Vor 25 Jahren holte Frank de Boer mit Ajax Amsterdam die Champions League. 2015 sprachen wir mit ihm über die goldenen Zeiten Mitte der Neunziger, den Voetbaltotaal und seinen Job in der niederländischen Kaderschmiede.
Aber Ihre Mannschaft kann doch noch reifen.
Darauf ist nicht zu hoffen. Ajax wird ein Ausbildungsverein bleiben, ein Durchlauferhitzer für die finanzstarken Klubs. Noch bevor ein Spieler Talent und Erfahrung in Einklang gebracht hat, verlässt er Ajax, weil er ein lukrativeres Angebot bekommt, bei dem wir nicht mithalten können. Das war bei Wesley Sneijder so, bei Rafael van der Vaart und Thomas Vermaelen, auch bei Zlatan Ibrahimovic und Luis Suarez, zuletzt bei Daley Blind, der nach der WM zu Manchester United wechselte. Wir säen, die anderen ernten.
War vor diesem Hintergrund das Bosman-Urteil, das ebenfalls 1995 erging, die folgenschwerste Veränderung für den Fußball in den vergangenen 20 Jahren?
Ganz eindeutig! Es war auch zuvor schon schwer für einen Klub wie Ajax Amsterdam, seine Spieler zu halten und eine Mannschaft über Jahre weiterzuentwickeln. Heutzutage, da die Spieler nach Ende ihres Vertrages ablösefrei wechseln dürfen, ist das nahezu unmöglich.
Das muss frustrierend für Sie sein.
Ich bin nicht persönlich beleidigt deswegen. Ich halte es aber für sehr gefährlich für den Fußball insgesamt. Die Spieler verlassen ihre Ausbildungsvereine immer früher. Und sie wechseln oftmals nicht mehr zum nächstgrößeren, sondern gleich zu einem riesengroßen Verein. Jemand wie Martin Ødegaard etwa ist nicht zu uns gewechselt, wo er behutsam weiterentwickelt worden wäre, sondern zu Real Madrid. Dort verdient er jetzt 100 000 Euro in der Woche – und das mit 16 Jahren. Das dürfte wesentlich mehr sein, als Álvaro Arbeloa verdient, der Weltmeister ist. Und dabei weiß niemand, ob dieser Junge sich je durchsetzen wird. Ich finde das pervers!
Hoffen Sie, dass eines Tages ein Scheich den Weg nach Amsterdam findet?
Nein, ich hoffe darauf, dass die UEFA das Financial Fairplay konsequent durchsetzt. Wenn sich bei allen Vereinen Einnahmen und Ausgaben endlich die Waage halten müssten, würden die Wettbewerbschancen von Ajax Amsterdam enorm steigen.
Glauben Sie daran?
Ich lasse mich gern positiv überraschen.
Ein Wettbewerbsnachteil würde allerdings bleiben: Die niederländische Liga ist keine besonders harte Konkurrenz. Könnten die jungen Spieler da überhaupt für die großen internationalen Herausforderungen reifen?
Immerhin haben wir den PSV Eindhoven und Feyenoord Rotterdam, unsere Erzrivalen, mit denen wir uns bekriegen. Das ist auch nicht viel weniger, als der FC Bayern im Moment hat, denke ich.
Was ist Ihnen lieber: ein Sieg beim SC Cambuur-Leeuwarden oder eine Niederlage beim FC Barcelona?
Die Niederlage. Weil wir aus ihr etwas lernen können. Wenn wir nicht stetig dazulernen und uns weiterentwickeln, hilft uns auch kein Financial Fairplay.
Sie erwirtschaften regelmäßig hohe Transferüberschüsse. Warum holen Sie sich nicht mal einen erfahrenen Spieler, der weiß, wie man große Schlachten gewinnt?
Wir waren im vergangenen Sommer sehr interessiert an Rafael van der Vaart, aber leider sah er seine Mission beim Hamburger SV als noch nicht erfüllt an. Ansonsten stehen wir vor dem Problem, dass die Eredivisie für Top-Spieler über 30 nicht besonders attraktiv ist. Der Trend geht in Richtung Major League Soccer, nicht zuletzt wegen der astronomischen Gehälter, die dort gezahlt werden. Die können und wollen wir nicht überbieten.
Wenn Sie einen Spieler aus der Geschichte von Ajax Amsterdam reaktivieren könnten
…würde ich Johan Cruijff wählen, das ist ja überhaupt keine Frage! Es gab keinen besseren Spieler als ihn, nicht bei Ajax, nicht in ganz Europa, nirgendwo.
Cruijff ist immer noch in beratender Funktion für Ajax tätig. Wie oft unterhalten Sie sich mit ihm?
Etwa alle zwei Monate.
Wie lautet das Urteil von König Johan: Wie sehr ist Ajax wieder Ajax?
Ich denke, er sieht uns auf einem guten Weg.
Reden Sie dann über das Alltagsgeschäft, oder treffen Sie sich zum philosophischen Kamingespräch?
Es ist eine Mischung aus beidem. Ajax ist ein tief in seiner Tradition verwurzelter Verein, wir sehen all unser Handeln in diesem Kontext. Es geht darum, sich auch im Wandel treu zu bleiben.
Ein toller Slogan. Wie lange bleiben Sie Ajax Amsterdam denn noch treu?
Es gab durchaus interessante Angebote, unter anderem von Tottenham Hotspur. Aber wie Sie sehen, bin ich immer noch hier. Ich bin noch nicht fertig.