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Wohin die Reise geht? Wir fragen nicht nach, als wir am Ham­burger Haupt­bahnhof von zwei kräf­tigen Herren in den Fond einer schwarzen Limou­sine gebeten werden. Eine Begeg­nung mit einer streit­baren Per­sön­lich­keit ist uns ver­spro­chen worden. Dis­kre­tion Ehren­sache! Das ist der Deal. Und so sind wir auf jede Über­ra­schung vor­be­reitet: Syl­vies Piloten. Jens Riewa. Man­fred Ertel. Wir haben den Gurt noch nicht ange­legt, da tritt der Fahrer bereits kräftig aufs Gas­pedal. Rasend schnell geht es nun durch die feinen Viertel der Han­se­stadt. Pösel­dorf fliegt vorbei. Um uns zu ver­wirren, dreht der Wagen zwei Runden im Kreis­ver­kehr. Ein beliebter Trick, vom Mossad ent­wi­ckelt. Muss ich nach Blan­ke­nese links ab?“, fragt der Fahrer. Unsere Begleiter brummen zustim­mend. Noch eine fal­sche Fährte, das wissen wir. In Blan­ke­nese ange­kommen, werden wir in eine Fabrik­halle geführt. Dort, im Schein einer fahlen Decken­lampe, sitzt er an einem Tisch und reicht nach kurzem Zögern seine Fell­pfote. Schön, dass Sie sich Zeit genommen haben!“
Goleo! Ist also doch wahr, was seit Wochen in Fuß­ball­kreisen getu­schelt wurde? Das WM-Mas­kott­chen 2006 ist zurück in Deutsch­land. Mehr­fach war der groß­ge­wach­sene Löwe bereits gesichtet worden. Im Spa-Bereich des Ber­liner Soho House. Und vor dem Pen­ny­markt in Herne. Spon­tane erste Frage: Gibt es neue Pläne? Goleo zieht noch einmal an seiner Ziga­rette, erklärt: Die EM-Bewer­bung 2024. Ich werde wieder Mas­kott­chen!“ Rumms! Das ist nun eine Über­ra­schung. Goleos erste Amts­zeit galt schließ­lich, milde for­mu­liert, als unglück­lich. Die miss­ra­tene Prä­sen­ta­tion bei Wetten dass ..?“. Später der Spott über die ver­ges­sene Hose. Dann der Dau­er­zoff mit Partner Pille.

Pille ist gestorben“

Apropos Pille. Diese Kugel dort auf dem Tisch, weiß und rund. Das ist nicht Pille“, unter­bricht Goleo unwirsch, son­dern ein stink­nor­maler Aschen­be­cher.“ Aber was ist denn nun pas­siert, mit dem Partner von einst. Pille ist gestorben“, sagt Goleo düster. Wir schweigen bestürzt. Jeden­falls für mich!“, ergänzt er und erzählt zum ersten Mal von der WM und der schwie­rigen Zeit danach. Das Tur­nier, ein ein­ziger Rausch. So viel Euphorie, so viele Ein­drücke. Goleo flüch­tete sich in eine Par­al­lel­welt aus schnellem Sex und harten Drogen. Bei meiner WM war Kolum­bien dabei“, sagt er heute mit einem Augen­zwin­kern.
Am Tag nach dem WM-Finale wurde ihm jedoch vom OK gekün­digt. Natür­lich zu Unrecht, betont Goleo, und prä­sen­tiert uns sein Arbeits­zeugnis. Wir lesen auf­merksam. Hat sich stets bemüht, unseren Erwar­tungen zu ent­spre­chen. Gesellig. War in der Regel pünkt­lich. Goleo nicht ohne Stolz: Wenn das kein Prä­di­kats­examen ist, weiß ich auch nicht weiter!“ Pille hatte sich anschlie­ßend aus­zahlen lassen und ein Lauf­haus in Husum über­nommen.

Goleo suchte hin­gegen lange nach einer neuen Anstel­lung. Erst ver­dingte er sich als Tanzbär auf nord­deut­schen Rum­mel­plätzen. Und das als Löwe, wie demü­ti­gend!“ Später arbei­tete er im Safa­ri­park Stu­ken­b­rock. Als weißer Löwe, für die der Park weit über die Grenzen bekannt ist? Leider nur als Kar­ten­ab­reißer am Gnu-Gehege“, winkt er ab. Dann, im Jahre 2011, noch einmal der Ver­such, als Mas­kott­chen der Frauen-WM wieder ins Geschäft zu kommen. Mit Hose hätten sie mich genommen!“, resü­miert er. Wir mus­tern unseren Gesprächs­partner. In die Jahre ist er gekommen, das einst­mals glän­zende Fell wirkt grau und stumpf. Der frü­here Asket ist inzwi­schen offenbar starker Rau­cher, eine fil­ter­lose Gitanes glimmt im Aschen­be­cher, die immer noch mäch­tige Pranke ist gelb vom Nikotin.
Als vor wenigen Wochen der Anruf aus der Otto-Fleck-Schneise kam, glaubte Goleo an einen üblen Scherz. Sie hatten ihn schon einmal mit einem Angebot vom Europa-Park Rust hoch­ge­nommen, alte Freunde aus der Stu­ken­bro­cker Zeit. Fal­sche Freunde!“, wie er heute sagt. Dann aber das Angebot, zu stark leis­tungs­be­zo­genen Kon­di­tionen, geför­dert vom Arbeitsamt.

Ich greif noch mal an“

Wir müssen da alle ins Risiko gehen“, haben die Leute vom DFB erklärt. Aber hat er wirk­lich noch einmal die Kraft für den großen Wurf? Kann er der deut­schen EM-Bewer­bung wirk­lich helfen? Auf ihn wartet die Och­sen­tour durch die UEFA-Staaten, in die Ukraine und sogar nach Öster­reich. Hände schüt­teln, Foto­ter­mine, Kinder auf den Arm nehmen und abends im Hotel noch die dis­krete Tour zu den Zim­mern der Funk­tio­näre, damit am nächsten Morgen nicht nur die Zei­tung unter der Tür durch­ge­schoben worden ist. Goleo schmun­zelt: Kenn ich doch schon alles von der WM 2006. Die Umschläge waren so dick, dass sie kaum unten durch­ge­passt haben. Und das lag nicht an der Wat­tie­rung!“, lacht er. Da ist er noch immer Profi.
Ein kurzer Blick hin­unter. Goleo trägt noch immer keine Hose. Auch dafür gibt es natür­lich eine Erklä­rung: Ein Pro­sta­ta­leiden. Da muss unbe­dingt fri­sche Luft dran.“ Er muss jetzt lie­fern, das weiß er. Viele wollen seinen Posten. Tip und Tap, die beiden Rotz­löffel von 1974, heute Inhaber eines Kos­tüm­ver­leihs in Char­lot­ten­burg, haben schon nach­ge­fragt. Auch Berni, der Hase von 88, wäre bereit, ein­zu­springen. Aber nur, wenn die Kohle stimmt!“, lässt er aus seinem Domizil auf der Feri­en­insel Menorca aus­richten. Goleo spürt die Zweifel. Ich greif noch mal an“, sagt er ent­schlossen, hebt die Fäuste, boxt gegen einen ima­gi­nären Gegner. Durch die ruck­ar­tigen Bewe­gungen ver­rutscht seine Lese­brille. Gleit­sicht“, erklärt Goleo. Wird leider nicht von der Kasse über­nommen.“ Er setzt die Lese­hilfe ab. Die Asche fällt von der Ziga­ret­ten­spitze. Er muss jetzt ins Risiko gehen.