen in den Jahren nach 1933 in Europa ange­richtet hatten. In den Nie­der­landen bekam man ein anti­deut­sches Gefühl mit auf den Weg“, sagt Jan Wou­ters im ver­dienst­vollen Buch Kicken beim Feind?“ von Ingo Schi­weck. In der Schule lernte man alles Mög­liche über den Krieg, und da kam dann noch 1974 hinzu.“ Im Gegenzug dazu ging es deut­schen Spie­lern auf die Nerven, in dem Duell ständig zu Stahl­helm tra­genden Beton­ki­ckern sti­li­siert zu werden. Es ging längst nicht mehr um die Frage, wer den attrak­ti­veren Fuß­ball spielte. Deutsch­land gegen Hol­land hieß jetzt auch: Wehr­macht gegen Wider­stand. Böse gegen Gut!

Die Revanche von 88

1988 schloss sich der Kreis. Die Par­al­lelen zu 1974 waren unver­kennbar. EM in Deutsch­land. Franz Becken­bauer, Kapitän der Welt­meis­terelf, war nun Team­chef beim DFB. Rinus Michels, der zeit­weise auch beim 1. FC Köln ein eisernes Regi­ment geführt hatte, war wieder Bond­s­coach. Ange­führt von Kapitän Ruud Gullit und Tor­jäger Marco van Basten, prä­sen­tierte sich die Elftal erneut als Gol­dene Gene­ra­tion, die Fuß­ball zele­brierte. Mit dem AC Mai­land hatten die beiden soeben die Meis­ter­schaft in der Serie A gewonnen – und Ita­lien bewiesen, wie erfolg­reich Angriffs­fuß­ball sein kann.

Diese Ästheten trafen im Halb­fi­nale auf ein DFB-Team, dessen Kopf Lothar Mat­thäus war. Kein Fein­geist wie Franz Becken­bauer, son­dern ein Kopf-durch-die-Wand-Spieler. Wie gemalt, um das Kli­schee vom deut­schen Rasen­mäher zu unter­füt­tern. Die Gegen­sätze konnten krasser kaum sein. Zumal statt des Ter­riers“ in der deut­schen Defen­sive nun Zer­störer wie Jürgen Kohler und Uli Borowka war­teten. Den Nie­der­län­dern bot sich im Volks­park­sta­dion die his­to­ri­sche Chance, sich end­lich für den Fauxpas der 74er-Gene­ra­tion zu revan­chieren. Und, wie es Ruud Gullit später aus­drückte, für Gerech­tig­keit“ zu sorgen. Coach Michels hatte vor Anpfiff zu Pro­to­koll gegeben: Das Finale lebt immer noch. Ich habe nicht ver­gessen, dass wir damals ver­loren haben.“

Schwarz gegen Weiß

In der 89. Minute erzielte Marco van Basten den 2:1‑Siegtreffer. Deutsch­land schied auf hei­mi­schem Grund aus dem Tur­nier aus. Neun Mil­lionen Nie­der­länder, mehr als 60 Pro­zent der Bevöl­ke­rung, fei­erten in dieser Diens­tag­nacht auf den Straßen des Landes. Einige sangen 1940 kamen sie / 1988 kamen wir / Hola­di­ho­ladio!“ Jan Wou­ters fragte Rinus Michels, ob der Sieg ihn für das Trauma ent­schä­digt habe. Ja“, ent­geg­nete der Trainer mit Tränen in den Augen, das macht es wieder gut.“ Keeper Hans van Breu­kelen wid­mete den Sieg der Gene­ra­tion, die den Krieg über­lebt hatte. Ronald Koeman voll­endete das über­frach­tete Schau­spiel, indem er in die Rolle des befreiten Bür­gers schlüpfte, der nach ent­beh­rungs­rei­chen Jahren die abrü­ckenden Besatzer mit sar­kas­ti­scher Scha­den­freude über­zieht: Der Libero zog sich nach dem Tri­kot­tausch mit Olaf Thon das DFB-Jersey demons­trativ durch den Schritt.

In Hol­land erschien bald darauf ein Lyrik­band, der Verse von Profis und Poeten über die Riva­lität zwi­schen Deutsch­land und Hol­land ent­hielt. Kein Vier­zeiler kam ohne Ver­weis zur Geschichte aus. Gut und Böse / Schau, mein Schatz, schau im Fern­sehen / Orange, Gullit, Weiß / Weiß, Mat­thäus, Schwarz.