Miroslaw Okonski trug Vokuhila und dichtes Brusthaar. Er rauchte, trank und fuhr BMW. Klar doch, dass so einer das Jugendidol unseres Autors wurde.
An einem Nachmittag im Frühjahr 1987 stand ich vor einem Einkaufszentrum irgendwo am Rand von Hamburg, als sich unversehens ein große Menschentraube am Parkplatz bildete. „Er ist es!“, rief einer. „Miroslaw!“, schrie ein anderer, und ein paar andere Jungs und Mädchen quietschten, als würden Donnie und Jordan von den New Kids On The Block um die Ecke biegen. Ich stimmte fröhlich ein in das Klatschen und Johlen und Quiecken und kramte einen Zettel hervor, den der HSV-Star nun signieren sollte.
Kurz vor der Drehtür blieb Miroslaw Okonski stehen. Er strich sich durchs Haar und nahm einen letzten tiefen Zug von der Marlboro. Er grüßte, hallo Gaby, hallo Thomas, hallo Michael, er schüttelte eine Hand, er schüttelte zwei Hände, drei, vier, alle. Nur nicht meine. Denn bald hatte er genug von dem Rummel und eilte davon, schließlich war das hier keine öffentliche Autogrammstunde. Es war Montag, spielfrei, Familie, Schaufensterbummel, dies, das. Alles was blieb: ein kurzer Augenkontakt, schüchtern (ich), genervt (er). Nie wieder sollten wir uns so nah sein.
Der Mann aus Posen
Okonski war ein paar Monate zuvor, im Sommer 1986, von Lech Posen zum HSV gewechselt. Er verkörperte alles, was ich nicht war. Er war: Raucher, Trinker, BMW-Fahrer. Er trug stone-washed Jeans, das Hemd offen und eine dünne, in wallendes Brusthaar gebettete Goldkette. Sein Blick war wie der eines 100-jährigen Dockarbeiters an den Landungsbrücken. Er kannte Posen, Warschau, er kannte die verdammte Welt.
Ich kannte den Bolzplatz am Ende meiner Straße. Ich trug von Mutti gestrickte Pullover, Polohemden, Pädagogen-Pottschnitt und fuhr auf Rollschuhen an geputzten Altbaufassaden und angelegten Parks mit Springbrunnen vorbei. Ich war: neun Jahre alt.
Am Tag, als ich Okonski zum ersten Mal im zu engen BP-Dress sah, ein Samstag im November 1986, peitschte der Regen durch die offene Südtribüne. Es war der 12. Spieltag, 4:2 gewann der HSV gegen Borussia Dortmund. Zwei Tore bereitete Okonski vor, zwei schoss er selbst. Eines in der 28. Minute so phänomenal, dass einige sonst sehr ausgeglichene Hanseaten vor Erregung ihre Jackets vom Leib rupften und euphorisch über dem Kopf hin- und herschwenkten.
Karol Wojtyla, Chopin, Madame Curie – und Okonski
Es ging alles so rasend schnell und doch spulte die Szene wie in Zeitlupe ab. Eine Flanke, eine Flugbahn, ein Mann am Sechzehnmeterraum. Miroslaw Okonski zimmerte den Ball direkt und volley unter die Querlatte. Der HSV war nun Zweiter, und der kleine Mann aus Koszalin vermutlich der beste Fußballer der Welt. „Dieser Spieler ist das Tollste, was die Bundesliga zu bieten hat“, expertete Paul Breitner in der „Bild“. „Wir haben der Welt Karol Wojtyla, Chopin, Madame Curie und Joseph Conrad geschenkt – und nun auch Okonski“, fand der polnische Schachmeister Jacek Badnarski. Wojtyla, Chopin, Curie und Conrad – ich kannte die Namen nicht, doch sie klangen weltmännisch, wichtig. Okonski, so schien es, tauchte zu Recht in dieser Reihe auf.
Auch sein Trainer, Ernst Happel, liebte diesen polnischen Zauberer. Vielleicht weil er ein wenig war wie er. Beide sprachen nicht viel, aber sie teilten sich brüderlich die Zigaretten. In der Westkurve des Volksparkstadions wünschten sich die Fans nichts sehnlicher, als mit diesen zwei Cowboys in einem engen Saloon zu stehen und schweigend feinsten virginischen Tabak zu inhalieren.